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3 Nichtmonotone Inferenz

Im vorangegangenen Kapitel haben wir uns mit verschiedenen Formen der Repräsentation von Wissen auseinandergesetzt. Wir haben dabei immer wieder betont, daß ein wesentliches Kriterium für oder gegen die eine oder andere Form der Darstellung durch die Operationen gegeben ist, die auf dem Wissen durchzuführen sind. In Abschnitt 1.5.3 haben wir das Hinzufügen, Auffinden, Entfernen und Schlußfolgern als die wesentlichsten Operationen in diesem Zusammenhang genannt und dann in Abschnitt 1.5.4 die herausragende Bedeutung der Inferenz betont. Diese soll uns daher in den nun folgenden beiden Kapiteln überwiegend beschäftigen.

Noch stärker, als dies im letzten Kapitel der Fall war, kommt nun unsere in Abschnitt 1.6 getroffene Maßgabe zum Tragen, daß wir vom Leser grundlegende Kenntnisse der Logik voraussetzen. Wir werden uns nämlich, unter Voraussetzung der klassischen Inferenz, wie sie etwa in [Bib92] dargestellt ist, mit den verschiedensten Ausprägungen und Aspekten der Inferenz allgemein befassen. Eine besonders wichtige Frage dabei ist, wie das alltägliche Schließen am geeignetsten zu formalisieren sei. Im Zusammenhang mit dieser Frage spielt insbesondere die im natürlichen Schließen beobachtete Eigenschaft der Nichtmonotonie eine herausragende Rolle, die wir im nachfolgenden Abschnitt definieren werden. Grobgesprochen handelt es sich darum, daß man früher gezogene logische Schlüsse aufgrund von hinzugetretenem Wissen zurücknehmen muß.

Die Nichtmonotonie ist eng verknüpft mit dem, was McCarthy das Qualifikationsproblem genannt hat [McC80]. Wenn wir zB. jemandem die bekannte Denksportaufgabe stellen, wie drei Missionare und drei Kannibalen so mit einem zwei Personen fassenden Boot einen Fluß überqueren können, daß die Kannibalen keine Gelegenheit haben, über eine Minderheit von Missionaren herzufallen, dann würden wir alle die folgende ``Lösung'' als unzulässigen Witz auffassen: ``Sie gehen einfach hundert Meter flußaufwärts und überqueren dort gemeinsam den Fluß über die dortige Brücke.'' Von einer Brücke war nämlich in der Aufgabe überhaupt keine Rede. Unser Witzbold könnte dem aber entgegnen, daß ja auch niemand ausdrücklich erwähnte, daß es dort keine Brücke gäbe. Obgleich er mit diesem Hinweis recht hätte, empfinden wir doch alle, daß eine solche Antwort disqualifiziert werden muß, weil wir in der Regel von einer gewissen Normalität der Weltbeschreibung ausgehen, ohne die unsere Aufgabenstellung ja unendlich lang werden müßte, indem sie zumindest alles explizit ausschlösse, was nicht der Fall ist. Wie aber qualifiziert man die zulässigen Antworten in einer möglichst formalen und präzisen Weise? Genau auf derartige Fragen werden wir in diesem Kapitel eine Reihe von alternativen Antworten geben.

Auf die Bedeutung des nichtmonotonen Schließens in der Intellektik ist schon lange vor der Entwicklung der in diesem Kapitel besprochenen formalen Ansätzen zum nichtmonotonen Schließen hingewiesen worden. Insbesondere argumentierte Minsky in [Min75], daß die Nichtmonotonie eine unabdingbare Eigenschaft des alltäglichen (oder natürlichen) Schließens sei. Andere Vorläufer in Form erster Ideen sowie partielle Formalisierungen sind [MH69, San72, Hay73a]. Auch gab es in den Siebziger Jahren schon Wissensrepräsentationsprachen, wie PLANNER [Hew72] oder KRL [BW77a], die das Ziehen nichtmonotoner Schlüsse erlaubten. Auf diese historisch interessanten Aspekte werden wir im Verlauf dieses Kapitels weiter nicht mehr eingehen können.

Das vorliegende Kapitel ist eigentlich Bestandteil des darauf folgenden Kapitels, in dem das Spektrum der verschiedenen Inferenzformen ausgebreitet wird. Wegen der besonderen Bedeutung der Nichtmonotonie und dem daraus resultierenden Umfang wurde ihr ein eigenes, vorgezogenes Kapitel gewidmet.





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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996