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2.6 Vererbungssysteme

Im letzten Abschnitt haben wir auf den Zusammenhang zwischen assoziativen Netzen und Konzeptrahmen hingewiesen. Auch die sogenannten Vererbungssysteme (engl. inheritance systems) sind aus den assoziativen Netzen hervorgegangen. Sie sind spezielle assoziative Netze und beschäftigen sich gewissermaßen ausschließlich mit nur einer Art von Kanten innerhalb dieser Netze, nämlich derjenigen, mit der Teilklassen- oder Elementbeziehungen beschrieben werden.

Abbildung 2.11 zeigt die einfachste Form eines solchen Vererbungsnetzes. Objekte sind dabei als Kreisknoten, Klassen als Kreisscheibenknoten illustriert. Wir sprechen von Klassen im Sinne der extensionalen Bedeutung der annotierten Prädikate (dh. im Sinne von für solch ein annotiertes ). Dementsprechend gibt es Kanten, die die Elementbeziehung repräsentieren (wie zB. in ``Fred ist ein Mensch'') und als IS-A-Kanten (von engl. ``is a'') bezeichnet werden, und solche, die die Teilmengenbeziehung repräsentieren (wie zB. in ``Menschen sind Säuger'') und als AKO- (``a kind of'') oder superC- (``super class'', dh. Oberklasse) Kanten bezeichnet werden. Oft werden beide auch nicht explizit unterschieden; dies kann man so auffassen, daß die Elementknoten als Einermengen im Sinne von für ein charakterisierendes Prädikat aufgefaßt werden.


Abbildung 2.11: Ein einfaches Vererbungsnetz

Die logische Bedeutung solch einfacher hierarchischer Netze ist offensichtlich. Eine Elementseinskante involviert ein Prädikat, das wir als einstelliges oder zweistelliges wählen können. Als einstelliges Prädikat bezeichnet es die Klasse und wird auf das Element angewandt, wie in Elefant(clyde) und Mensch(fred) im obigen Beispiel. Im zweistelligen Fall, der mit unserer logischen Interpretation assoziativer Netze besser im Einklang steht, aber (geringfügig) über die Logik erster Stufe hinausgeht, haben wir dagegen Ist(clyde,Elefant) und Ist(fred,Mensch). Eine Teilklassenkante repräsentiert eine Implikationsformel, im Beispiel die Formel und . Man nennt allquantifizierte Aussagen dieses Typs generische Aussagen [Car82], weil sie für eine Menge von Grundaussagen stehen, die aus ihnen durch Instantiierung erzeugt werden können. Auf den hiermit angedeuteten Zusammenhang von Vererbungsnetzen mit der Logik werden wir in Abschnitt 2.6.4 wieder zu sprechen kommen.

Die Darstellung von Wissen in der Form solcher Vererbungsnetze hat gegenüber einer logischen Darstellung potentiell den folgenden operationellen Vorteil. Abgeleitete Aussagen, wie zB. ``Clyde ist ein Säuger'', lassen sich mit einfachsten Graphalgorithmen ableiten, die auf Schlußketten wie ``Clyde ist ein Elefant, Elefanten sind Säuger, also ist Clyde auch ein Säuger'' beruhen. Dieser Vorteil gilt aber nur dann, wenn der entsprechende logische Deduktionsmechanismus in dieser Hinsicht von einfachster Natur ist und etwa auf einer unverfeinerten Resolution beruht. Denn selbstverständlich läßt sich der Deduktionsmechanismus so optimieren, daß für diese spezielle Form der Deduktion ein dem Graphenmechanismus gleichwertiges Verhalten erzielt wird, worauf wir hier nicht im einzelnen eingehen können. In jedem Fall ergibt sich jedoch ein kognitiver Vorteil, da solche abgeleiteten Beziehungen vom Menschen in der graphischen Form schneller abgelesen werden können als von den entsprechenden unverkürzten Formeln. Diese (zum Teil vermeintlichen) Vorteile übertragen sich von den Vererbungsnetzen auf allgemeine assoziative Netze.

Vererbungsnetze sind dadurch komplizierter als es bis hierher den Anschein hat, weil erstens Vererbungen aus mehreren Quellen herrühren können, in welchem Fall wir von multiplen Vererbungen sprechen, und weil zweitens in der Praxis fast alle Regeln Ausnahmen haben. Abbildung 2.12 zeigt ein multiples Netz, in dem drei Ausnahmen durch gestrichene Kanten, die die Negation andeuten, gezeigt sind. Zum Beispiel sind Königselefanten im Gegensatz zu allen anderen Elefanten nicht grau. In solchen Netzen werden Fragen nicht mehr eindeutig beantwortbar. So ist nicht klar, ob man Clyde aufgrund der Beziehungen der Abbildung 2.12 als scheu oder nicht scheu einstufen soll. Als Elefant ist er scheu, als Akteur nicht scheu.


Abbildung 2.12: Multiple Vererbungen

Netze mit multiplen Vererbungen entsprechen nicht mehr ohne weiteres den oben gegebenen logischen Interpretationen, worauf wir am Ende nochmals zu sprechen kommen. Insbesondere können wir die All-Aussagen nicht ohne Vorsichtsmaßregel im üblichen logischen Sinne auffassen, da sie eben nicht ausnahmlos für alle Elemente gelten.

Eine eindeutige und unbestrittene Lösung der hiermit illustrierten Problematik gibt es wohl nicht. Vielmehr werden wir im folgenden Beispiele kennenlernen, bei denen die Intuition verschiedener Autoren zu verschiedenen Lösungen führt. Man kann hier zunächst grob zwischen skeptischen und leichtgläubigen Intuitionen unterscheiden. Skeptiker beziehen hier bei unklaren Fällen keine Position in die eine oder andere Richtung, während Leichtgläubige sich auch in solchen Fällen auf eine Seite schlagen. Diese Unterscheidung wird im Verlauf noch deutlicher werden. Insbesondere werden wir eine skeptische Lösung nach [HTT90] präsentieren.

Man beachte, daß die Lösung solcher Fragen, wie die, ob Clyde scheu ist, eines Inferenzprozesses bedarf. Da wir uns mit Inferenz erst im nächsten Kapitel eingehend befassen wollten, mag die Behandlung solcher Fragen an dieser Stelle etwas deplaziert erscheinen. Wie wir in Abschnitt 1.5.3 betont haben, ist die Frage nach geeigneten Repräsentationsformalismen nicht wirklich von der nach der Operationsausführung, also insbesondere nach der Inferenz, zu trennen. Da mit der Darstellung als Vererbungsnetz das unmittelbare Ablesen einer abgeleiteten Aussage angestrebt ist, also der Darstellungsaspekt überwiegt, wollen wir diese Fragen schon hier angehen. Dies ist zugleich eine gute Einstimmung auf die Problematik des nächsten Kapitels.





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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996