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4.2.4 Deduktive Wissensbasen und epistemische Anfragen

Auf Datenbanken und deren Verallgemeinerung, den deduktiven Wissensbasen, sind wir in diesem Buch schon mehrfach zu sprechen gekommen (zB. in den Abschnitten 2.11.1 und 3.2). Wegen ihrer herausragenden Bedeutung wollen wir in diesem Abschnitt zwei Ansätze zur Behandlung metasprachlicher Anfragen an deduktive Wissensbasen vorstellen, die als Anwendung der in den vorangegangenen Teilen dieses Abschnittes diskutierten Methoden der Formalisierung der Metaebene angesehen werden können. Inbesondere beschäftigen wir uns dabei mit der Frage, wie man Wissen über das Vorhandensein von Information in einer Wissensbasis formalisieren kann. Wir beginnen mit einer Motivation anhand von Beispielen.

Beispiele

Herkömmliche relationale Datenbanken bestehen aus logischer Sicht aus einer Menge von Grundatomformeln. Eine Anfrage an eine solche Datenbank ist dann ein Test, ob eine gegebene Grundatomformel in der Datenbank vorhanden ist oder nicht. Dagegen wollen wir unter einer deduktiven Wissensbasis eine Menge von Sätzen (also nicht nur Grundatomen) der Prädikatenlogik erster Stufe verstehen. In diesem Sinne handelt es sich also um eine klassische Weltbeschreibung, wie wir sie bisher in diesem Buch auch schon verwendet haben. Im Unterschied zu einer herkömmlichen Datenbank enthält eine deduktive Wissensbasis also auch generisches Wissen, etwa in Form von Regeln, sowie einen Inferenzmechanismus, mit dessen Hilfe man weiteres Wissen ableiten kann. Andererseits wird im Unterschied zu allgemeinen Theorien der Prädikatenlogik erster Stufe die einer Wissensbasis zugrunde liegende Sprache oft eingeschränkt. Sie enthält, wie wir weiter unten noch sehen werden, oft keine Funktionssymbole und nur endlich viele Konstantensymbole. Eine Anfrage an eine deduktive Wissensbasis ist dann ein Test, ob eine gegebene Formel aus der Wissensbasis ableitbar ist oder nicht. Insbesondere werden wir weiter unten einen Ansatz vorstellen, in dem Anfragen mit epistemischen Modaloperatoren versehen werden, um auch Metaanfragen formulieren zu können (vgl. Abschnitt 4.2.1 ).

Betrachten wir zunächst das folgende Beispiel von Studenten in Vorlesungen. Jeder Student, der eine Vorlesung besucht, ist soweit wie möglich in der Wissensbasis mittels des zweistelligen Prädikats Hört erfaßt. Betrachten wir dazu die folgende Wissensbasis :

Die ersten beiden Fakten dieser Wissensbasis entsprechen einer herkömmlichen Datenbank, da sie jeweils Grundatomformeln sind. Die drei letzten Einträge der Wissensbasis übersteigen allerdings die Ausdrucksmöglichkeiten herkömmlicher Datenbanken. Der dritte und vierte Eintrag stellen unbestimmtes Wissen dar. Die Disjunktion sagt uns, daß Stefan entweder die Vorlesung zur Informatik oder zur Psychologie oder sogar beide besucht. Es liegt also keine bestimmte Information über die von Stefan besuchte Vorlesung vor. Der vierte Eintrag wird im Datenbankjargon als ``Nullwert'' bezeichnet. Er besagt, daß die Vorlesung Psychologie zwar Zuhörer hat, diese aber nicht erfaßt worden sind. Der letzte Eintrag unserer Wissensbasis ist eine Regel, die aussagt, daß jeder Student, der eine Vorlesung zur Informatik besucht, auch eine Vorlesung zur Mathematik besucht, aber nicht notwendigerweise auch umgekehrt.

Wir können nun diverse Anfragen an diese Wissensbasis stellen. Eine Anfrage wird dabei mit Ja beantwortet, falls sie aus der Wissensbasis herleitbar ist, mit Nein, falls ihr Negat aus herleitbar ist. Ansonsten wird mit Unbekannt geantwortet.

  1. Anfrage: Hört(mat,antje)
    Antwort: Ja.
  2. Anfrage: Hört(inf,antje)
    Antwort: Unbekannt.
  3. Anfrage: Hört(inf,eva)
    Antwort: Ja.
  4. Anfrage: Hört(mat,eva)
    Antwort: Ja.
  5. Anfrage: Hört(inf,stefan)
    Antwort: Unbekannt.
  6. Anfrage: Hört(psy,stefan)
    Antwort: Unbekannt.
  7. Anfrage:
    Antwort: Ja, Informatik oder Psychologie.
Die Beantwortung der ersten drei Anfragen entspricht der in herkömmlichen Datenbanken. Die vier restlichen Anfragen gehen jedoch wieder über herkömmliche Datenbanken hinaus.

Die Anfrage 4, ob Eva die Vorlesung zur Mathematik besucht, ist nicht direkt aus der Wissensbasis abrufbar. Um diese Anfrage zu beantworten, muß der der Wissensbasis zugrundeliegende Inferenzmechanismus verwendet werden. Konkret wird dabei aus dem zweiten Fakt der Wissensbasis Hört( inf,eva) sowie der Regel

mittels modus ponens geschlossen, daß Eva auch die Vorlesung zur Mathematik besucht, nämlich Hört(mat,eva).

Die letzten drei Anfragen zeigen, wie unbestimmtes Wissen in deduktiven Wissensbasen behandelt wird. Es ist weder bekannt, daß Stefan die Informatik-Vorlesung, noch daß er die Psychologie-Vorlesung hört. Allerdings kann man ableiten, daß er zumindest eine von beiden Vorlesungen besucht (Anfrage 7 -- natürlicherweise würde man jedoch eher mit Vielleicht antworten).

Üblicherweise werden deduktive Wissensbasen allerdings gegenüber allgemeinen Theorien der Prädikatenlogik erster Stufe noch etwas eingeschränkt. Zunächst unterscheidet sich eine deduktive Wissensbasis von einer allgemeinen Theorie durch eine eingeschränkte Sprache, die insbesondere keine Funktionssymbole und oft nur endlich viele Konstantensymbole enthält. Auch wir wollen uns im folgenden dieser Einschränkung anschließen und nur eine Sprache mit endlich vielen Konstantensymbolen betrachten.

Zudem werden für deduktive Wissensbasen häufig, wie etwa in [GMN84], die Namenseindeutigkeit, die Bereichsabgeschlossenheit sowie die Annahme der Weltabgeschlossenheit gefordert, auf die wir im folgenden zu sprechen kommen. Die Annahme der Weltabgeschlossenheit haben wir bereits in Abschnitt 3.2 kennengelernt und dort anhand von Datenbanken erläutert: Ist eine Grundatomformel nicht in einer Datenbank enthalten, so wird unter Annahme der Weltabgeschlossenheit ihre Negation angenommen. Dementsprechend würden wir in unserem Beispiel unter Annahme der Weltabgeschlossenheit als Antwort auf unsere Anfrage 2, Hört(inf, antje), ein Nein erhalten. Dagegen würde die Negation der Anfrage 2, nämlich unter der Annahme der Weltabgeschlossenheit mit Ja beantwortet werden.

Die Namenseindeutigkeit und die Bereichsabgeschlossenheit werden bei Wissensbasen axiomatisch beschrieben. Dazu muß eine Wissensbasis mit einem geeigneten Axiom versehen werden.

Das Axiom der Namenseindeutigkeit fordert, daß die Konstantensymbole unserer Sprache paarweise verschiedene Objekte (oder Universumselemente) bezeichnen. Sind die in unserer Sprache auftretenden Konstantensymbole, so ist das Axiom der Namenseindeutigkeit durch die folgende Formel gegeben:

Das Axiom der Bereichsabgeschlossenheit fordert, daß die Konstantensymbole unserer Sprache sämtliche betrachteten Objekte (oder Universumselemente) bezeichnen. Sind die in unser Sprache auftretenden Konstantensymbole, so ist das Axiom der Bereichsabgeschlossenheit durch die folgende Formel gegeben:

Dem interessierten Leser wird an dieser Stelle die unterschiedliche Realisierung der Namenseindeutigkeit und der Bereichsabgeschlossenheit auf der einen Seite, und der Realisierung der Weltabgeschlossenheit in Abschnitt 3.2 auf der anderen Seite aufgefallen sein. In der Tat handelt es sich bei der Annahme der Weltabgeschlossenheit um eine Metaannahme, während die Namenseindeutigkeit und die Bereichsabgeschlossenheit axiomatisch und daher objektsprachlich beschrieben worden sind.

Wir wollen diesen Unterschied kurz anhand der Forderung nach Namenseindeutigkeit erläutern. In Abschnitt 3.2 haben wir die Namenseindeutigkeit als Metaannahme kennengelernt. Sie kann nämlich als ein Spezialfall der Annahme der Weltabgeschlossenheit angesehen werden, indem man unter ihr von der Ungleichheit zweier Terme ausgeht, solange nicht das Gegenteil bewiesen werden kann. Realisiert man dagegen die Namenseindeutigkeit objektsprachlich in Form des oben angegebenen Axioms, so wird explizit gefordert, daß alle in einer Wissensbasis auftretenden Terme paarweise verschieden sind.

Wir wollen uns im folgenden auf die Forderungen nach Namenseindeutigkeit und Bereichsabgeschlossenheit beschränken und diese als Axiome zu einer Wissensbasis hinzufügen.

In unserem Beispiel müssen wir also zur Formulierung der Namenseindeutigkeit und der Bereichsabgeschlossenheit die beiden folgenden Axiome zur Wissensbasis hinzufügen.

Wir wollen die so erhaltene Wissensbasis als bezeichnen.

Nun wenden wir uns Beispielen von Anfragen zu, die nicht nur nach dem Inhalt einer Wissensbasis, sondern auch nach dem Kenntnisstand der Wissensbasisfragen. Hierzu wird die Anfragesprache um einen epistemischen Modaloperator erweitert (vgl. Abschnitt 4.2.1 ). Eine Formel der Gestalt wird dann als ``die Wissensbasis weiß '' interpretiert. Der Modaloperator erlaubt es daher, Aussagen über das Wissen, dh. metasprachliche Aussagen, auf der Objektebene zu formulieren.

Anstelle einer Aussage ``die Wissensbasis weiß, daß gilt'', können wir nun sagen, daß gilt, bzw. ``die Wissensbasis weiß '' gilt. Dementsprechend werden Aussagen wie ``die Wissensbasis weiß nicht, daß gilt'' zu objektsprachlichen Aussagen der Form Die Gültigkeit einer Metaaussage wird damit auf die in der Logik übliche Gültigkeit einer objektsprachlichen Aussage zurückgeführt.

Wollen wir nun an unsere obige Wissensbasis die Anfrage stellen, ob man weiß, daß Hört(mat,antje) wahr ist, dh. ob wir wissen, daß Antje die Mathematikvorlesung hört, so können wir dies mit Hilfe des epistemischen Modaloperators in der Form

als Anfrage formulieren. Als Antwort müssen wir dann ein klares Ja erhalten, da wir wissen, daß Antje die Mathematikvorlesung besucht, wie wir bereits in der Anfrage 1 gesehen haben. Allerdings wissen wir nicht, ob Antje auch die Informatikvorlesung besucht, was dazu führt, daß wir eine Anfrage der Gestalt

verneinen müssen, aber die Anfrage

bejahen können. In analoger Weise werden wir auch die Anfragen und mit Ja beantworten.

Nicht ganz so einfach ist die Fragestellung, wie wir Metaaussagen über unbestimmtes Wissen behandeln sollen. Dazu konzentrieren wir uns im folgenden auf Anfragen zum unbestimmten Wissen in unserer obigen Wissensbasis.

So können wir dann mit Hilfe des epistemischen Modaloperator die folgenden Anfragen an unsere Wissensbasis stellen:

  1. Anfrage:
    Antwort: Nein.
  2. Anfrage:
    Antwort: Nein.
  3. Anfrage:
    Antwort: Ja.
  4. Anfrage:
    Antwort: Ja.
  5. Anfrage:
    Antwort: Nein.
  6. Anfrage:
    Antwort: Ja.
  7. Anfrage:
    Antwort: Nein.
  8. Anfrage:
    Antwort: Unbekannt.
  9. Anfrage:
    Antwort: Ja, Eva.
Wir diskutieren diese Fragen zunächst weiter in informeller Weise. Die Anfragen 8 bis 12 beschäftigen sich mit Stefans Besuch der Vorlesungen. Da wir weder unbekannte noch falsche Aussagen zu unserem Wissen zählen möchten, müssen wir demnach Anfragen zum Wissen von unbekannten und falschen Aussagen verneinen. Weiß man insbesondere weder, ob eine Aussage, noch ob ihre Negation gilt, so müssen auch beide dazugehörigen Metaaussagen verneint werden. Eine solche Situation ist auch im Fall der Aussage über Stefans Besuch der Informatikvorlesung gegeben. Da weder noch aus unserer Wissensbasis herleitbar ist, wissen wir weder, daß Stefan die Informatikvorlesung besucht, noch das Gegenteil hiervon. Dementsprechend werden die Anfragen 8, und 9, verneint. Dagegen wird die Anfrage 10, ob wir nicht wissen, daß Stefan die Informatikvorlesung hört, bejaht. Obwohl sich die Anfrage 10 von der Anfrage 9 syntaktisch nur durch die Umstellung des Negationszeichens und des Modaloperators unterscheidet, erhalten wir eine entgegengesetzte Antwort. Ein ähnliches Phänomen ist bei den Anfragen 11 und 12 sowie 13 und 14 zu beobachten. Hier wurde jeweils der Modaloperator mit dem Existenzquantor der Variablen vertauscht. In der Anfrage 11 fragen wir an, ob man weiß, daß Stefan eine Vorlesung hört. Dies wird auch bejaht; denn wir wissen, daß er die Psychologie- oder Informatikvorlesung besucht. Im Gegensatz zur Anfrage 8 haben wir nun also ein Ja erhalten, da wir uns bei unserer Anfrage nicht auf eine bestimmte Vorlesung festgelegt haben. Demgegenüber legen wir uns in der Anfrage 12 sozusagen zunächst auf eine Vorlesung fest, bevor wir unser Wissen reflektieren. Wir fragen, ob es eine Vorlesung gibt, von der wir wissen, daß Stefan sie besucht. Da wir dies von keiner bestimmten Vorlesung wissen, müssen wir dementsprechend mit Nein antworten. Die Behandlung der Anfragen 13 und 14 geschieht analog.

Auch die letzten beiden Anfragen sind interessant zu vergleichen. Müssen wir die vorletzte Anfrage, ob es jemanden gibt, der Informatik hört und nicht Psychologie, noch verneinen, so können wir die letzte Anfrage, ob es jemanden gibt, der Informatik hört und von dem wir nicht wissen, ob er Psychologie hört, bejahen und Eva nennen. Müssen wir also zur Beantwortung der Anfrage 15 noch beweisen, daß Eva nicht die Psychologievorlesung hört, so genügt es, in der Anfrage 16 festzustellen, daß wir nicht wissen, daß Eva die Psychologievorlesung besucht. Diese Vorgehensweise ist sehr stark mit dem in Abschnitt 3.4 vorgestellten Prinzip der Negation-als-Mißerfolg verwandt. Insbesondere wird nun klar, daß der betrachtete Ansatz nichtmonoton ist. Erfahren wir etwa, daß Eva die Psychologievorlesung besucht und fügen dazu das Faktum zu unserer Wissensbasis, so können wir nun die Anfrage 16 nicht mehr mit Ja beantworten.

Der Ansatz von Reiter und Levesque

Bisher haben wir lediglich an die Intuition des Lesers appelliert. Wir wollen nun das bisher Beschriebene präzisieren und formal definieren, wann eine Anfrage aus einer gegebenen Wissensbasis folgt. Wir beginnen mit einem Ansatz zur Behandlung von Metaaussagen und Metawissen, der von Levesque in [Lev81, Lev84] vorgeschlagen und von Reiter in [Rei90b, Rei90a] weiterentwickelt wurde. In diesem Ansatz werden Wissensbasen mit Hilfe einer Sprache der Prädikatenlogik erster Stufe beschrieben, während in Anfragen ein modaler Operator zugelassen ist.

Zunächst erinnern wir nochmals an die Semantik der Prädikatenlogik (vgl. Abschnitt 2.3). Eine Struktur zusammen mit einer Abbildung der Zeichen einer logischen Sprache auf die Elemente der Struktur heißt dort eine Interpretation. Wenn die Interpretation eine Formel wahr macht, dann heißt sie ein Modell der Formel. Weiter folgt eine Aussage aus einer Formelmenge, wenn sie in allen Modellen der Formelmenge gilt. Daher müssen wir für die nun anvisierte epistemische Logik zunächst ebenfalls erklären, wie sich der Wahrheitswert einer Aussage in einem Modell bestimmt.

Der Einfachheit halber wollen wir uns dabei, wie schon in Abschnitt 3.2 geschehen, auf sogenannte Herbrandinterpretationen beschränken. Wie dort auf Seite gif beschrieben, wird eine Herbrandinterpretation über den Zeichen des Alphabets der zugrundeliegenden Sprache gebildet und durch eine Menge von Grundatomformeln repräsentiert. Die Menge der mit den Zeichen des Alphabets bildbaren Terme wird dabei als Herbranduniversum bezeichnet. Eine Herbrandinterpretation wird dann ein Herbrandmodell für eine Formel genannt, wenn sie der Formel den Wahrheitswert wahr zuordnet.

Die Beschränkung auf Herbrandinterpretationen macht in unserem Fall auch Sinn, da infolge der mit der Namenseindeutigkeit und der Bereichsabgeschlossenheit gemachten Einschränkungen sowieso nur Modelle auftreten können, die isomorph zu Herbrandmodellen sind. Insbesondere wird durch das Bereichsabgeschlossenheitsaxiom erreicht, daß das Universum eines jeden Modells von der Kardinalität des Herbranduniversums ist. Das Namenseindeutigkeitsaxiom verhindert dabei, daß verschiedenen Konstantensymbolen gleiche Universumselemente zugeordnet werden.

Ein Herbrandmodell unserer obigen (mit den Axiomen der Namenseindeutigkeit und Bereichsabgeschlossenheit versehenen) Wissensbasis enthält daher unter anderem die Grundatomformeln Hört(mat,antje), Hört(inf,eva), Hört(mat,eva) sowie , , , , , als einzige Grundatomformeln für das Gleichheitsprädikat .

Der Wahrheitswert eines Satzes wird nun bezüglich einer Interpretationgif und einer Menge von Interpretationen definiert, während der Wahrheitswert einer Formel der Prädikatenlogik erster Stufe bezüglich einer einzigen Interpretation definiert ist (vgl. Abschnitt 2.3). Das den Interpretationen gemeinsame Universum wollen wir mit bezeichnen.

  1. Ist eine Grundatomformel, so ist wahr in und genau dann, wenn .
  2. ist wahr in und genau dann, wenn nicht in und wahr ist.
  3. ist wahr in und genau dann, wenn und in und wahr sind.
  4. ist wahr in und genau dann, wenn für jedes , in und wahr ist.
  5. ist wahr in und genau dann, wenn für jedes , in und wahr ist.
Es ist zu beachten, daß auch nach dieser Definition der Wahrheitswert einer Formel der Prädikatenlogik erster Stufe, also eine ohne den Modaloperator gebildete Formel, nur von der Interpretation und nicht von der Menge der Interpretationen bestimmt wird. Insbesondere genügen die ersten vier Bedingungen, um den Wahrheitswert einer Formel der Prädikatenlogik erster Stufe zu beschreiben. Die fünfte Bedingung beschreibt den Wahrheitwert von Formeln, die mit dem Modaloperator versehen sind. Ihr Wahrheitwert wird ausschließlich von den Interpretationen in der Menge bestimmt.

Ein Paar von Interpretationen ist nun ein Modell einer Formel genau dann, wenn in und wahr ist.

Eine so gegebene Struktur kann auch als eine modallogische Interpretation im Sinne von Kripke (vgl. mit Tabelle 2.3 in Abschnitt 2.11.7) verstanden werden. Man kann dann zeigen (siehe Aufgabe 6.3.2 in Abschnitt 6.3), daß ein solches Paar von Interpretationen eine Interpretation der schwachen Variante der Modallogik S5 ist.

In der Prädikatenlogik wird der Folgerungsbegriff üblicherweise wie folgt definiert. Eine Aussage folgt aus einer Formelmenge genau dann, wenn in allen Modellen von wahr ist. Wie schon in der Zirkumskription oder der Ermangelungslogik (vgl. Abschnitt 3.5 und 3.7) geschehen, wird auch hier der Folgerungsbegriff auf bestimmte Modelle in der folgenden Weise eingeschränkt. Da wir nur Wissensbasen der Prädikatenlogik erster Stufe betrachten, definieren wir den Folgerungsbegriff zunächst nur zwischen Mengen von Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe und Formeln, die zusätzlich den Modaloperator enthalten dürfen. Sei nun die Menge aller Modelle einer Formelmenge (dh. ist die Menge aller Interpretationen, die jede prädikatenlogische Formel in wahr machen), so folge aus genau dann, wenn für alle , in und im Sinne der vorherigen Definition wahr ist. Damit wird also der Folgerungsbegriff auf Modelle der Form eingeschränkt.

Bevor wir die hinter dieser Konstruktion liegenden Idee erläutern, wollen wir zunächst formal definieren, was eine Antwort auf eine Anfrage an eine Wissensbasis ist.

Sei eine Menge von geschlossenen Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe und eine Formel, die den Modaloperator enthalten darf und die freien Variablen besitzt.

Ein Tupel von Termen ist dann eine Antwort auf bezüglich genau dann, wenn für alle , in und wahr ist.

Wir schreiben dann

Besitzt keine freien Variablen, so lautet die Antwort für bezüglich :

Ja wenn für alle , in und wahr ist, dh. gilt.
Nein wenn für alle , in und wahr ist, dh. gilt.
Unbekannt ansonsten.

Mit der soeben betrachteten Beschränkung auf Modelle der Form mit beschränken wir uns auf maximale Mengen von Interpretationen, und zwar aus dem Blickwinkel einer jeden solchen Interpretation . Dies hat den folgenden Grund. Die Menge der Interpretationen in einem Modell dient zur Charakterisierung von Formeln der Gestalt und damit zur Beschreibung von Metaaussagen, dh. Aussagen über die betrachtete Wissensbasis. Je größer die Menge der Interpretationen ist, desto weniger Aussagen werden von ihr erfüllt. Man beschränkt sich damit auf den absolut minimalen Wissenstand.

Ist eine Formel der Prädikatenlogik, so ist aufgrund der Definition eine Aussage der Gestalt genau dann aus einer Wissensbasis folgerbar, wenn ``klassisch'' aus folgt, dh. daß in allen (prädikatenlogischen) Interpretationen von gilt. Ist dies nicht der Fall, dh. gilt nicht in allen (prädikatenlogischen) Interpretationen von , so können wir aus folgern. Formal gelten daher die folgenden Beziehungen.

Ist eine Menge von Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe, die das Namenseindeutigkeits- und Bereichsabgeschlossenheitsaxiom enthalten, und eine Formel der Prädikatenlogik erster Stufe, so gilt:

Dabei bezeichnet wie immer die Folgerungsbeziehung der Prädikatenlogik erster Stufe. Der obige Zusammenhang zeigt, daß sich der Modaloperator bezüglich der Folgerungsbeziehung wie ein Beweisbarkeitsprädikat verhält.

Integritätsbedingungen

Wir wollen nun auf eine wichtige Anwendung des im Vorangegangenen besprochenen Ansatzes von Levesque und Reiter zu sprechen kommen. Sowohl in herkömmlichen Datenbanken als auch in deduktiven Wissensbasen spielt das Konzept von Integritätsbedingungen eine wichtige Rolle. Da sowohl Datenbanken als auch Wissensbasen häufig verändert werden, muß sichergestellt werden, daß sich jede nach einer Modifikation erhaltene Wissensbasis in einem ``legalen'' Zustand befindet. Dies wird mit Hilfe von Integritätsbedingungen gewährleistet.

Beispielsweise muß jeder Student eine Matrikelnummer haben. Eine solche Forderung kann man mit Hilfe eines einstelligen Prädikats Student und eines zweistelligen Prädikats Mat# wie folgt formalisieren:

In der Literatur finden sich allerdings zwei unterschiedliche Behandlungsweisen solcher Integritätsbedingungen. Die erste derartige Definition stammt von Kowalski [Kow78]. Ist eine Wissensbasis und eine Integritätsbedingung, dann sagt man,

erfülle genau dann, wenn konsistent ist.

Eine zweite Definition wurde von Reiter [Rei83] gegeben. Sind und wie oben gegeben, dann sagt man,

erfülle genau dann, wenn .

Leider sind beide Definitionen im allgemeinen nicht zufriedenstellend, was wir an je einem Beispiel demonstrieren.

Betrachten wir dazu die obige Integritätsbedingung über die Matrikelnummern von Studenten, die wir mit abkürzen wollen. Nehmen wir an, die Wissensbasis bestehe aus dem Fakt student(stefan), dh.

Da keine Aussage über Stefans Matrikelnummer enthält, müßte die Integritätsbedingung verletzt sein. ist jedoch konsistent, so daß die Integritätsbedingung in der Version von Kowalski [Kow78] erfüllt ist. Also scheint diese Formulierung nicht adäquat zu sein.

Betrachten wir nun eine leere Wissensbasis

im Zusammenhang mit der Integritätsbedingung . In diesem Fall sollte trivialerweise erfüllt sein. Es gilt jedoch , so daß auch die Formulierung von Reiter in [Rei83] sich als nicht adäquat erweist.

Wie man leicht sieht, stellen Integritätsbedingungen Aussagen über den Inhalt eine Wissensbasis dar. Sie sind also Metaaussagen. Angesichts des von uns zuvor betrachteten Ansatzes liegt es daher nahe, die Erfüllbarkeit von Integritätsbedingungen auf die Beantwortung metasprachlicher Anfragen an eine Wissensbasis abzubilden. Insbesondere gibt uns der Modaloperator ein weiteres Ausdrucksmittel zur Formulierung von Integritätsbedingungen an die Hand.

Eine sehr natürliche Lesart unserer Integritätsbedingung über die Matrikelnummern von Studenten ist die folgende: Jeder der Wissensbasis bekannte Student muß eine der Wissensbasis bekannte Matrikelnummer haben. Formal kann dies durch die folgende Formel ausgedrückt werden:

Stellen wir nun diese Formel als Anfrage an die Wissensbasis

so erhalten wir nach der weiter oben gegebenen Definition ein Nein als Antwort. Da student(stefan) zu den Fakten unserer Wissensbasis zählt, läßt sich ableiten. Damit ist die Prämisse unserer Integritätsbedingung erfüllt, nicht aber deren Konklusion, ergo ist die Integritätsbedingung nicht erfüllt. Stellen wir nun dieselbe Anfrage an die leere Wissensbasis, so erhalten wir ein Ja als Antwort. Die Wissensbasis weiß von keinem Studenten. Die Prämisse der Integritätsbedingung ist daher nicht erfüllbar. Ergo ist unsere Integritätsbedingung erfüllt. In beiden Fällen erhalten wir also die erwarteten Resultate.

Die zuletzt gegebene Formulierung der Integritätsbedingung zu unserem Beispiel ist allerdings nicht die einzig mögliche. Wir können etwa auch die folgende schwächere Formulierung wählen: Jeder der Wissensbasis bekannte Student muß eine Matrikelnummer haben, ohne daß diese der Wissensbasis explizit bekannt ist. Formal kann dies durch eine Umstellung des Negationszeichens und des Modaloperators erreicht werden:

Der Leser möge sich davon überzeugen, daß diese Version immer noch das Gewünschte leistet. Formal läßt sich nun die Erfüllbarkeit von Integritätsbedingungen also wie folgt fassen.

Sei eine Menge von geschlossenen Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe und eine geschlossene Integritätsbedingung, die den Modaloperator enthalten darf. Dann sagt man,

erfülle genau dann, wenn .

Der Ansatz von Lifschitz

Wir wollen nun eine Erweiterung des Ansatzes von Levesque und Reiter vorstellen. Bisher haben wir nur Wissensbasen betrachtet, die aus Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe bestanden. In [Lif91, Lif92] wird diese Einschränkung fallen gelassen. Vielmehr darf eine Wissensbasis nun neben Formeln der Prädikatenlogik auch Formeln enthalten, die selbst wieder Modaloperatoren enthalten. Durch die Verwendung epistemischer oder metasprachlicher Operatoren in der Wissensbasis, können wir nun auch innerhalb der Wissensbasis zwischen objektsprachlichen und metasprachlichen Aussagen unterscheiden. Insbesondere kann eine Wissensbasis nun auch Aussagen über sich selbst enthalten.

Dazu werden nun zwei unabhängige Modaloperatoren und eingeführt. Der Modaloperator ist eng verwandt mit dem von Levesque und Reiter verwendeten Modaloperator , allerdings wird eine etwas andere Intuition unterlegt, nämlich die des ``Glaubens an eine Aussage''. Finden wir daher eine Aussage der Gestalt in einer Wissensbasis, so können wir sie auch als `` wird geglaubt'' oder `` zählt zu den Überzeugungen der Wissensbasis'' interpretieren. Dadurch vermag die Wissensbasis zwischen wahren Aussagen, in Form von Sätzen der Prädikatenlogik erster Stufe, und geglaubten Aussagen, die mit dem Modaloperator versehen sind, zu unterscheiden.

Der neue Modaloperator dient der Formalisierung des schon in Abschnitt 3.4 vorgestellten Prinzips der Negation-als-Mißerfolg, während die klassische Negation bezeichnet. Dementsprechend wird dann eine Aussage der Form als `` ist nicht beweisbar'' oder `` ist konsistent'' interpretiert.

Insbesondere können wir nun auch Ermangelungswissen mit Hilfe des Modaloperators in einer Wissensbasis darstellen. Betrachten wir dazu wieder das Beispiel 3.2, das wir mit diesen neuen Operatoren nun in der folgenden Weise formulieren.

Die Aussage Kind(Larissa) stellt gesichertes Wissen über den betrachteten Weltausschnitt dar. Sie ist deshalb als prädikatenlogische Formel formalisiert. Die zweite Formel in stellt eine Ermangelungsregel dar. Sie beschreibt die Vorstellung, daß ``wir glauben, daß Kinder Eiscreme lieben, solange nichts Gegenteiliges bekannt ist''. Können wir also für ein Objekt ableiten, daß es ein Kind ist, und ist es für dieses Objekt konsistent anzunehmen, daß es Eiscreme liebt, so glauben wir, daß es Eiscreme liebt.

Doch wie interpretieren wir nun solche Aussagen in formaler Weise? In Abschnitt 3.7 haben wir die Semantik der Ermangelungslogik mittels möglicher Welten beschrieben. Ein solches Modell besteht aus einer Menge möglicher Welten, unter denen eine aktuelle Welt ausgezeichnet ist. Auch die oben angegebene Semantik für Levesque und Reiters Ansatz kann als eine mögliche Welten Semantik verstanden werden. Ein Modell besteht in diesem Sinne aus einer aktuellen Welt und einer Menge möglicher Welten .

Auch in Lifschitz' Ansatz werden Formeln mit Hilfe einer mögliche Welten Semantik interpretiert. Eine Aussage der Prädikatenlogik erster Stufe wie zB. Kind(Larissa) gilt dann, wie schon bei Levesque und Reiter, wenn sie in der aktuellen Welt gilt, dh. wenn Larissa in der aktuellen Welt ein Kind ist. Dagegen ist eine Aussage der Gestalt genau dann wahr, wenn Larissa in allen möglichen Welten ein Kind ist. Demgegenüber gilt eine Aussage schon, wenn Larissa in einer möglichen Welt ein Kind ist.

Wir wollen nun wieder definieren, wann eine Anfrage aus einer erweiterten Wissensbasis in diesem Ansatz folgt. Dazu müssen wir zunächst wieder beschreiben, was wir uns unter einem Modell einer Wissensbasis vorstellen.

Formal wird der Wahrheitswert einer Formel bezüglich eines Tripels definiert, wobei wieder eine Herbrandinterpretation und und Mengen von Herbrandinterpretationen sind. Wie im Ansatz von Levesque und Reiter dient die einzelne Interpretation zur Charakterisierung der Wahrheit von Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe. Die Mengen von Interpretationen und bestimmen dagegen den Wahrheitswert von Formeln, die mit einem bzw. einem versehen sind.

Der Wahrheitswert eines Satzes wird dann bezüglich einer Interpretation und zweier Mengen von Interpretationen und wie folgt definiert, wobei das den Interpretationen gemeinsame Herbranduniversum wieder mit bezeichnet wird.

  1. Ist eine Grundatomformel, so ist wahr in genau dann, wenn .
  2. ist wahr in genau dann, wenn nicht in wahr ist.
  3. ist wahr in genau dann, wenn und in wahr sind.
  4. ist wahr in genau dann, wenn für jedes die Formel in wahr ist.
  5. ist wahr in genau dann, wenn für jedes die Formel in wahr ist.
  6. ist wahr in genau dann, wenn für ein , nicht in wahr ist.

Der Modellbegriff wird nun noch weiter eingeschränkt. Zunächst wird er nur für solche Tripel definiert, für die gilt. Dazu führt Lifschitz Strukturen der Form ein, die syntaktisch den im Ansatz von Levesque und Reiter betrachteten Modellen entsprechen, dh. ist eine Interpretation und ist eine Menge von Interpretationen, die nun gleichzeitig für und steht. Des weiteren ist man wie zuvor an einer Minimierung des Wissens interessiert, was wieder durch eine Maximierung der betrachteten Menge von Interpretationen erreicht wird. Eine Struktur wird dabei als größer als eine Struktur bezeichnet, wenn gilt. Die so erhaltenen maximalen Modellstrukturen entsprechen dann dem Grundgedanken des ``minimalen Wissens'': Je größer die Menge der Interpretationen ist, desto weniger Aussagen werden geglaubt.

Formal wird ein Modell in Lifschitz' Ansatz mit Hilfe eines Fixpunktoperators beschrieben. Ist eine Formelmenge und eine Menge von Interpretationen, so ist die Menge aller maximalen Modellstrukturen , so daß in wahr ist. Eine Struktur ist dann ein Modell von genau dann, wenn

Die sich zunächst aufdrängende Frage ist: Warum werden Modelle einer Wissensbasis mittels einer Fixpunktdefinition beschrieben? In Abschnitt 3 wurden Fixpunktdefinitionen zur Beschreibung von Extensionen verschiedener nichtmonotoner Logiken verwendet. Der Grund hierfür war eine zirkuläre Definition der Ableitbarkeit. Etwa ist die Ableitbarkeit über Ermangelungsregeln (vgl. 3.7) durch die Nicht-Ableitbarkeit und diese natürlich wieder durch die Ableitbarkeit selbst bedingt. Ein solcher Zirkel wird mit Hilfe einer Fixpunktgleichung gelöst. Dieselbe Zirkularität tritt nun auch in Wissensbasen auf, da diese durch die Verwendung der Modaloperatoren und nun auch Aussagen über sich selbst enthalten können. Insbesondere können wir auch Ermangelungswissen in Wissensbasen modellieren, was zwangsläufig zu den aus den Ermangelungslogiken bekannten Problemen führt.

Bevor wir allerdings einen Folgerungsbegriff definieren, wollen wir noch einmal kurz den soeben eingeführten Modellbegriff illustrieren. Ist etwa eine Menge von Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe, so erhalten wir in einem gewissen Sinne den klassischen Modellbegriff; denn die Modelle von sind dann die Paare wobei ein Modell von ist und die Menge aller Interpretationen darstellt. Ist eine Formel der Prädikatenlogik erster Stufe, so ist ein Modell von genau dann, wenn dh. die Menge aller Modelle von ist, und eine beliebige Interpretation ist. Die beiden letzten Fälle zeigen, daß es keine notwendige Beziehung zwischen dem Wahrheitswert einer Formel der Prädikatenlogik erster Stufe und einer mit dem Modaloperator versehenen Formel geben muß. Im ersten Fall haben wir eine Formel der Prädikatenlogik betrachtet, deren Wahrheitswerte nur von den jeweiligen aktuellen Welten in der Struktur abhängig ist. Im zweiten Fall haben wir eine mit dem Modaloperator versehene Formel betrachtet, deren Wahrheitswert nur von der Menge der möglichen Welten abhängig ist. Die Unabhängigkeit der Wahrheitswert von Formeln mit und ohne Modaloperator ist auch daraus ersichtlich, daß bei der Definition des Modellbegriffes für eine aktuelle Welt nie gefordert wird, daß sie zu den möglichen Welten , bzw. oder , gehören muß.

Betrachten wir noch die Formel , wobei und Formeln der Prädikatenlogik sind. Wie wir weiter unten noch sehen werden, sind Formeln dieser Gestalt von ganz besonderem Interesse, da sie in einem engen Zusammenhang mit der logischen Programmierung stehen. Die Formel gilt in einem Tripel genau dann, wenn die folgende Bedingung gilt: Wenn es eine Interpretation gibt, so daß dann gilt für alle Dies ist äquivalent zu: Wenn , dann Demnach können wir die Menge wie folgt charakterisieren: Wenn , dann besteht aus allen Strukturen der Form wobei die Menge aller Interpretationen ist. Ansonsten besteht aus allen Strukturen der Form Damit können wir die Modelle der Formel wie folgt charakterisieren.

Wann ist nun eine Anfrage aus einer Wissensbasis folgerbar? Da wir nun allgemeine Wissensbasen betrachten, definieren wir den Folgerungsbegriff zwischen Mengen von Formeln, die die Modaloperatoren und enthalten können, und Formeln, die mit Hilfe der Sprache der Prädikatenlogik und dem Modaloperator gebildet worden sind. Sieht man einmal von der unterschiedlichen Bezeichnungsweise der Modaloperatoren und ab, so ist die Anfragesprache in Lifschitz' Ansatz dieselbe wie in dem von Levesque und Reiter. Eine Formel folgt nun aus einer Wissensbasis genau dann, wenn in allen Modellen von gilt.

Bestehen und lediglich aus Formeln der Prädikatenlogik, so erhalten wir den dort üblichen Folgerungsbegriff. Ist eine Formelmenge der Prädikatenlogik und eine Formel, die den Modaloperator enthalten darf, so stehen wir vor derselben Ausgangssituation wie im Ansatz von Levesque und Reiter. Insbesondere ist die aus durch Ersetzung aller Vorkommen des Modaloperators durch hervorgehende Anfrage A' nach Levesque und Reiters Definition 4.2.4 aus folgerbar genau dann, wenn aus gif nach Lifschitz' Definition folgt. Dementsprechend übertragen sich alle Anfragen 1 bis 16 an unsere obige Wissensbasis samt ihrer Beantwortung auf Lifschitz Ansatz.

Es ist im allgemeinen Fall interessant zu beobachten, daß, wenn eine Formel aus folgt, nicht jedes Modell von auch ein Modell von ist. Ist zum Beispiel

so ist aus folgerbar, da in allen Modellen von wahr ist. Jedoch ist kein Modell von ein Modell von , da keines von ihnen maximal ist unter den Modellen, die erfüllen. Dieser Sachverhalt hat zur Folge, daß wir sehr sorgfältig zwischen Formeln unterscheiden müssen, die zu einer betrachteten Wissensbasis gehören, und solchen, die an diese Wissensbasis als Anfrage gestellt werden.

Einbettung nichtmonotoner Formalismen

Die Verwendung der Modaloperatoren und innerhalb einer Wissensbasis führt zu einer enormen Ausdrucksstärke. Insbesondere kann man zeigen, daß eine Reihe der in Kapitel 3 besprochenen nichtmonotonen Logiken mit Hilfe der Modaloperatoren und modellierbar sind, was wir für einige dieser Logiken nun noch kurz andeuten werden. Der Einfachheit halber betrachten wir dabei weiterhin Wissensbasen, die die Axiome der Namenseindeutigkeit und Bereichsabgeschlossenheit enthalten.

Als erstes wollen wir auf die schon weiter oben behandelte Annahme der Weltabgeschlossenheit (vgl. Abschnitt 3.2) zurückkommen, die eine häufig verwendete Metaannahme in Datenbanken darstellt: Ist eine Grundatomformel nicht aus einer Wissensbasis ableitbar, so wird aufgrund dieser Annahme ihre Negation hinzugenommen. Im Beispiel der in diesem Abschnitt betrachteten Wissensbasis läßt sich diese Annahme etwa für das Prädikat Hört durch Hinzufügen des Axioms

modellieren. Für jede Instantiierung der Variablen und leiten wir so ab, wann immer wir nicht ableiten können. Ein damit sehr eng verwandtes Konzept ist das Prinzip der Negation-als-Mißerfolg, das wir als nächstes diskutieren wollen.

Das Prinzip der Negation-als-Mißerfolg stellt eine (nichtklassische) Form der Negation dar, die zB. in der Programmiersprache PROLOG mit Hilfe des Metaprädikats not realisiert ist (vgl. Abschnitt 3.4). Ein logisches Programm besteht allgemein aus einer Menge von Implikationen der Gestalt

wobei jedes eine Grundatomformel ist, . In [Lif92] wird nun gezeigt, daß ein solches Programm einer Wissenbasis entspricht, die nur aus Formeln der Gestalt

besteht. Haben wir etwa das Programm

so entspricht dies der Wissensbasis

Die Modelle von sind dann alle Strukturen der Form wobei eine beliebige Interpretation darstellt.

Logische Programme können auch als ein Spezialfall der Ermangelungslogik (vgl. Abschnitt 3.7) angesehen werden. In der Ermangelungslogik werden zur Prädikatenlogik erster Stufe Ermangelungsregeln der Form

hinzugefügt, wobei und Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe sind. Wie in [GL91] gezeigt wurde, entspricht eine solche Ermangelungsregel einer Regel eines generellen logischen Programms der Gestalt (4.1) genau dann, wenn und wobei für das zu komplementäre Literal steht, dh. und

Haben wir nun eine allgemeine Ermangelungsregel der Form (4.2), so entspricht diese dem (universellen Abschluß) der Formel

Betrachten wir nun eine Ermangelungstheorie , wobei eine Menge von geschlossenen Formeln ist, die mit den Axiomen der Namenseindeutigkeit und Bereichsabgeschlossenheit versehen ist, und eine Menge von Ermangelungsregeln ist, so ergibt sich der folgende allgemeine Zusammenhang.

Zu wie oben beschrieben sei eine Menge von Formeln, die durch die oben beschriebene Transformation aus den Ermangelungsregeln der Gestalt (4.2) in in Formeln der Gestalt (4.3) hervorgegangen ist, dann ist eine prädikatenlogische Formel in allen Extensionen der Ermangelungstheorie genau dann, wenn aus folgt.

Des weiteren haben wir in Abschnitt 3.7 gezeigt, daß die Zirkumskription (vgl. Abschnitt 3.5) unter gewissen Bedingungen als ein Spezialfall der Ermangelungslogik angesehen werden kann. Grob gesprochen, entspricht die (variable) Zirkumskription eines Prädikats in bei Variation aller anderen Prädikate dem skeptischen Schließen mittels Ermangelungstheorien, die die Gestalt

haben. Dabei ist eine Formel skeptisch ableitbar, wenn sie in allen Extensionen der betrachteten Ermangelungstheorie gilt. Durch den soeben skizzierten Zusammenhang zwischen Lifschitz' Ansatz und der Ermangelungslogik reduziert sich die auf Seite gif definierte variable Zirkumskription , wobei das Tupel aller in vorkommenden Prädikatszeichen mit Ausnahme von bezeichnet, auf die folgende Formel in Lifschitz Ansatz.

was äquivalent ist zu

Für eine prädikatenlogische Formel gilt dann genau dann, wenn aus (4.4) folgt.



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996