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3.9.2 Konditionales Schließen

In [GP92] haben Geffner und Pearl jüngst einen Ansatz zum konditionalen Schließen (engl. conditional entailment) vorgeschlagen, der als Verallgemeinerung des ursprünglichen Ansatzes von Delgrande [Del87] angesehen werden kann und eine Reihe von Unzulänglichkeiten bisheriger Formalismen zu überwinden scheint (ohne neue hinzuzufügen). Er beruht auf ähnlichen Ideen wie die im letzten Unterabschnitt vorgestellte konditionale Logik: Spezifischere konditionale Implikationen werden bevorzugt, wobei sich die Spezifizität aus der Definition der Weltbeschreibung ergibt. Wir wollen in diesem Abschnitt das konditionale Schließen kurz vorstellen, uns dabei aber auf die modell-theoretischen Aspekte beschränken. Eine entsprechende vollständige und korrekte Beweistheorie ist in [GP92] entwickelt worden.

Wie schon Delgrande unterscheiden Geffner und Pearl in einer Weltbeschreibung allgemeine und spezielle Aussagen, dargestellt durch die Mengen bzw. . Dabei verwenden wir aus Gründen der Einheitlichkeit die schon im letzten Unterabschnitt eingeführten Notationen. ist wiederum in zwei Teilmengen aufgespalten, nämlich in eine Menge von allgemein gültigen Aussagen und eine Menge von konditionalen Implikationen.gif Die Form der Aussagen und der konditionalen Implikationen unterscheidet sich jedoch von der Delgrandes. Die Aussage, daß Kinder normalerweise Eiscreme lieben, wird in [GP92] durch die konditionale Implikation zusammen mit der materialen Implikation ausgedrückt. Informell besagt die konditionale Implikation, daß Kinder normal (bezüglich ihrer Liebe zu Eiscreme) sind, während die materiale Implikation zum Ausdruck bringt, daß normale Kinder Eiscreme lieben. Dabei erfüllt das Prädikatszeichen genau den gleichen Zweck, wie die Einführung von Namen für Hypothesen aus dem Abschnitt 3.6 oder wie das Abnormalitätsprädikat Abnormal, das wir schon im Beispiel 3.2, insbesondere aber in Abschnitt 3.5 im Zusammenhang mit der Zirkumskription verwandt haben. Wie üblich sind auch hier die klassischen Formeln universell abgeschlossen, während die konditionalen Implikationen Schemata definieren, die durch Ersetzen der darin auftretenden Variablen durch Grundterme enstehen. Die Menge der grundinstantiierten Normal-Prädikate wollen wir als die Hypothesen einer Weltbeschreibung bezeichnen.

In dem aus dem letzten Unterabschnitt bekannten Beispiel erhalten wir damit die folgenden Formelmengen.

Die Prädikatszeichen können ähnlich wie bisher als ``ist_Kind'', ``liebt_Eiscreme'', ``ist_ein_Kind_mit_Zahnschmerzen'', ``ist_ein_braves_Kind'' gelesen werden. In Abbildung 3.4


Abbildung 3.4: Das Abhängigkeitsnetz zum Kindbeispiel

ist die Abhängigkeit der Prädikate im Stile eines Vererbungsnetzes (siehe Abschnitt 2.6) gezeigt. Gilt nun außerdem , dann bestehen die Hypothesen dieser Weltbeschreibung aus den Atomen und .

Was sind nun die bevorzugten Modelle einer solchen Weltbeschreibung? Würden wir der in Kapitel 3.5 vorgestellten Zirkumskription oder der in Kapitel 3.7 vorgestellten Ermangelungslogik folgen, dann müßten wir die Modelle von auswählen, die die meisten Hypothesen enthalten. Solche Modelle maximieren die Anzahl der gemachten Standardannahmen und minimieren damit Abnormalität. Nun gibt es in unserem Beispiel Modelle für , die die beiden Hypothesen und wahr machen, indem sie unter anderem als falsch interpretieren. Wählen wir solche Modelle aus, dann können wir darin ableiten, daß gilt, dh. daß Larissa Eiscreme liebt. Fügen wir unserer Weltbeschreibung die spezielle Aussage hinzu, so ändert sich daran offensichtlich nichts. Diese Aussage ist irrelevant bezogen auf Larissas Liebe zu Eiscreme. So weit, so gut.

Aber wie verhalten sich die oben betrachteten Formalismen, Zirkumskription und Ermangelungslogik, wenn wir außerdem wissen, daß Larissa Zahnschmerzen hat, dh. wenn ist? In diesem Fall gibt es zwei maximale Modelle, nämlich

und

Im ersten liebt Larissa Eiscreme, im zweiten gerade nicht. Dies entspricht nicht unserer Erwartung, da hier das Modell, in dem Larissa keine Eiscreme mag, vorgezogen werden sollte. Wir könnten den gewünschten Effekt erzielen, indem wir die konditionale Implikation zu der Weltbeschreibung hinzufügen, wie wir dies im Abschnitt 3.5.2 für die Zirkumskription oder in Abschnitt 3.6 für das Ermangelungsschließen mit Theoriebildung entsprechend beschrieben haben. Dies ist aber unnötig, wie wir im folgenden zeigen werden.

Dazu betrachten wir (ähnlich wie in Definition 3.7.2) sogenannte präferierte Modellmengen der Form , wobei eine Menge von Interpretationen und eine irreflexive und transitive Ordnung auf ist. Eine Interpretation ist ein bevorzugtes (oder präferiertes) Modell einer Formel genau dann, wenn ein Modell für ist, und es keine Interpretation gibt, die ebenfalls Modell für ist und vorzogen wird, dh. für die gilt. Eine präferierte Modellmenge wollen wir genau dann als zulässig bezüglich erachten, wenn sie wohlfundiert ist, jede Interpretation in Modell für ist, und es für jede Grundinstanz einer konditionalen Implikation in zum einen eine Interpretation in gibt, die Modell für ist, und zum anderen jedes präferierte Modell von in auch Modell für ist. Eine Aussage ist genau dann eine präferierte (oder bevorzugte) Konsequenz einer Weltbeschreibung , wenn alle präferierten Modelle von in jeder bezüglich zulässigen, präferierten Modellmenge auch Modelle für sind.

Es läßt sich leicht zeigen, daß die beiden oben betrachteten maximalen und folglich präferierten Modelle nicht Elemente einer bezüglich der speziellen Weltbeschreibung zulässigen, präferierten Modellmenge sind. Erinnern wir uns, daß die dabei betrachte spezielle Weltbeschreibung die Atome und enthält. In dem ersten maximalen Modell haben wir die Annahme akzeptiert und die konditionale Implikation verworfen. Da aber das Modell die spezielle Weltbeschreibung und damit insbesondere erfüllt, müßte es als bevorzugtes Modell einer zulässigen präferierten Modellmenge auch erfüllen. Dies ist aber gerade nicht der Fall. In dem zweiten maximalen Modell wurde die Annahme akzeptiert und die konditionale Implikation verworfen. Da aber das Modell erfüllt, müßte es analog zum ersten Fall auch erfüllen. Dies ist aber wiederum nicht der Fall.

Um nun solche Beispiele lösen zu können, betrachten Geffner und Pearl Ordnungen auf den Hypothesen einer Weltbeschreibung. Eine präferierte Modellstruktur mit Prioritäten besteht aus einer Modellmenge , einer irreflexiven und transitiven Ordnung auf und einer irreflexive und transitive Ordnungen auf den Hypothesen einer Weltbeschreibung, die die nachfolgende Bedingung erfüllen. Seien und zwei Modelle aus . gilt genau dann, wenn es für jede Hypothese , die von , aber nicht von erfüllt wird, eine Hypothese gibt, so daß gilt (dh., ist spezifischer als ) und von , aber nicht von , erfüllt wird. Mit anderen Worten, eine Modell braucht eine Hypothese dann nicht zu erfüllen, wenn es dafür eine spezifischere Hypothese erfüllt. Ist die Ordnung auf wohlfundiert, dann läßt sich zeigen, daß für jede präferierte Modellstruktur mit Prioritäten , das Paar eine präferierte Modellstruktur ist (siehe [GP92]). Außerdem konnten Geffner und Pearl zeigen, daß die bevorzugten Modelle einer präferierten Modellstruktur mit Prioritäten minimal bezüglich der Menge der Hypothesen sind, die sie nicht erfüllen. Mit anderen Worten, solche Modelle minimieren Abnormalität.

Aber leider sind nicht alle präferierten Modellmengen mit Prioritäten zulässig bezüglich der allgemeinen Weltbeschreibung. Ein solcher Fall kann dann eintreten, wenn ein Modell existiert, das eine Menge von Hypothesen erfüllt, eine konditionale Implikation der Form enthält und inkonsistent ist. In diesem Fall müssen wir ausschließen, daß ein solches ein präferiertes Modell ist. Das erreichen wir, indem wir für solche Fälle fordern, daß eine Hypothese enthält, die weniger spezifischer als ist. Aufgrund dieser Forderung können wir dann gemäß der Bedingung, der präferierte Modelle mit Prioritäten genügen müssen, ein Modell finden, das erfüllt. Ordnungen auf , die die oben genannte Forderung erfüllen, wollen wir als zulässig bezüglich erachten. Des weiteren seien präferierte Modellmengen mit Prioritäten dann zulässig bezüglich , wenn bezüglich zulässig ist.

Diese Definition einer zulässigen, präferierten Modellmenge mit Prioritäten erzwingt eine Ordnung auf den Modellen einer Weltbeschreibung, die auch unserer Intuition entspricht. Um dieses zu veranschaulichen, bedienen wir uns erneut des schon bekannten Kinderbeispiels. Betrachten wir die Hypothese und die konditionale Implikation . Offensichtlich ist die Menge inkonsistent, da wir daraus sowohl als auch ableiten können. Aufgrund der oben genannten Forderung muß demnach weniger spezifisch als sein. Betrachten wir dagegen die Hypothese und die konditionale Implikation , so stellen wir fest, daß die Menge konsistent ist. Folglich ist . Verantwortlich für diese Ordnung der Hypothesen ist, wie auch schon in Delgrandes konditionaler Logik, die materiale Implikation , die -- wie in Abbildung 3.4 verdeutlicht -- ausdrückt, daß Kinder mit Zahnschmerzen spezifischer als Kinder sind.

Wir können nach diesen Vorüberlegungen jetzt den zentralen Begriff in [GP92], nämlich den einer konditionalen Konsequenz, definieren. Eine Aussage ist genau dann eine konditionale Konsequenz einer Weltbeschreibung , wenn alle präferierten Modelle von in jeder bezüglich zulässigen, präferierten Modellmenge mit Prioritäten auch Modelle für sind. Aus den vorangegangenen Bemerkungen ist nun leicht ersichtlich, daß in unserem Kinderbeispiel konditionale Konsequenz der Weltbeschreibung und konditionale Konsequenz der Weltbeschreibungen und ist. Schon das letzte Beispiel verdeutlicht auch, daß bezüglich des Prädikats irrelevantes Wissen, wie die Aussage , die konditionalen Schlußfolgerungen bezüglich nicht beeinflußt. Geffner und Pearl zeigen in [GP92] darüber hinaus, daß transitive Abhängigkeiten zwischen konditionalen Implikationen in ihrem Ansatz der Intuition entsprechend behandelt werden.

Wie schon in der Einführung zu diesem Abschnitt erwähnt, geben Geffner und Pearl auch eine Beweistheorie an, die vollständig und korrekt bezüglich konditionaler Konsequenzen ist. Darauf wollen wir hier aber nicht weiter eingehen. Wir erwähnen nur noch, daß dieser Formalismus jüngst in einem System angewandt wurde, das einen wichtigen Aspekt des juristischen Schließens modelliert [Gor93].



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996