In der Einleitung zu diesem Abschnitt sprachen wir von den beiden Alternativen
hinsichtlich einer Modifikation der klassischen Implikation. In der Logik
wurde die erstere
dieser beiden Alternativen, nämlich die Hinzunahme eines neuen Operators,
, zusätzlich zum klassischen Operator
gewählt. Mit anderen Worten, es gibt in
zwei Implikationen, die
übliche klassische Implikation,
, mit der üblichen
Bedeutung und die konditionale Implikation,
, die zu lesen
ist ``Wenn
, dann normalerweise auch
''; zB. ``Wenn
ein
Kind ist, dann liebt
normalerweise auch Eiscreme''.
Formeln in sind wie prädikatenlogische Formeln definiert, nur ist
zusätzlich der Operator
zu deren Aufbau zugelassen, wobei
(der syntaktischen Einfachheit halber) die logischen Operatoren
definitorisch mit Hilfe der übrigen
eingeführt werden. Für die so erweiterte Sprache stellen sich nun die
üblichen Aufgaben. Es sind gegebenenfalls zusätzliche Axiome und
Schlußregeln anzugeben, die den neuen logischen Operator im Kontext der
übrigen Operatoren charakterisieren. Die Bedeutung der Formeln, dh. die
Semantik der Sprache, ist zu präzisieren.
Eine Lösung dieser Aufgaben ist in [Del87] gegeben. Auf der Basis dieser Lösung ist in [Del92] eine Verbesserung angegeben, in der nichtmonotones Schließen letztlich auf klassisches Schließen zurückgeführt wird. Diese Verbesserung macht sich insbesondere in einem akzeptablen Komplexitätsverhalten des Formalismus bei Anfragen günstig bemerkbar. Die Idee dieser verbesserten Lösung wollen wir hier kurz skizzieren.
Ausgangspunkt ist eine Weltbeschreibung . Wie immer können wir
als eine Konjunktion oder eine Menge von (Teil-) Formeln auffassen.
Innerhalb von
unterscheiden wir in pragmatischer Weise zwei Teilmengen
und
, nämlich allgemeine und spezielle Aussagen. Die
letzteren beschreiben die Umstände, die eine spezielle Situation betreffen
(z.B. daß ein bestimmtes Kind den Namen Larissa trägt), während die
ersteren auf verschiedene Umstände anwendbar sein sollen. Verglichen mit den
in Abschnitt 2.7 betrachteten terminologischen
Logiken
entspricht
somit der Terminologie und
der Menge von
Weltaxiomen.
Die Gestalt der Formeln in schränken wir im Hinblick auf eine
effizientere Berechnung wie folgt ein. Die Formeln in
seien von der
Gestalt
,
bestehe aus
einer Menge
von Formeln der Gestalt
und einer Menge
von Formeln der Gestalt
oder
,
wobei
,
,
, Atome sind, und
ein Literal ist. Alle diese Formeln mögen freie Variable enthalten, in
welchem Fall für Formeln in
ihr
All-Abschluß gemeint ist, während Formeln in
Schemata darstellen, die durch Grundterme instantiiert werden müssen.
Zum Beispiel bilden die Mengen ,
,
eine derartige
Weltbeschreibung. Sie möge besagen: Kinder lieben normalerweise Eiscreme;
Kinder mit Zahnschmerzen mögen normalerweise keine Eiscreme; Kinder mit
Zahnschmerzen sind Kinder; brave Kinder
sind Kinder; Larissa ist ein Kind und hat Zahnschmerzen. Wie in allen
bisherigen Ansätzen ist auch hier das Ziel die Beantwortung von Fragen
wie etwa, ob Larissa Eiscreme liebt.
Zur Erreichung dieses zuletzt genannten Zieles wird in [Del92] ein
vierstufiges Verfahren vorgeschlagen. Im ersten Schritt werden die
konditionalen Implikationen in gemäß der
Spezifizität ihrer Prämissen (partiell) geordnet, wobei wir hier jeweils
Grundinstanzen der Implikationen betrachten werden. Im zweiten Schritt wird
die spezielle Weltbeschreibung
in diese partielle Ordnung
eingefügt, wobei wir hier annehmen wollen, daß
grundinstantiiert ist. Im dritten Schritt wird die Vereinigung der speziellen
Weltbeschreibung
und der Menge der klassischen Implikationen
um (grundinstantiierte) Implikationen der Form
erweitert, wenn
und diese Erweiterung konsistent ist. Dabei werden
die bezüglich
spezifischsten Implikationen zuerst
berücksichtigt. Als Ergebnis dieses Schrittes erhalten wir somit Mengen
klassischer Klauseln. Im vierten und letzten Schritt wird nun die Anfrage
bezüglich der so erhaltenen Klauselmengen in der üblichen, rein deduktiven
Weise beantwortet.
Bevor wir die einzelnen Schritte präzisieren, werden wir dieses Verfahren an
einigen einfachen Beispielen illustrieren, um damit auch die Eigenschaften von
Delgrandes konditionaler Logik darzulegen. In dem bereits erwähnten
Kinderbeispiel ist die entsprechend instantiierte konditionale Implikation
weniger spezifisch als
, da
logisch aus
folgt. Die spezielle Weltbeschreibung
ist gleich spezifisch wie
. Da
außerdem
konsistent mit
ist, kann
diese Implikation zu
hinzugefügt werden und
wir erhalten die Extension
Diese Implikation würde auch dann hinzufügt werden, wenn die (bezüglich
der Liebe zu Eiscreme irrelevante) Aussage in der speziellen
Weltbeschreibung vorkommen würde. Im Beispiel bleibt dann nur noch die
konditionale Implikation
übrig. Da die
Hinzunahme von
zu dem bislang erreichten
zu einem Widerspruch führen würde (da dann
und
ableitbar wären), unterbleibt die Hinzunahme dieser Regel. Die
Frage, ob Larissa Eiscreme liebt kann nun unter Bezugnahme auf
mit
nein beantwortet werden.
Wir erhalten hier nur eine Extension, während in bisher betrachteten
Ansätzen wie der im Abschitt 3.5 vorgestellten Zirkumskription oder der
im Abschnitt 3.7 präsentierten Ermangelungslogik für
dieses Beispiel noch eine zweite Extension berechnet wird, in der statt der
konditionalen Implikation die Implikation
berücksichtigt wird. In dieser zweiten
Extension liebt Larissa folglich Eiscreme. Diese weitere Extension wird in
Delgrandes Ansatz ausgeschlossen, da mittels der materiellen Implikation
zum Ausdruck gebracht wird, daß Kinder mit
Zahnschmerzen spezifischer als Kinder sind, und spezifischere Informationen
vorgezogen werden. Würden wir die Implikation
aus
entfernen, dann erhielten wir auch hier zwei
Extensionen. Das weiter unten diskutierte Beispiel der ``Nixon
Raute'' veranschaulicht diesen Fall.
Erweitern wir das Beispiel um die konditionale Implikation , die ausdrücken soll, daß Kinder normalerweise Teddybären
lieben, dann sollte die Frage, ob Larissa Teddybären mag, ebenfalls positiv
beantwortet werden. Dies ist der Fall. Da die klassische Implikation
konsistent mit
ist und die übrigen
spezifischeren konditionalen Implikationen bereits ``abgearbeitet'' sind, wird
sie zu
hinzugefügt und wir erhalten die Extension
Dieses Beispiel zeigt, daß durch das Zusammenspiel von Konsistenz und Spezifizität nur solche konditionalen Implikationen blockiert werden, für die explizit spezifischere Implikationen bekannt sind.
Erweitern wir das Beispiel darüber hinaus um die konditionale Implikation
, die ausdrücken soll, daß Teddybären
normalerweise braun sind, so können wir die Extension
um die
entsprechende klassische Implikation
zu
erweitern. Mit anderen Worten, transitive Abhängigkeiten zwischen konditionalen Implikationen werden berücksichtigt.
Wir erweitern das Beispiel ein letztes Mal, indem wir der speziellen
Weltbeschreibung die Aussage
hinzufügen, die
ausdrücken soll, daß Hannes ein Kind ist. In diesem Fall finden wir als
maximale Extension die Menge
Mit anderen Worten, während Larissa aufgrund ihrer Zahnschmerzen keine Eiscreme mag, ist Hannes ganz wild auf Eiscreme; außerdem lieben beide braune Teddybären.
Als letztes Beispiel betrachten wir noch eine Version der schon im
Abschnitt 2.6 vorgestellten ``Nixon Raute''. Dazu sei ,
und
mit
den folgenden intendierten Interpretationen. Nixon ist sowohl ein Quäker als
auch ein Republikaner; Quäker sind normalerweise Pazifisten; Republikaner
sind normalerweise keine Pazifisten. Ausgehend von
erhalten wir in diesem Fall genau zwei maximale Extensionen,
nämlich
und
Nach diesen einführenden Beispielen wollen wir nun Delgrandes Vorgehen
präzisieren. Vor allem steht dabei der Begriff der
Spezifizität im Vordergrund. Zu dessen
Präzisierung definiert Delgrande eine sogenannte kanonische
Struktur
, die aus einer partiell
geordneten Menge
von ``Punkten''
besteht.
Zur grundinstantiierten Mengevon konditionalen Implikationen ist
durch die folgenden beiden Konstruktionsvorschriften definiert.
- Initialisierung:
.
- Wenn zu
und
gilt, daß
und
, dann setze
fest;
ist weniger als (oder ebenso spezifisch wie)
. Gilt bereits
, so ersetze
und
durch den zusammengefaßten Punkt
. Führe diese Berechnungen so lange aus, bis sich die Struktur nicht mehr verändert.
Man beachte, daß die Mengen und
eines
zusammengesetzten Punktes
nicht notwendigerweise konsistent sein
müssen. Ist
inkonsistent, dann ist
ein maximales
Element bezüglich der Spezifizität.
Im obigen Kinderbeispiel hatten wir zuletzt
wobei wir für die Variable entweder
oder
einsetzen dürfen. Folglich besteht nach der Initialisierung
die Menge
aus den folgenden acht Elementen.
Diese sind wie folgt partiell angeordnet.
Da und
gilt, können die Punkte
und
durch den zusammengefaßten Punkt
ersetzt werden. Analog erhalten wir
.
Somit definiert
die partielle Ordnung
Kommen wir nun zur Einordnung der speziellen Weltbeschreibung in die Struktur
. Dazu wird zu einer grundinstantiierten Beschreibung
der Punkt
generiert und
entsprechend seiner Spezifizität in
eingefügt.
In dem oben diskutierten Beispiel war
und
somit erhalten wir
. Offensichtlich gilt
und
und es gibt keinen anderen Punkt
in
für den entweder
oder
(exklusiv)
gilt. Insbesondere ist
nicht weniger oder ebenso spezifisch als
.
Der dritte Schritt des Verfahren sollte auch ohne eine weitere, formale
Präzisierung effektiv ausführbar sein. Zu der Menge werden nacheinander Elemente der Mengen
hinzugefügt, wenn die so entstehenden Extension jeweils konsistent sind. Die
dabei betrachteten Punkte
sind die jeweils spezifischsten Punkte in
, die weniger als (oder ebenso spezifisch wie)
sind und noch nicht betrachtet wurden. Auf diese Weise wird für
das oben diskutierte Beispiel die maximale Extension
generiert.
Ausgehend von
werden zunächst die Punkte
und
betrachtet und entsprechenden materialen Implikationen
bzw.
und
zu
hinzugefügt.
Anschließend werden die Punkte
und
betrachtet,
usw.
Wie mit Hilfe der ``Nixon Raute'' gezeigt, können auf diese Art mehrere maximale Extensionen entstehen. Somit ist es in diesem Ansatz auch möglich sowohl skeptische als auch leichtgläubige Schlüsse zu modellieren, wobei ein Schluß dann als leichtgläubig bezeichnet wird, wenn er in mindestens einer Extension gilt, während ein Schluß als skeptisch eingestuft wird, wenn er in allen Extensionen gilt. So kann im Falle der ``Nixon Raute'' in allen Extensionen abgeleitet werden, daß Nixon ein Republikaner ist; aber nur in einer der beiden Extensionen gilt, daß Nixon ein Pazifist ist.
Delgrande zeigt in [Del92], daß das Schließen in der eingangs
angesprochenen Logik äquivalent mit dem Schließen unter
Berücksichtigung der Spezifizität ist. Während in
die
konditionale Implikation als zusätzlicher Operator eingeführt und
behandelt wird, erlaubt die oben angegebene Konstruktion, das
Ermangelungsschließen auf das Schließen in der klassischen Logik zu
reduzieren. [Del88] zeigt zudem, daß auch der
komplexitätsmäßige Berechnungsaufwand bei diesem Ansatz
vergleichsweise günstig ist.
Abgesehen von dem eben genannten Vorteil in bezug auf die Berechnungskomplexität ergibt sich hier die Möglichkeit, Ermangelungsregeln in die Formeln einzubauen und so logische Beziehungen unter diesen Regeln zu beschreiben, was etwa im Reiterschen Ansatz der Ermangelungslogik (siehe Abschnitt 3.7) nicht möglich ist. Aus diesem Grunde erweisen sich Ansätze dieser Art als besonders aussichtsreich. Neben dem hier beschriebenen verweisen wir daher abschließend noch auf die hiermit verwandten, auf konditionalen Logiken basierenden Ansätze [Bou88, Bel90, KLM90, Bou92, Pol88], bevor wir einen im folgenden Unterabschnitt noch kurz beschreiben.
Christoph Quix, Thomas List, René Soiron