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3.8 Modale nichtmonotone Logiken

In den vorangehenden Abschnitten haben wir zur Modellierung der Phänomene des nichtmonotonen Schließens die grundlegende Folgerungsbeziehung einerseits durch die Modifikationen in der Weltbeschreibung , andererseits durch Abwandlungen der Folgerungsbeziehung abgeändert. In diesem Abschnitt wollen wir uns nun mit Ansätzen beschäftigen, die die zugrundeliegende Sprache zur Beschreibung von erweitern. Faust- oder Ermangelungsregeln werden hier also innerhalb der gegebenen Weltbeschreibung zusammen mit den Fakten einheitlich behandelt. Dazu wird die zugrundeliegende Sprache erster Stufe um einen Modaloperator erweitert, der es erlaubt auszudrücken, daß eine Aussage konsistent ist oder geglaubt wird. Dieser Übergang zu einer Modallogik hat dann auch eine Änderung von zur Folge, so daß in diesen Ansätzen sowohl an als auch an ``gedreht'' wird.

Die erste dieser Varianten ist die sogenannte nichtmonotone Logik [MD80]. In diesem Ansatz wird eine Sprache erster Stufe um einen unären Modaloperator M erweitert. Ein Ausdruck der Gestalt M soll die intuitive Bedeutung `` ist konsistent'' haben.

Betrachten wir dazu wieder unser Beispiel der Eiscreme-liebenden Kinder. Unsere Faustregel formalisieren wir in der nichtmonotonen Logik mit Hilfe des Schemas

In Worten, wenn ein Kind ist und es konsistent ist anzunehmen, daß Eiscreme liebt, dann liebt Eiscreme. Fügen wir nun noch das Fakt zu unserer Weltbeschreibung hinzu, erhalten wir das aus den vorangehenden Abschnitten bekannte Szenario. Allerdings können wir nun noch nicht , dh. Larissa liebt Eiscreme, ableiten. Dazu müssen wir zunächst noch festlegen, wie wir ableiten können, dh. unter welchen Umständen konsistent ist.

Wie wir bereits im letzten Abschnitt gesehen haben, führt die Einbeziehung der Konsistenz von Formeln (bzw. die Nicht-Ableitbarkeit von deren Negate) zu zirkulären Definitionen. Aus diesem Grunde werden auch hier Extensionen mit Hilfe einer Fixpunktgleichung beschrieben.

Seien und Mengen von Sätzen. Dann ist eine Extension von , wenn ein Fixpunkt der Gleichung

ist.

In unserem Beispiel besteht also aus dem Fakt und der Ermangelungsregel . Da wir nun keine Möglichkeit haben, auf zu schließen, können wir die Annahme zu hinzufügen. Da (mittels des Theorieoperators ) deduktiv abgeschlossen ist, erhalten wir dann mit Hilfe von Modus Ponens und der obigen Ermangelungsregel auch .

Obwohl die nichtmonotone Logik unser Larissa-Beispiel meistert, ist sie im allgemeinen zu schwach, um komplexere Beispiele richtig zu behandeln. Diese Schwäche wird durch eine mangelnde Beziehung zwischen Formeln mit und ohne Modaloperator verursacht. Insbesondere toleriert McDermotts und Doyles Ansatz Weltbeschreibungen, die einen nichtintuitiven Konsistenzbegriff reflektieren. Zum Beispiel kann eine Menge von Prämissen die Formeln und enthalten, ohne eine inkonsistente Extension zu besitzen. Dies kommt der seltsam anmutenden Aussage gleich, daß sowohl gilt als auch in der modellierten Welt konsistent ist.

Diese Schwäche hat zu diversen Variationen der nichtmonotonen Logik geführt. McDermott selbst versuchte in [McD82a] die Beziehung zwischen Formeln mit und ohne Modaloperator durch die Einbettung in verschiedene Modallogiken zu verstärken. Diese Vorgehensweise wurde in [MST91] auf das ganze Spektrum der verschiedenen Modallogiken ausgedehnt. In [Gab82] wurde eine Variante mit Hilfe der intuitionistischen Logik vorgestellt. Den bislang wohl erfolgreichsten Ansatz zur Vermeidung dieser Schwäche stellt Moores sogenannte autoepistemische Logik dar, die wir als nächstes besprechen wollen.

Moore sieht die Ursache für die Schwäche der nichtmonotonen Logik vor allem in einer falschen Sichtweise begründet. Daher zielt die autoepistemische Logik weniger auf eine Formalisierung des Konsistenzbegriffes ab, sondern versucht vielmehr, die Denkweise eines idealen rationalen Akteurs oder (nach Moore [Moo85b, Seite 75,]) eines ``...ideally rational agent's reasoning about his own beliefs ...'' zu formalisieren. Ein solcher Akteur weiß sowohl über sein Wissen als auch über sein Nichtwissen Bescheid. Zu letzterem wird gern das folgende Beispiel zitiert.

``Hätte ich einen älteren Bruder, so wüßte ich das. Da ich nichts über einen älteren Bruder weiß, gehe ich davon aus, daß ich keinen älteren Bruder habe.''
Der Schluß wird also erst nach einer Introspektion in die eigenen Überzeugungen vollzogen.

Zur Formalisierung dieser Introspektion wird, wie in der nichtmonotonen Logik, auch in der autoepistemischen Logik die Sprache der Prädikatenlogik um einen unären Modaloperator L erweitert.gif Allerdings wird ein Ausdruck der Form L nun hier als `` wird gewußt'' interpretiert. Grob gesprochen, handelt es sich bei L um den dualen Modaloperator zu dem in der Ermangelungslogik verwendeten Operator M. Formal läßt sich der erste Satz des Bruderbeispiels dann durch die Formel wiedergeben, aus der der zweite Satz mittels Kontraposition gefolgert wird.

Dementsprechend können wir unsere obige Ermangelungsregel in der autoepistemischen Logik mit Hilfe des Schemas

formalisieren. Allerdings wird ein Literal wie nun als ``es wird nicht gewußt, daß Larissa keine Eiscreme liebt'' interpretiert. Die Herleitung solcher Annahmen wird wie in der nichtmonotonen Logik durch eine Fixpunktgleichung beschrieben. In der autoepistemischen Logik erhalten wir dann die folgende Definition für eine Extension.

Seien und Mengen von Sätzen. Dann ist eine Extension von , wenn ein Fixpunkt der Gleichung

ist.

Betrachten wir nun wieder unser Beispiel der Eiscreme-liebenden Kinder. Unsere Prämissenmenge besteht aus dem Fakt und der Ermangelungsregel . Wie in der nichtmonotonen Logik haben wir nun keine Möglichkeit, auf zu schließen. Dadurch können wir die Annahme zu hinzufügen, und wir können erneut mit Hilfe von Modus Ponens und der Ermangelungsregel ableiten.

Vergleichen wir die Definition einer Extension in der autoepistemischen Logik mit der von McDermott und Doyle so fällt auf, daß eine Extension in der autoepistemischen Logik zusätzlich eine Formelmenge der Gestalt

enthält. Diese Menge soll der Introspektion eines idealen rationalen Akteurs entsprechen; er glaubt alle Aussagen , dh. , die sich in der Welt als wahr erweisen, dh. . Dadurch wird insbesondere die in McDermotts und Doyles Ansatz auftretende Schwäche behoben. Enthält eine Prämissenmenge nämlich die Formeln und , so besitzt diese Formelmenge in der autoepistemischen Logik keine konsistente Extension, wie leicht nachzuvollziehen ist.

Diese Formalisierung der Introspektion ermöglicht allerdings auch zirkuläre Schlußweisen. Betrachten wir dazu die Prämissenmenge

Diese hat zwei alternative autoepistemische Extensionen. Eine Extension enthält was der Tatsache entspricht, daß ein Akteur auf Grund der Prämissenmenge (3.1) keinen Grund hat, an A zu glauben. Die zweite autoepistemische Extension von (3.1) enthält kurioserweise sowohl LA als auch . In diesem Fall kann der Akteur also zunächst annehmen und dann mittels Introspektion auf LA schließen. Hat er einmal LA, so kann er mit der in (3.1) vorhandenen Regel mittels Modus Ponens seine eingangs getroffene Annahme, nämlich , rechtfertigen. Konolige beschreibt dieses Phänomen in [Kon88, p. 352,] sehr treffend wie folgt: ``This certainly seems to be an anomalous situation, since the agent can, simply by choosing to assume a belief or not, be justified in either believing or not believing a fact about the world.'' Auf diese Problematik werden wir im zusammenfassenden Überblick 3.11 dieses Kapitels nochmals zurückkommen.

Man kann die autoepistemische Logik auch als Logik erster Stufe behandeln, was in den Arbeiten [Per88b, Lif89] initiiert worden ist. Hierbei wird zum Prädikatszeichen ein weiteres Prädikatszeichen in die Sprache eingeführt, das die Rolle von spielt, aber als normales Prädikatszeichen behandelt wird. Auch diese Idee ist bis heute in der Diskussion; zB. wird in [Li93] eine autoepistemische Logik erster Stufe vorgeschlagen, in der die positive Introspektion minimiert und die negative Introspektion maximiert werden.

Zum Schluß wollen wir noch einmal auf die Beziehung der autoepistemischen Logik zur Ermangelungslogik von Reiter eingehen. Diese Beziehung wurde zuerst in [Kon88] aufgedeckt und in [MT89] weiterverfolgt. Nach [Kon88] entspricht eine Ermangelungsregel einer modalen Formel der Gestalt

In unserem Beispiel entspricht daher die Ermangelungsregel

der Formel

Dennoch weisen beide Ansätze über diese Entsprechung hinaus noch einige subtile Unterschiede auf. Wie wir oben anhand der Prämissenmenge (3.1) gesehen haben, ermöglicht die autoepistemische Logik zirkuläre Schlußweisen. Solche sind in der Ermangelungslogik nicht möglich. Betrachten wir dazu die der Prämissenmenge (3.1) entsprechende Ermangelungstheorie

Wie man leicht sieht, hat diese nur eine Extension in der Ermangelungstheorie, welche lediglich die Menge aller Tautologien enthält, da die einzige Ermangelungsregel nicht anwendbar ist (da ja als Element von nicht vorausgesetzt ist). Diese Extension entspricht der oben genannten, enthaltenden autoepistemischen Extension, die ohne die Verwendung zirkulärer Schlußweisen geformt worden ist. Zu der anderen autoepistemischen Extension gibt es keine Entsprechung in der Ermangelungslogik.

Ein weiterer Unterschied wird durch die unterschiedliche Repräsentation von Ermangelungsaussagen in beiden Ansätzen hervorgerufen. Betrachten wir dazu die Ermangelungstheorie

und ihr autoepistemisches Gegenstück

Die betrachtete Ermangelungstheorie hat keine Extension, wohingegen es eine autoepistemische Extension gibt, die nur aus besteht. Die Ursache hierfür liegt darin, daß die Voraussetzungen und Rechtfertigungen von Ermangelungsregeln in der Ermangelungslogik nicht in der Weise interagieren können, wie dies aufgrund der modalen Sprache in der autoepistemischen Logik möglich ist. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, daß die modalen Regeln und zur Aussage vereinfacht werden können, was offensichtlich in der Ermangelungslogik durch deren Verwendung von Inferenzregeln zur Darstellung dieser beiden Aussagen nicht möglich ist.



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996