Mit einer Lösung des Vererbungsproblems, wie wir sie im letzten Abschnitt vorgestellt haben, lassen sich die erlaubten Pfade eines Netzes gegebenenfalls vorweg bestimmen, so daß Anfragen dann einfach durch Ablesen beantwortbar sind. Insofern paßt diese Technik durchaus in den Rahmen dieses Kapitels. Andererseits haben wir schon darauf hingewiesen, daß wir hier ein Inferenzproblem zu lösen hatten und insofern Fragen des nächsten Kapitels bereits vorweggenommen haben. Wenn wir nun einige Eigenschaften unserer gefundenen Lösung nennen, so stoßen wir damit zum ersten Male auf Begriffe, die uns im nächsten Kapitel noch mehrfach beschäftigen werden.
Einer dieser Begriffe ist die Nichtmonotonie. Die klassische Logik hat die folgende Eigenschaft der Monotonie.
Mit anderen Worten, wenn eine Aussage aus einer Axiomenmenge logisch folgt, dann auch aus jeder Obermenge. Durch Hinzufügen von neuen Axiomen müssen vorher abgeleitete Aussagen also nicht mehr überprüft werden, da sie weiterhin gültig sind. Alltagsschließen ist dagegen in der Regel nichtmonoton. Erfährt man neues Wissen, so müssen oft alte Schlüsse revidiert werden.
Auch die im letzten Unterabschnitt präsentierte Lösung des
Vererbungsproblems ist nichtmonoton, wie das in Abbildung 2.19 gezeigte
Beispiel demonstriert. Als Interpretation denke man wieder an die der Nixon
Raute. Das linke Netz erlaubt den Pfad
, stützt also die Aussage
, dh. Nixon ist Pazifist. Das rechte Netz
unterscheidet sich davon durch eine
zusätzliche Kante. Diese neutralisiert den genannten Pfad, so daß nun
Nixon kein Pazifist mehr ist. Die Hinzunahme eines weiteren Faktums hat also
eine vorher ableitbare Aussage hinfällig gemacht, womit die Nichtmonotonie
gezeigt ist. Ein weiteres Beispiel hierzu sind die Netze
in
Abbildung 2.13 und
in Abbildung 2.17, das
ebenfalls eine Erweiterung von
darstellt. Während aber
die Aussage
stützt, ist dies für
nicht mehr der Fall.
Von einem Kalkül wie dem hier besprochenen verlangt man, daß er konsistent ist. Der folgende Satz garantiert dies für den hier eingeführten Kalkül.
Ein NetzDen Beweis findet man in [HTT90].stützt nicht gleichzeitig zwei sich widersprechende Aussagen
und
.
Eine weitere Eigenschaft, die uns im folgenden Kapitel wieder begegnen wird,
ist die der Stabilität (in [Mak89]
auch Kumulativität genannt). Grob gesagt
ist ein Kalkül stabil, wenn sein Verhalten sich bei der Hinzufügung von
redundanter Information nicht ändert. Für unseren Kalkül läßt sich
das folgende Stabilitätstheorem beweisen.
Wenn ein NetzFür den Beweis sei wiederum auf [HTT90] verwiesen. Dort werden auch Beispiele von Kalkülen gezeigt, die in diesem Sinne nicht stabil sind. Der hier vorgeführte Kalkül ist jedoch auch nicht stabil in bezug auf generische Aussagen, dh. das Theorem gilt tatsächlich nur für atomare Aussagen. Die Abbildung 2.20 zeigt hierzu ein Gegenbeispiel. Daß dies nicht unbedingt als Mangel aufgefaßt werden muß, demonstriert die folgende Interpretation hierzu [San86]:eine atomare Aussage
stützt, dann gilt für jede Aussage
:
stützt
genau dann, wenn
allein
stützt.
Die hier vorgeführte skeptische Lösung des Vererbungsproblems produziert immer eindeutige Lösungen, die mit unserer Intuition übereinstimmen. Das Gleiche läßt sich auch von weiteren interessanten Ansätzen wie den in [Tou86, Eth87, Ste92] präsentierten sagen, nicht jedoch für die in [RG77, Fah79] dargestellten Ansätze. In jedem Fall führen all diese Alternativen in Einzelfällen zu Lösungen, die sich von den durch den hier gezeigten Kalkül produzierten Lösungen unterscheiden. Zum Beispiel wird meist die Nixon Raute in anderer Weise gelöst. Hierzu sowie für eine algorithmische Lösung, sei nochmals auf [HTT90] verwiesen.
Taxonomien sind spezielle Vererbungsnetze, in denen nur Klassen (also keine Objekte) zugelassen und keine Widersprüche erlaubt sind. Sie lassen sich auch als (aus der Mathematik vertraute) Verbände auffassen. In Verbänden gibt es bekanntlich die Operationen ``größte untere Schranke'' (GUS), ``kleinste obere Schranke'' (KOS) und relatives Komplement (``aber nicht''). In [AKBLN89] wurde für diese Operationen eine außerordentlich effiziente Implementierung angegeben, die auf einer speziellen Kodierungsmethode beruht. Sie läßt sich natürlich auch in ein allgemeineres logisches System für diesen Spezialfall einbetten.
Taxonomien lassen sich auch als ein Netz von Begriffen auffassen, indem jeder Begriff als eine ihn charakterisierende Klasse interpretiert wird. Eine eingehende Untersuchung von solchen Begriffsverbänden findet sich in [Wil87], die wir in Abschnitt 2.11.3 (siehe auch Abschnitt 4.3.4) kurz erwähnen werden. Auch auf den Begriff der Taxonomie werden wir im Abschnitt 2.7 nochmals zu sprechen kommen. All solche Ansätze über Verbände enthalten von sich aus natürlich noch nicht den hier vorgestellten Vererbungsmechanismus, der auch mit Inkonsistenzen umzugehen vermag. Vielmehr stellen sie lediglich eine Repräsentation dar, die in diesem Spezialfall als Alternative zur logischen Darstellung fungiert. Tatsächlich ist auch innerhalb eines logischen Formalismus dieser Spezialfall als Sortenlogik untersucht worden, worauf wir in Abschnitt 2.11.5 kurz zu sprechen kommen werden.
Christoph Quix, Thomas List, René Soiron