Das Verwirrende für den Anwender sind derzeit die vielen verschiedenen verfügbaren Ansätze zum nichtmonotonen Schließen. Allein für die Zirkumskription haben wir nun eine ganze Reihe kennengelernt. Deshalb ist es wichtig, sich nochmals einige der vergleichenden Aussagen vor Augen zu führen. Zunächst haben wir in Satz 3.5.3 gesehen, daß die punktweise Zirkumskription mindestens ebenso stark wie die variable Zirkumskription ist. Nach Satz 3.5.3 fallen beide Definitionen in den meisten praktischen Fällen ohnehin zusammen. Mit der verallgemeinerten punktweisen Zirkumskription des letzten Unterabschnitts sollten also keine Wünsche offenbleiben.
Dabei bietet die punktweise Zirkumskription gegenüber der variablen Zirkumskription neben der größeren Flexibilität eine Reihe von weiteren Vorteilen. So ist ihr einfachster Fall von vorneherein eine Formel der ersten Stufe. Zudem genügt die Definition zur Minimierung eines einzigen Prädikats. Prioritäten lassen sich bei ihr mittels der Bereiche axiomatisch fassen anstatt in einer metamathematischen Weise.
Damit sei jedoch keine abschließende Beurteilung suggeriert. Vielmehr ist erst jüngst in [EGG92] die Schwäche der Zirkumskription bei der Behandlung von (inklusiven) Disjunktionen diskutiert worden. Disjunktive Information hat allen Ansätzen zum nichtmonotonen Schließen Schwierigkeiten bereitet. Im Zusammenhang mit der Ermangelungslogik werden wir deren diesbezügliche Schwäche in Abschnitt 3.7.3 mit einem Beispiel dort illustrieren und auf eine diesbezügliche Lösung hinweisen. Ein anderes Beispiel soll diese Schwäche im Fall der Zirkumskription hier illustrieren.
Wir wissen über einen Mann, daß er Hammer oder Nagel, , in
Händen hält und ein Bild aufhängen möchte,
. Offenbar braucht
er dazu beides, dh.
. Eine Vervollständigung
dieses unvollständig beschriebenen Szenarios würde im alltäglichen
Schließen drei mögliche Fälle in Betracht ziehen, nämlich daß
oder
gilt, letzteres weil
ja
nicht ausschließt und die Regel daraus
zu
erschließen erlaubt. Zirkumskription behandelt die darin auftretende
Disjunktion dagegen ausschließlich exklusiv, so daß nur
und
als minimale Modelle erschlossen werden können.
Die Autoren von [EGG92] schlagen daher eine verallgemeinerte Form der
Modellminimierung vor. Mit minimalen Modellen
wird auch die kleinste obere Schranke
im
Verband der Modelle in diesem verallgemeinerten Sinne der Minimierung
als minimales Modell zugelassen. Im Beispiel würde das bedeuten, daß mit
und
auch das Modell
in diesem Sinne als minimal
betrachtet wird, wodurch die intuitiv wünschenswerte Lösung auch
tatsächlich erreicht wird. Dieser Minimierungsprozeß muß natürlich in
allgemeineren Fällen iteriert werden, was in der angegebenen Arbeit formal
berücksichtigt wird. Auch wird dort die daraus resultierende Komplexität
untersucht.
Noch immer gibt es nicht allzu viel praktische Erfahrung im Einsatz der Zirkumskription. Bei den genannten kollabierenden Fällen sollten klassische Beweissysteme auf keine besonderen Schwierigkeiten stoßen. In [Rab89] werden zudem noch weitere solche Fälle angegeben. [Prz89, Gin89b, HIP91] befassen sich explizit mit dem Problem, die Zirkumskription zu berechnen, dh. Spezialbeweiser auf sie anzusetzen. [GL89] geben sogar eine Kompilierung in Logikprogramme an. Angesichts dieser Vorarbeiten scheint nur eine gewisse Hemmschwelle überwunden werden zu müssen, bis diese Technik in der Praxis Fuß faßt.
Die nächste Frage hinsichtlich des Vergleichs der Ansätze zum
nichtmonotonen Schließen bezieht sich auf Vergleiche mit den
vorangegangenen Methoden (siehe auch Abschnitt 3.11). Der
Satz 3.5.1 hat uns zB. gezeigt, daß in dem Fall einer in
solitären Menge
von Klauseln
sich bei der Prädikatszirkumskription das gleiche Ergebnis wie
bei der Prädikatsvervollständigung ergibt.
Die Beziehung der Zirkumskription mit den in Abschnitt 2.6 behandelten
Vererbungsnetzen ist
oberflächlich leicht herzustellen. Jede Inkonsistenz
wird hier durch die Einfügung eines Abnormalitätsprädikats in die Regeln
mit Ausnahmen behoben, über das dann minimiert wird. Die bei den
Vererbungsnetzen erreichte Bevorzugung spezifischerer
Information ist in der Zirkumskription selbst noch nicht eingebaut; insoweit
führen die beiden Ansätze zu unterschiedlichem Verhalten.
Christoph Quix, Thomas List, René Soiron