gif gif up gif contents index
Nächste Seite: 4 Dimensionen der Inferenz Vorige Seite: 3.10.3 TMS

3.11 Vergleichende Zusammenfassung

In diesem Kapitel haben wir eine Reihe verschiedener Ansätze zur Formalisierung nichtmonotoner Schlußweisen kennengelernt. Die damit verbundene Vielfalt ist für den Leser und Anwender eher verwirrend. Deshalb wollen wir in diesem letzten Teil des Kapitels eine vergleichende und ordnende Zusammenfassung der verschiedenen Ansätze versuchen. Alle diese Ansätze verfolgen mehr oder weniger das gleiche Ziel, der Formalisierung eines bestimmten Aspekts des alltäglichen Schließens. Statt einer minutiösen Beschreibung aller Details der Welt beschränken wir uns in der natürlichen Kommunikation auf die Beschreibung charakteristischer Merkmale in einer Situation und ersparen uns die Erwähnung von solchen Einzelheiten, die in gleicher Weise auch in anderen Situationen vorliegen. Dies erfordert von einem derartigen Formalismus die Fähigkeit, bei gegebener Weltbeschreibung über die klassisch ableitbaren Aussagen hinaus Wissen abzuleiten, das ``normalerweise'' in gilt.

Die Ansätze zum nichtmonotonen Schließen sind durch verschiedene Ausprägungen des alltäglichen Schließens motiviert. Diese haben zu den drei folgenden Hauptformen des nichtmonotonen Schließens geführt: Weltabgeschlossenheitsschließen, Ermangelungsschließen und autoepistemisches Schließen.

Das Weltabgeschlossenheitsschließen bedient sich festgelegter Konventionen, um von dem gegebenen auch auf die nichtgenannten Details schließen zu können. Die reinste Form des Weltabgeschlossenheitsschließens findet sich bei der in Abschnitt 3.1 vorgestellten Annahme der Weltabgeschlossenheit (oder kurz AWA): jede nicht explizit gegebene Grundaussage wird kategorisch als falsch angenommen. Dem gegenüber wird bei der in Abschnitt 3.5 vorgestellten Zirkumskription diese Annahme immer nur für bestimmte Grundaussagen getroffen.

Beim Ermangelungsschließen wird versucht, unvollständiges Wissen mit Hilfe von Standardannahmen zu vervollständigen. Solche Standardannahmen resultieren aus Erfahrungswerten und beschreiben das typische oder gewöhnliche Verhalten von Objekten. Ermangelungsschlüsse sind daher Schlüsse, die in Ermangelung von Information gezogen werden. Die übliche Lesart einer Ermangelungsregel ist dabei: `` A's sind typischerweise (oder normalerweise) B's''. Die bislang wohl erfolgreichste Formalisierung des Ermangelungsschließens stellt die in Abschnitt 3.7 eingeführte Ermangelungslogik (oder kurz E-Logik) dar. Der Schluß von auf wird hier gezogen, falls sich durch die Hinzunahme von zur Menge der Schlußfolgerungen kein Widerspruch ergibt. Dem gegenüber wird in den in Abschnitt 3.9 vorgestellten konditionalen Logiken (oder kurz K-Logiken) zusätzlich zu oder anstelle der klassischen Implikation noch die konditionale Implikation eingeführt und entweder als zusätzlicher Operator verwendet oder auf die klassische Implikation zurückgeführt.

Beim autoepistemischen Schließen wird versucht, die Schlüsse einer selbstreflektierenden Person zu formalisieren. In dieser Sicht schließt ein Akteur sowohl über die betrachtete Weltbeschreibung als auch -- durch Introspektion -- über sein eigenes Wissen darüber. In der in Abschnitt 3.8 vorgestellten autoepistemischen Logik (oder kurz AE-Logik) wird ein Schluß von auf gezogen, falls der Akteur nicht glaubt bzw. nicht weiß, daß gilt.

Allen Ansätzen zum nichtmonotonen Schließen ist gemeinsam, daß sie eine Qualifizierung der gegebenen formalen Weltbeschreibung durchführen. wird dabei als der wesentliche Kern aufgefaßt, der durch geeignete Mechanismen noch zu vervollständigen ist. Die verschiedenen Ansätze unterscheiden sich in der Art dieser Vervollständigungsmechanismen und der entsprechenden, zugrundeliegenden Repräsentation von . Wir führen nun den Vergleich der verschiedenen nichtmonotonen Ansätze anhand einer Reihe von Merkmalen aus, die solche Mechanismen charakterisieren. Die Quintessenz der nachfolgenden Diskussion sammeln wir in Tabelle 3.1 am Schluß dieses Abschnitts. Wir konzentrieren uns dabei auf die schon oben genannten Hauptvertreter, nämlich die AWA und die Zirkumskription für das Weltabgeschlossenheitsschließen, die E- und die K-Logik für das Ermangelungsschließen, sowie die AE-Logik für das autoepistemische Schließen. Weitere in diesem Kapitel präsentierte Ansätze lassen sich auf einen der Hauptvertreter zurückführen. So ist beispielsweise die in Abschnitt 3.6 vorgestellte Theoriebildung von Poole ein Spezialfall der E-Logik und die AE-Logik eine Weiterentwicklung der im Abschnitt 3.8 diskutierten nichtmonotonen Logik von McDermott und Doyle.

Alle Ansätze zum nichtmonotonen Schließen erweitern die klassische Prädikatenlogik und erlauben, Schlüsse zu ziehen, die über die klassischen Prädikatenlogik hinausgehen. In diesem Sinne können wir die den Ansätzen gemeinsame Idee wie folgt beschreiben. Ist eine Weltbeschreibung und eine Formel (die üblicherweise nicht aus herleitbar ist), so stellt ein solcher Ansatz, auf eine für ihn spezifische Weise, eine Menge von Annahmen zur Verfügung, so daß eine konsistente Erweiterung unseres Weltwissens darstellt und aus herleitbar ist. Diese Sichtweise wurde auch schon in Abschnitt 3.2 zur Illustration der AWA verwendet und in Abbildung 3.1 veranschaulicht.

Wir führen uns nun noch einmal vor Augen, welche Formeln überhaupt sinnvoll als Annahmen verwendet und damit zu hinzugenommen werden sollten. Zunächst stellen wir fest, daß durch das Hinzufügen von Formeln, die bereits in enthalten oder aus klassisch herleitbar sind, keinerlei Effekt hinsichtlich der Ableitbarkeit erzielt wird. Gleichwohl ist dies in manchen Ansätzen (wie etwa dem der E-Logik) nicht ausgeschlossen, da ja nur redundante Information hinzugenommen wird. Letzteres gilt natürlich nicht für Formeln, deren Negate in enthalten oder aus klassisch herleitbar sind, denn solche Annahmen würden der zugrundeliegenden Weltbeschreibung widersprechen. Also kommen als sinnvolle und nützliche Annahmen insgesamt nur solche Formeln in Frage, für die weder sie selbst noch ihre Negation aus herleitbar sind. Formal ist damit eine sinnvolle Annahmenmenge bezüglich wie folgt eingeschränkt.

Betrachten wir nun die jeweiligen Mechanismen zur Generierung der Annahmenmenge . Häufig werden hier die Ansätze zum nichtmonotonen Schließen in zwei Klassen eingeteilt. Zum einen haben wir die Minimierungsansätze, zu denen das Weltabgeschlossenheitsschließen zählt, bei dem nur die klassisch aus der Weltbeschreibung ableitbaren Formeln als gültig und alle anderen Aussagen als falsch betrachtet werden. Zum anderen haben wir die konsistenzbasierten Ansätze, zu denen das Ermangelungsschließen und das autoepistemische Schließen zählt, bei denen Annahmen aufgrund der Konsistenz von Formeln und damit der Nichtableitbarkeit der jeweiligen Negation generiert werden.

Bei den in den ersten Abschnitten dieses Kapitels behandelten nichtmonotonen Formalismen handelt es sich durchweg um Minimierungsansätze. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß nur die in einem gewissen Sinne minimalen oder sogar kleinsten Modelle betrachtet werden. Während bei der klassischen Inferenz -- Vollständigkeit vorausgesetzt -- jede Formel ableitbar ist, die in allen Modellen gilt, betrachtet man hier eine Art Minimalinferenz [Bib87a] in dem Sinne, daß eine Formel dann ableitbar ist, wenn sie in allen minimalen Modellen gilt. Durch die Eliminierung nichtminimaler Modelle werden dann mehr und insbesondere auch negative Formeln ableitbar. Wie dies im einzelnen technisch realisiert wird, wurde in den jeweiligen Abschnitten dieses Kapitels gezeigt. Wir erinnern lediglich noch einmal an die Vorgehensweise bei der AWA (vgl. Abschnitt 3.2) und bei der Zirkumskription (vgl. Abschnitt 3.5). Bei der AWA werden negative Grundatome zur Weltbeschreibung hinzugefügt, falls die Grundatome selbst nicht aus der Weltbeschreibung ableitbar sind. Man erhält dadurch eine vollständige Theorie, die jedoch nur dann konsistent ist, wenn ein kleinstes Modell besitzt. Dies ist insbesondere bei Hornformeln der Fall. Bei der Zirkumskription beschränkt man die Folgerbarkeitsbeziehung auf diejenigen Modelle der Weltbeschreibung , in welchen die wenigsten Objekte (oder Tupel von Objekten) das zirkumskribierte Prädikat erfüllen.

In den konsistensbasierten Ansätzen wird, wie oben schon erwähnt, eine Annahme dann zur Weltbeschreibung hinzugefügt, wenn die Negation bestimmter Formeln nicht aus ableitbar ist. Dabei wird in der E-Logik die Konsequenz einer Ermangelungsregel

nur dann zu einer Extension von hinzugefügt, wenn bereits in der Extension enthalten ist und mit der Extension konsistent ist. In den modalen Ansätzen werden Annahmemengen aufgrund von Konsistenzbedingungen spezifiziert und explizit in die Weltbeschreibung aufgenommen. So wird in der AE-Logik die Menge (neben der zur Introspektion verwendeten Annahmenmenge ) als Konsistenzannahmen zur Weltbeschreibung hinzugefügt, bevor der Ableitungsmechanismus in Gang gesetzt wird. Eine modale Propositionen der Form wird also nur dann hinzugefügt, wenn nicht schon ein der Extension . In der K-Logik von Delgrande wird eine konditionale Implikation dann als materiale Implikation zur speziellen Weltbeschreibung hinzugefügt, wenn die so erhaltene Menge konsistent ist (und die im Abschnitt 3.9.1 genannten Spezifizitätskriterien erfüllt).

Bei der Unterscheidung zwischen konsistenz- und minimierungsbasierten Ansätzen handelt es sich allerdings lediglich um eine mögliche Sichtweise. In der Literatur finden sich auch andere Klassifikationen (siehe zB. [Rei87a, Bre87]). Auch ist die Trennung in konsistenz- und minimierungsbarierte Ansätze nicht so strikt, wie sie vielleicht auf den ersten Blick aussieht. Betrachten wir beispielsweise die in Abschnitt 3.3 vorgestellte Prädikatsvervollständigung, ein zur Klasse des Weltabgeschlossenheitsschließens gehörender und damit minimierungsbasierter Ansatz. Für die (semantische) Prädikatsvervollständigung existiert ein für solitäre Klauselmengen korrekter, syntaktischer Mechanismus, nämlich die in Abschnitt 3.4 präsentierte Negation als Mißerfolg (oder kurz NaM). Dabei wird das Negat eines Grundatoms dann als ableitbar angenommen, wenn der Versuch das Atom selbst zu beweisen in endlicher Zeit fehlschlägt. Wie in [GL91] gezeigt, ist die NaM ein Spezialfall der E-Logik und somit auch konsistenzbasiert. Deshalb führen wir die NaM in der Tabelle 3.1 auch unter der E-Logik an. Aber auch die AWA und die Zirkumskription können als konsistenzbasierte Ansätze angesehen werden. Dies ist bei der AWA noch offensichtlicher, da hier die Negation eines Grundatoms hinzugenommen wird, falls das Atom selbst nicht ableitbar ist, was als Konsistenzbedingung angesehen werden kann. Bei der Zirkumskription ist die Möglichkeit einer Sicht als Konsistenzansatz hingegen nicht ganz so offensichtlich. Betrachten wir dazu die Zirkumskriptionsformel für ein Prädikat in

so beobachten wir, daß nur für solche Prädikatsausdrücke gefordert wird, die auch erfüllen, dh. für die gilt. Interpretieren wir diese Bedingung als eine Art Konsistenztest, dann wird damit die Minimalitätsforderung nur auf solche Prädikatsausdrücke angewendet, die mit der Weltbeschreibung (in diesem Sinne) konsistent sind. Auf der anderen Seite aber unterscheiden sich minimierungs- und konsistenzbasierte Ansätze in der Frage, ob die durch die Anwendung des zugrundeliegenden Mechanismus auf eine konsistente Weltbeschreibung erhaltenen Extensionen selbst wieder konsistent sind. Für alle konsistenzbasierten Ansätze kann diese Frage positiv beantwortet werden, während dies für Minimierungsansätze nicht der Fall ist. So haben wir bereits in Abschnitt 3.1 festgestellt, daß die AWA zu einer inkonsistenten Theorie führen kann, falls die ihr zugrundeliegende Weltbeschreibung kein kleinstes Modell besitzt. Dasselbe Problem taucht auch in der Zirkumskription auf. Besitzt eine Weltbeschreibung keine minimalen Modelle, so führt die Zirkumskription zu einer inkonsistenten Theorie.

In den letzten Absätzen haben wir Möglichkeiten zur Klassifizierung der Ansätze zum nichtmonotonen Schließen aufgezeigt. Im folgenden wollen wir anhand einiger Kriterien weitere Unterschiede zwischen den einzelnen Ansätzen herausarbeiten und in der Tabelle 3.1 festhalten. Zunächst wenden wir uns der Repräsentation sowie der Behandlung von Ermangelungswissen zu.

In der E-Logik werden Ermangelungsregeln als Kalkülregeln der Gestalt (3.2) formalisiert. In unserem Beispiel der Eiscreme-liebenden Kinder haben wir in Abschnitt 3.7 die (normale) Ermangelungsregel

verwendet. Ist eine solche Kalkülregel anwendbar, so wird ihre Folgerung als Annahme zur Extension der Weltbeschreibung hinzugefügt.

In der K-Logik von Delgrande werden Ermangelungsregeln als konditionale Implikationen repräsentiert, wie dies durch unser Beispiel

veranschaulicht wird. Grundinstantiierte materiale Implikationen der Form werden dann zur speziellen Weltbeschreibung hinzugenommen, wenn sie mit ihr konsistent sind und die in Abschnitt 3.9.1 genannten Spezifizitätskriterien erfüllen.

In der AE-Logik werden Ermangelungsregeln mittels modaler Formeln formalisiert. So lautet die Ermangelungsregel in unserem Eiscreme-Beispiel 3.2 hier

Modale Formeln der Gestalt werden als Annahmen zur Extension der Weltbeschreibung dann hinzugefügt, wenn (wie oben bereits angesprochen) nicht schon in der Extension enthalten ist.

Ein ähnliches Vorgehen ist auch bei der AWA gegeben. Ist ein Grundatom nicht aus der Weltbeschreibung ableitbar, so wird deren Negat, nämlich , als Annahme hinzugefügt, bevor der Ableitungsmechanismus in Gang gesetzt wird. Bei dieser Vorgehensweise werden also nur Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe betrachtet.

Dagegen wird zur Zirkumskription eine Sprache der Prädikatenlogik zweiter Stufe verwendet. Ermangelungsregeln selbst werden allerdings weiterhin in der Prädikatenlogik erster Stufe formuliert. So haben wir in Abschnitt 3.5 die Ermangelungsregel unseres Eiscreme-Beispiel 3.2 mittels der Formel

formalisiert, wobei das Prädikat das Attribut ``abnormal'' bezeichnet. Durch die Hinzunahme des Axioms der Form (3.3) wird dann die Zugehörigkeit von Objekten zu bestimmten ausgezeichneten Prädikaten, den sogenannten zirkumskribierten Prädikaten, minimiert. Beispielsweise kann man so durch Zirkumskription des Prädikats in der letzten Formel ableiten, also für zeigen, daß es ``normal'' ist.

Die Wahl des jeweils verwendeten Mechanismus hat zahlreiche Konsequenzen. Zunächst bestimmt der Mechanismus die syntaktische Gestalt der Annahmen, so daß mit seiner Wahl auch die Wahl der dem Ansatz zugrundeliegenden Sprache eng verknüpft ist. Bei der vorangegangenen Diskussion haben wir implizit die jeweils zugrundegelegte Sprache bereits mit besprochen. Bei der E-Logik handelt es sich hierbei um beliebige Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe, die als Annahmen hinzugenommen werden. Auch bei der AWA wird eine Sprache der Prädikatenlogik erster Stufe zugrundegelegt. Allerdings werden hier als Annahmen nur negative Grundatome verwendet.

Obwohl eine Weltbeschreibung in der Zirkumskription üblicherweise auch in der Prädikatenlogik erster Stufe formuliert wird, muß prinzipiell eine Sprache der Prädikatenlogik zweiter Stufe betrachtet werden, da das Zirkumskriptionsaxiom (3.3) eine Formel zweiter Stufe darstellt. Wie wir allerdings in Abschnitt 3.5.1 gesehen haben, existieren große Formelklassen, für die man auch ein Zirkumskriptionsaxiom in der Prädikatenlogik erster Stufe angeben kann, so daß für diese Klassen die gesamte Behandlung in der Sprache erster Stufe durchführbar ist. Wie bei der AWA ist auch bei der Zirkumskription die Gestalt der Annahmen beschränkt. Es können nur neue negative Grundatome von zirkumskribierten Prädikaten (wie in unserem obigen Beispiel) abgeleitet werden. Dies wird bei der variablen Zirkumskription insoweit verallgemeinert, als dort auch beliebige Literale von variierten Prädikaten abgeleitet werden können (vgl. Abschnitt 3.5.2).

Die AE-Logik bedient sich als modale Logik einer modalen Sprache erster Stufe. Auch hier ist diese Erweiterung auf die Gestalt der hinzuzufügenden Annahmenmenge zurückzuführen, die wir -- wie oben gezeigt -- für eine gegebene Extension auch exakt angeben können.

Weitere Kriterien zum Vergleich der nichtmonotonen Formalismen sind die Möglichkeit zur Revision einer Weltbeschreibung und die Frage, inwieweit ein Ansatz die Widerspruchsfreiheit der Weltbeschreibung gewährleistet. Die im Kontext der nichtmonotonen Logiken wohl interessanteste Revisionsoperation ist das Hinzufügen neuer Information, wie sie etwa durch Beobachtungen auftreten kann. Trivialerweise erlauben alle Ansätze die Hinzunahme von bereits mit oder ohne Hilfe von Ermangelungswissen abgeleiteten Aussagen. In den meisten Ansätzen wird eine solche Operation ganz einfach durch eine Erweiterung der Weltbeschreibung bzw. der darin ausgezeichneten Menge von Fakten realisiert. Eine Ausnahme bildet hierbei die Zirkumskription, bei der das Zirkumskriptionsaxiom (3.3) und darin insbesondere die Teilformel geeignet modifiziert werden müssen. Ein interessanter Fall tritt ein, wenn etwa eine Beobachtung einer zuvor getroffenen Annahme widerspricht. Eine solche Situation führt jedoch in keinem der betrachteten Ansätze zu Problemen. Widerspricht eine Beobachtung einer getroffenen Annahme, so wird letztere zurückgenommen, was sich formal in der Eigenschaft der Nichtmonotonie widerspiegelt.

Ein weiterer Unterschied der verschiedenen Ansätze ist durch die Möglichkeit zur Bildung alternativer Extensionen einer gegebenen Weltbeschreibung gegeben. Die Bildung alternativer Extensionen ist insbesondere in allen konsistenzbasierten Ansätzen möglich. Man hat daher die Möglichkeit, zwischen einem skeptischen und einem leichtgläubigen Theoriebegriff zu wählen. Im ersteren Fall akzeptiert man eine Aussage nur dann, wenn sie in allen alternativen Extensionen der Weltbeschreibung enthalten ist, wohingegen man im zweiten Fall eine Aussage schon dann als herleitbar betrachtet, wenn sie in mindestens einer solchen Extension vorkommt. Dagegen ermöglichen die Minimierungsansätze, wie die AWA oder die Zirkumskription, nur einen skeptischen Theoriebegriff. Semantisch gesehen ist dies auch sinnvoll, da man sich bei diesen Ansätzen auf die Folgerbarkeit in allen minimalen Modellen oder sogar in einem kleinsten Modell beschränkt. Damit ist die Menge der ableitbaren Formeln eindeutig durch die in den minimalen Modellen gültigen Formeln gegeben.

Die K-Logiken von Delgrande und von Geffner und Pearl erlauben ebenfalls mehrere Extensionen. Jedoch werden hier spezifischere Informationen ausgenutzt, um Präferenzen zwischen Extensionen auszurechnen. Sind bei einer gegebenen Weltbeschreibung mehrere konditionale Implikationen anwendbar, dann wird die Implikation bevorzugt, deren Prämissen am spezifischsten sind. Die Spezifizität folgt dabei aus der Weltbeschreibung. Im Gegensatz dazu können solche Präferenzen in der E-Logik oder der Zirkumskription erst dann bestimmt werden, wenn weitere Standardannahmen bzw. Ordnungen auf den zirkumskribierten Prädikaten explizit zur Weltbeschreibung hinzugefügt werden.

Ein komplexitätstheoretischer Vergleich der auf Fixpunktkonstruktionen beruhenden Ansätze zum nichtmonotonen Schließen (Ermangelungslogik, nichtmonotone Logik und autoepistemische Logik) findet sich in [Got92a], auf den wir hier nicht mehr eingehen können. Wir erwähnen lediglich in diesem Zusammenhang, daß die konditionalen Ansätze besonders aus komplexitätstheoretischen Gründen Vorteile zu bieten scheinen.

Auch wollen wir an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, daß alle in den vorangegangenen Abschnitten vorgestellten Ansätze zur Formalisierung nichtmonotoner Schlußweisen im allgemeinen Fall nicht entscheidbar sind. Die Prädikatenlogik erster Stufe ist semi-entscheidbar, dh. nur die gültigen Formeln einer betrachteten Theorie sind rekursiv aufzählbar, dh. der Nachweis der Gültigkeit kann für jede gültige Formel in endlicher Zeit mechanisch erbracht werden. Ein Nachweis der Falsifizierbarkeit ist dagegen im allgemeinen nicht durchführbar, da dieser nicht terminieren muß. Bezieht man sich nun beim Ableiten von Formeln auf die Konsistenz von Aussagen und damit auf die Nichtableitbarkeit der Negation dieser Aussagen, so muß dieser Nachweis nicht terminieren. Damit verlieren alle Logiken, die sich beim Inferenzprozeß auf die Konsistenz von Aussagen berufen, die Eigenschaft der Semi-Entscheidbarkeit. Es ist folglich nicht einmal mehr entscheidbar, ob eine in einer nichtmonotonen Logik gültige Aussage auch ableitbar ist.

Beschränkt man sich allerdings auf entscheidbare Theorien, etwa solche mit endlichem Herbranduniversum, so verursacht eine Konsistenzprüfung grundsätzlich keine Probleme. Denn ist eine Formel falsifizierbar, dann kann auch der Nachweis dafür nach endlich vielen Schritten erbracht werden. Demnach ist es dann auch für eine konsistenzbasierte nichtmonotone Logik entscheidbar, ob eine Aussage zur Theorie gehört oder nicht.

Aber auch bei anderen nichtmonotonen Logiken, die wie die Zirkumskription ohne explizite Konsistenzbedingungen arbeiten, ist die Semi-Entscheidbarkeit oder gar die Entscheidbarkeit nur durch die Einschränkung auf spezielle Formelklassen gewährleistet. Bei der Zirkumskription ist man durch die Verwendung von Formeln der Prädikatenlogik zweiter Stufe vor etliche Probleme gestellt. Da die Prädikatenlogik zweiter Stufe nicht mehr semi-entscheidbar ist, ist es auch nicht möglich, den Nachweis der Gültigkeit einer gültigen Formel mechanisch zu erbringen. Die hieraus erwachsenden Probleme sind vielfältig. Zum einen stimmen in der Prädikatenlogik zweiter Stufe die Begriffe der Erfüllbarkeit und Konsistenz nicht mehr überein, und zum anderen gilt der Kompaktheitssatz nicht mehr. Der letztere ist unter anderem sehr wichtig für das Erbringen von mechanischen Beweisen, denn er besagt, daß eine Theorie genau dann erfüllbar ist, wenn jede ihrer endlichen Teilmengen erfüllbar ist. Bei Widerspruchsbeweisen genügt es dann zu zeigen, daß eine endliche Teilmenge unerfüllbar ist, um die Unerfüllbarkeit der gesamten Menge nachzuweisen. In der Prädikatenlogik zweiter Stufe ist die Existenz einer endlichen inkonsistenten Teilmenge zwar eine hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung für die Inkonsistenz. Aber auch bei Vernachlässigung dieser Probleme bleibt die Schwierigkeit, die geeigneten Formeln für die Substitution der Variablen zweiter Stufe in der Formel (3.3) anzugeben. Die meisten in den vorigen Abschnitten angegebenen Beispiele ermöglichten es, durch eine geschickte Wahl der Substitution der Prädikatsvariablen auch die gewünschten Resultate zu erhalten. Doch verbirgt sich dahinter im allgemeinen eine vielschichtige Heuristik, die in den Inferenzprozeß eingeht und dementsprechend auch formuliert werden muß.

Das Problem der Unentscheidbarkeit ist darauf zurückzuführen, daß auf ganze Theorien Bezug genommen wird. Ob man die Konsistenz einer Aussage bezüglich einer Theorie fordert oder versucht, sich auf die klassisch ableitbaren und damit auch folgerbaren Aussagen einer Theorie zu beschränken, immer muß man sich dabei auf die Theorie als Ganzes beziehen. Die Zirkumskription verwendet dazu ein Axiom der Prädikatenlogik zweiter Stufe, wodurch hier die Semi-Entscheidbarkeit verloren wird. Die konsistenzbasierten Ansätze fordern explizit die Konsistenz einer Theorie.

Das Problem der mangelnden Entscheidbarkeitseigenschaften ist zwar schwerwiegend, doch sollte es nicht dazu führen, die nichtmonotonen Logiken pauschal zu disqualifizieren. Zum Vergleich erwähnen wir, daß auch die Nichtentscheidbarkeit der Prädikatenlogik erster Stufe zunächst als ein schwerwiegender Nachteil angesehen wurde, ohne der erfolgreichen Entwicklung von Beweissystemen Abbruch zu tun. Ist man sich des Problems bewußt und lernt damit umzugehen, so können die damit verbundenen Probleme durchaus bis zu einem gewissen Grade gemeistert werden.

Abschließend weisen wir darauf hin, daß im letzten Teil des Abschnittes 4.2.4 weitere Vergleiche nichtmonotoner Logiken gezogen werden, die in diesem Sinne auch als Fortsetzung des vorliegenden Abschnittes angesehen werden können. Auch erwähnen wir noch, daß sich in der Literatur eine Reihe von Arbeiten über paarweise Vergleiche nichtmonotoner Ansätze finden, die wir hier im einzelnen nicht mehr berücksichtigen konnten [Lif85a, GPP89, Rei82, Lif89, QI91, Kon88, Tru91].

AWA Zirkumskription E-Logik [NaM] K-Logik AE-Logik
Klassifikation minimierungsbasiert minimierungsbasiert konsistenzbasiert konsistenzbasiert konsistenzbasiert
Regelform --

[B :- A, not C]

Lesart -- 's sind 's, falls nicht abnormal 's sind 's, falls konsistent mit

[ , wenn und nicht endlich beweisbar]

's sind normalerweise 's 's sind 's, falls nicht geglaubt wird
Sprachebene erste Stufe zweite Stufe erste Stufe erste Stufe erste Stufe
Logik Prädikatenlogik erster Stufe Prädikatenlogik zweiter Stufe Prädikatenlogik erster Stufe

[A,B,C Grundatomformeln]

Konditionale Logik erster Stufe Modallogik erster Stufe
Annahmen Negative Grundatomformeln Negative Literale der zirkumskribierten Prädikate, sowie beliebige Literale der variierten Prädikate (bei variabler Zirkumskription) Beliebige Formeln der Prädikatlogik erster Stufe, die als Konsequenzen von Ermangelungsregeln gegeben sind. Klassische Varianten der Konditionalsätze Modale Propositionen der Gestalt und
Mechanismus Metaaussage Axiom zweiter Stufe Fixpunktberechnung mittels Kalkülregeln Vorberechnung der intendierten Formeln Fixpunktberechnung mittels modaler

Propositionen

Revision Ja Ja, bei Modifikation des Zirkumskriptionsaxioms Ja Ja Ja
Widerspruchsfreiheit Nein Nein Ja Ja Ja
Alternative Extensionen Nein Nein Ja Ja Ja
Spezifizität Nein Nein Nein Ja Nein
Tabelle: Vergleich der Ansätze zum nichtmonotonen Schließen



gif gif up gif contents index

Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996