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3.9.1 Delgrandes konditionale Logik

In der Einleitung zu diesem Abschnitt sprachen wir von den beiden Alternativen hinsichtlich einer Modifikation der klassischen Implikation. In der Logik wurde die erstere dieser beiden Alternativen, nämlich die Hinzunahme eines neuen Operators, , zusätzlich zum klassischen Operator gewählt. Mit anderen Worten, es gibt in zwei Implikationen, die übliche klassische Implikation, , mit der üblichen Bedeutung und die konditionale Implikation, , die zu lesen ist ``Wenn , dann normalerweise auch ''; zB. ``Wenn ein Kind ist, dann liebt normalerweise auch Eiscreme''.

Formeln in sind wie prädikatenlogische Formeln definiert, nur ist zusätzlich der Operator zu deren Aufbau zugelassen, wobei (der syntaktischen Einfachheit halber) die logischen Operatoren definitorisch mit Hilfe der übrigen eingeführt werden. Für die so erweiterte Sprache stellen sich nun die üblichen Aufgaben. Es sind gegebenenfalls zusätzliche Axiome und Schlußregeln anzugeben, die den neuen logischen Operator im Kontext der übrigen Operatoren charakterisieren. Die Bedeutung der Formeln, dh. die Semantik der Sprache, ist zu präzisieren.

Eine Lösung dieser Aufgaben ist in [Del87] gegeben. Auf der Basis dieser Lösung ist in [Del92] eine Verbesserung angegeben, in der nichtmonotones Schließen letztlich auf klassisches Schließen zurückgeführt wird. Diese Verbesserung macht sich insbesondere in einem akzeptablen Komplexitätsverhalten des Formalismus bei Anfragen günstig bemerkbar. Die Idee dieser verbesserten Lösung wollen wir hier kurz skizzieren.

Ausgangspunkt ist eine Weltbeschreibung . Wie immer können wir als eine Konjunktion oder eine Menge von (Teil-) Formeln auffassen. Innerhalb von unterscheiden wir in pragmatischer Weise zwei Teilmengen und , nämlich allgemeine und spezielle Aussagen. Die letzteren beschreiben die Umstände, die eine spezielle Situation betreffen (z.B. daß ein bestimmtes Kind den Namen Larissa trägt), während die ersteren auf verschiedene Umstände anwendbar sein sollen. Verglichen mit den in Abschnitt 2.7 betrachteten terminologischen Logiken entspricht somit der Terminologie und der Menge von Weltaxiomen.

Die Gestalt der Formeln in schränken wir im Hinblick auf eine effizientere Berechnung wie folgt ein. Die Formeln in seien von der Gestalt , bestehe aus einer Menge von Formeln der Gestalt und einer Menge von Formeln der Gestalt oder , wobei , , , Atome sind, und ein Literal ist. Alle diese Formeln mögen freie Variable enthalten, in welchem Fall für Formeln in ihr All-Abschluß gemeint ist, während Formeln in Schemata darstellen, die durch Grundterme instantiiert werden müssen.

Zum Beispiel bilden die Mengen , , eine derartige Weltbeschreibung. Sie möge besagen: Kinder lieben normalerweise Eiscreme; Kinder mit Zahnschmerzen mögen normalerweise keine Eiscreme; Kinder mit Zahnschmerzen sind Kinder; brave Kinder sind Kinder; Larissa ist ein Kind und hat Zahnschmerzen. Wie in allen bisherigen Ansätzen ist auch hier das Ziel die Beantwortung von Fragen wie etwa, ob Larissa Eiscreme liebt.

Zur Erreichung dieses zuletzt genannten Zieles wird in [Del92] ein vierstufiges Verfahren vorgeschlagen. Im ersten Schritt werden die konditionalen Implikationen in gemäß der Spezifizität ihrer Prämissen (partiell) geordnet, wobei wir hier jeweils Grundinstanzen der Implikationen betrachten werden. Im zweiten Schritt wird die spezielle Weltbeschreibung in diese partielle Ordnung eingefügt, wobei wir hier annehmen wollen, daß grundinstantiiert ist. Im dritten Schritt wird die Vereinigung der speziellen Weltbeschreibung und der Menge der klassischen Implikationen um (grundinstantiierte) Implikationen der Form erweitert, wenn und diese Erweiterung konsistent ist. Dabei werden die bezüglich spezifischsten Implikationen zuerst berücksichtigt. Als Ergebnis dieses Schrittes erhalten wir somit Mengen klassischer Klauseln. Im vierten und letzten Schritt wird nun die Anfrage bezüglich der so erhaltenen Klauselmengen in der üblichen, rein deduktiven Weise beantwortet.

Bevor wir die einzelnen Schritte präzisieren, werden wir dieses Verfahren an einigen einfachen Beispielen illustrieren, um damit auch die Eigenschaften von Delgrandes konditionaler Logik darzulegen. In dem bereits erwähnten Kinderbeispiel ist die entsprechend instantiierte konditionale Implikation weniger spezifisch als , da logisch aus folgt. Die spezielle Weltbeschreibung ist gleich spezifisch wie . Da außerdem konsistent mit ist, kann diese Implikation zu hinzugefügt werden und wir erhalten die Extension

Diese Implikation würde auch dann hinzufügt werden, wenn die (bezüglich der Liebe zu Eiscreme irrelevante) Aussage in der speziellen Weltbeschreibung vorkommen würde. Im Beispiel bleibt dann nur noch die konditionale Implikation übrig. Da die Hinzunahme von zu dem bislang erreichten zu einem Widerspruch führen würde (da dann und ableitbar wären), unterbleibt die Hinzunahme dieser Regel. Die Frage, ob Larissa Eiscreme liebt kann nun unter Bezugnahme auf mit nein beantwortet werden.

Wir erhalten hier nur eine Extension, während in bisher betrachteten Ansätzen wie der im Abschitt 3.5 vorgestellten Zirkumskription oder der im Abschnitt 3.7 präsentierten Ermangelungslogik für dieses Beispiel noch eine zweite Extension berechnet wird, in der statt der konditionalen Implikation die Implikation berücksichtigt wird. In dieser zweiten Extension liebt Larissa folglich Eiscreme. Diese weitere Extension wird in Delgrandes Ansatz ausgeschlossen, da mittels der materiellen Implikation zum Ausdruck gebracht wird, daß Kinder mit Zahnschmerzen spezifischer als Kinder sind, und spezifischere Informationen vorgezogen werden. Würden wir die Implikation aus entfernen, dann erhielten wir auch hier zwei Extensionen. Das weiter unten diskutierte Beispiel der ``Nixon Raute'' veranschaulicht diesen Fall.

Erweitern wir das Beispiel um die konditionale Implikation , die ausdrücken soll, daß Kinder normalerweise Teddybären lieben, dann sollte die Frage, ob Larissa Teddybären mag, ebenfalls positiv beantwortet werden. Dies ist der Fall. Da die klassische Implikation konsistent mit ist und die übrigen spezifischeren konditionalen Implikationen bereits ``abgearbeitet'' sind, wird sie zu hinzugefügt und wir erhalten die Extension

Dieses Beispiel zeigt, daß durch das Zusammenspiel von Konsistenz und Spezifizität nur solche konditionalen Implikationen blockiert werden, für die explizit spezifischere Implikationen bekannt sind.

Erweitern wir das Beispiel darüber hinaus um die konditionale Implikation , die ausdrücken soll, daß Teddybären normalerweise braun sind, so können wir die Extension um die entsprechende klassische Implikation zu

erweitern. Mit anderen Worten, transitive Abhängigkeiten zwischen konditionalen Implikationen werden berücksichtigt.

Wir erweitern das Beispiel ein letztes Mal, indem wir der speziellen Weltbeschreibung die Aussage hinzufügen, die ausdrücken soll, daß Hannes ein Kind ist. In diesem Fall finden wir als maximale Extension die Menge

Mit anderen Worten, während Larissa aufgrund ihrer Zahnschmerzen keine Eiscreme mag, ist Hannes ganz wild auf Eiscreme; außerdem lieben beide braune Teddybären.

Als letztes Beispiel betrachten wir noch eine Version der schon im Abschnitt 2.6 vorgestellten ``Nixon Raute''. Dazu sei , und mit den folgenden intendierten Interpretationen. Nixon ist sowohl ein Quäker als auch ein Republikaner; Quäker sind normalerweise Pazifisten; Republikaner sind normalerweise keine Pazifisten. Ausgehend von erhalten wir in diesem Fall genau zwei maximale Extensionen, nämlich

und

Nach diesen einführenden Beispielen wollen wir nun Delgrandes Vorgehen präzisieren. Vor allem steht dabei der Begriff der Spezifizität im Vordergrund. Zu dessen Präzisierung definiert Delgrande eine sogenannte kanonische Struktur , die aus einer partiell geordneten Menge von ``Punkten'' gif besteht.

Zur grundinstantiierten Menge von konditionalen Implikationen ist durch die folgenden beiden Konstruktionsvorschriften definiert.
  1. Initialisierung:
    .
  2. Wenn zu und gilt, daß und , dann setze fest; ist weniger als (oder ebenso spezifisch wie) . Gilt bereits , so ersetze und durch den zusammengefaßten Punkt . Führe diese Berechnungen so lange aus, bis sich die Struktur nicht mehr verändert.

Man beachte, daß die Mengen und eines zusammengesetzten Punktes nicht notwendigerweise konsistent sein müssen. Ist inkonsistent, dann ist ein maximales Element bezüglich der Spezifizität.

Im obigen Kinderbeispiel hatten wir zuletzt

wobei wir für die Variable entweder oder einsetzen dürfen. Folglich besteht nach der Initialisierung die Menge aus den folgenden acht Elementen.

Diese sind wie folgt partiell angeordnet.

Da und gilt, können die Punkte und durch den zusammengefaßten Punkt ersetzt werden. Analog erhalten wir . Somit definiert die partielle Ordnung

Kommen wir nun zur Einordnung der speziellen Weltbeschreibung in die Struktur . Dazu wird zu einer grundinstantiierten Beschreibung der Punkt generiert und entsprechend seiner Spezifizität in eingefügt. In dem oben diskutierten Beispiel war und somit erhalten wir . Offensichtlich gilt und und es gibt keinen anderen Punkt in für den entweder oder (exklusiv) gilt. Insbesondere ist nicht weniger oder ebenso spezifisch als .

Der dritte Schritt des Verfahren sollte auch ohne eine weitere, formale Präzisierung effektiv ausführbar sein. Zu der Menge werden nacheinander Elemente der Mengen hinzugefügt, wenn die so entstehenden Extension jeweils konsistent sind. Die dabei betrachteten Punkte sind die jeweils spezifischsten Punkte in , die weniger als (oder ebenso spezifisch wie) sind und noch nicht betrachtet wurden. Auf diese Weise wird für das oben diskutierte Beispiel die maximale Extension generiert. Ausgehend von werden zunächst die Punkte und betrachtet und entsprechenden materialen Implikationen bzw. und zu hinzugefügt. Anschließend werden die Punkte und betrachtet, usw.

Wie mit Hilfe der ``Nixon Raute'' gezeigt, können auf diese Art mehrere maximale Extensionen entstehen. Somit ist es in diesem Ansatz auch möglich sowohl skeptische als auch leichtgläubige Schlüsse zu modellieren, wobei ein Schluß dann als leichtgläubig bezeichnet wird, wenn er in mindestens einer Extension gilt, während ein Schluß als skeptisch eingestuft wird, wenn er in allen Extensionen gilt. So kann im Falle der ``Nixon Raute'' in allen Extensionen abgeleitet werden, daß Nixon ein Republikaner ist; aber nur in einer der beiden Extensionen gilt, daß Nixon ein Pazifist ist.

Delgrande zeigt in [Del92], daß das Schließen in der eingangs angesprochenen Logik äquivalent mit dem Schließen unter Berücksichtigung der Spezifizität ist. Während in die konditionale Implikation als zusätzlicher Operator eingeführt und behandelt wird, erlaubt die oben angegebene Konstruktion, das Ermangelungsschließen auf das Schließen in der klassischen Logik zu reduzieren. [Del88] zeigt zudem, daß auch der komplexitätsmäßige Berechnungsaufwand bei diesem Ansatz vergleichsweise günstig ist.

Abgesehen von dem eben genannten Vorteil in bezug auf die Berechnungskomplexität ergibt sich hier die Möglichkeit, Ermangelungsregeln in die Formeln einzubauen und so logische Beziehungen unter diesen Regeln zu beschreiben, was etwa im Reiterschen Ansatz der Ermangelungslogik (siehe Abschnitt 3.7) nicht möglich ist. Aus diesem Grunde erweisen sich Ansätze dieser Art als besonders aussichtsreich. Neben dem hier beschriebenen verweisen wir daher abschließend noch auf die hiermit verwandten, auf konditionalen Logiken basierenden Ansätze [Bou88, Bel90, KLM90, Bou92, Pol88], bevor wir einen im folgenden Unterabschnitt noch kurz beschreiben.



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996