In den vorangehenden Abschnitten haben wir zur Modellierung der Phänomene
des nichtmonotonen Schließens die grundlegende Folgerungsbeziehung
einerseits durch die Modifikationen in der Weltbeschreibung
, andererseits durch Abwandlungen der Folgerungsbeziehung
abgeändert.
In diesem Abschnitt wollen wir uns nun mit Ansätzen beschäftigen, die die
zugrundeliegende Sprache zur Beschreibung von
erweitern.
Faust- oder Ermangelungsregeln werden hier also innerhalb der gegebenen
Weltbeschreibung
zusammen mit den Fakten einheitlich behandelt. Dazu
wird die zugrundeliegende Sprache erster Stufe um einen Modaloperator
erweitert, der es erlaubt auszudrücken, daß eine Aussage konsistent ist oder
geglaubt wird. Dieser Übergang zu einer Modallogik hat dann auch eine
Änderung von
zur Folge, so daß in diesen Ansätzen sowohl
an
als auch an
``gedreht'' wird.
Die erste dieser Varianten ist die sogenannte nichtmonotone Logik
[MD80].
In diesem Ansatz wird eine Sprache erster Stufe um einen unären Modaloperator
M erweitert. Ein Ausdruck der Gestalt
M soll die intuitive Bedeutung ``
ist
konsistent'' haben.
Betrachten wir dazu wieder unser Beispiel der Eiscreme-liebenden Kinder. Unsere Faustregel formalisieren wir in der nichtmonotonen Logik mit Hilfe des Schemas
In Worten, wenn ein Kind ist und es konsistent ist anzunehmen, daß
Eiscreme liebt, dann liebt
Eiscreme.
Fügen wir nun noch das Fakt
zu unserer Weltbeschreibung hinzu, erhalten wir das aus den vorangehenden
Abschnitten bekannte Szenario. Allerdings können wir nun noch nicht
, dh. Larissa liebt Eiscreme, ableiten.
Dazu müssen wir zunächst noch festlegen, wie wir
ableiten können, dh. unter welchen Umständen
konsistent ist.
Wie wir bereits im letzten Abschnitt gesehen haben, führt die Einbeziehung der Konsistenz von Formeln (bzw. die Nicht-Ableitbarkeit von deren Negate) zu zirkulären Definitionen. Aus diesem Grunde werden auch hier Extensionen mit Hilfe einer Fixpunktgleichung beschrieben.
SeienIn unserem Beispiel bestehtund
Mengen von Sätzen. Dann ist
eine Extension von
, wenn
ein Fixpunkt der Gleichung
![]()
ist.
Obwohl die nichtmonotone Logik unser Larissa-Beispiel meistert, ist sie im
allgemeinen zu schwach, um komplexere Beispiele richtig zu behandeln. Diese Schwäche wird durch eine mangelnde Beziehung
zwischen Formeln mit und ohne Modaloperator verursacht. Insbesondere toleriert
McDermotts und Doyles Ansatz Weltbeschreibungen, die einen nichtintuitiven Konsistenzbegriff
reflektieren. Zum Beispiel kann eine Menge von Prämissen die Formeln
und
enthalten, ohne eine inkonsistente Extension zu besitzen. Dies kommt der seltsam
anmutenden Aussage gleich, daß sowohl
gilt als auch
in
der modellierten Welt konsistent
ist.
Diese Schwäche hat zu diversen Variationen der nichtmonotonen Logik geführt. McDermott selbst versuchte in [McD82a] die Beziehung zwischen Formeln mit und ohne Modaloperator durch die Einbettung in verschiedene Modallogiken zu verstärken. Diese Vorgehensweise wurde in [MST91] auf das ganze Spektrum der verschiedenen Modallogiken ausgedehnt. In [Gab82] wurde eine Variante mit Hilfe der intuitionistischen Logik vorgestellt. Den bislang wohl erfolgreichsten Ansatz zur Vermeidung dieser Schwäche stellt Moores sogenannte autoepistemische Logik dar, die wir als nächstes besprechen wollen.
Moore sieht die Ursache für die Schwäche der nichtmonotonen Logik vor allem in einer falschen Sichtweise begründet. Daher zielt die autoepistemische Logik weniger auf eine Formalisierung des Konsistenzbegriffes ab, sondern versucht vielmehr, die Denkweise eines idealen rationalen Akteurs oder (nach Moore [Moo85b, Seite 75,]) eines ``...ideally rational agent's reasoning about his own beliefs ...'' zu formalisieren. Ein solcher Akteur weiß sowohl über sein Wissen als auch über sein Nichtwissen Bescheid. Zu letzterem wird gern das folgende Beispiel zitiert.
``Hätte ich einen älteren Bruder, so wüßte ich das. Da ich nichts über einen älteren Bruder weiß, gehe ich davon aus, daß ich keinen älteren Bruder habe.''Der Schluß wird also erst nach einer Introspektion in die eigenen Überzeugungen vollzogen.
Zur Formalisierung dieser Introspektion wird, wie in der nichtmonotonen Logik,
auch in der autoepistemischen Logik die Sprache der Prädikatenlogik um einen
unären Modaloperator L erweitert. Allerdings wird ein Ausdruck der Form
L
nun hier als ``
wird gewußt'' interpretiert. Grob
gesprochen, handelt es sich bei L um den dualen Modaloperator
zu dem in der Ermangelungslogik verwendeten Operator M.
Formal läßt sich der erste Satz des Bruderbeispiels dann durch die
Formel
wiedergeben, aus der der zweite Satz
mittels Kontraposition gefolgert wird.
Dementsprechend können wir unsere obige Ermangelungsregel in der autoepistemischen Logik mit Hilfe des Schemas
formalisieren. Allerdings wird ein Literal wie nun als ``es wird nicht gewußt, daß Larissa keine
Eiscreme liebt'' interpretiert.
Die Herleitung solcher Annahmen wird wie in der nichtmonotonen Logik durch
eine Fixpunktgleichung beschrieben. In der autoepistemischen Logik erhalten
wir dann die folgende Definition für eine Extension.
SeienBetrachten wir nun wieder unser Beispiel der Eiscreme-liebenden Kinder. Unsere Prämissenmengeund
Mengen von Sätzen. Dann ist
eine Extension von
, wenn
ein Fixpunkt der Gleichung
![]()
ist.
Vergleichen wir die Definition einer Extension in der autoepistemischen Logik
mit der von McDermott und Doyle so fällt auf, daß eine Extension in der autoepistemischen Logik zusätzlich eine Formelmenge der Gestalt
enthält. Diese Menge soll der Introspektion eines idealen rationalen Akteurs
entsprechen; er glaubt alle Aussagen , dh.
, die sich in
der Welt als wahr erweisen, dh.
. Dadurch
wird insbesondere die in McDermotts und Doyles Ansatz auftretende Schwäche
behoben. Enthält eine Prämissenmenge
nämlich die Formeln
und
,
so besitzt diese Formelmenge in der autoepistemischen Logik keine konsistente Extension, wie leicht nachzuvollziehen ist.
Diese Formalisierung der Introspektion ermöglicht allerdings auch zirkuläre Schlußweisen. Betrachten wir dazu die Prämissenmenge
Diese hat zwei alternative autoepistemische Extensionen. Eine Extension
enthält
was der Tatsache entspricht, daß ein Akteur auf Grund der Prämissenmenge
(3.1) keinen Grund hat, an A zu glauben. Die zweite
autoepistemische Extension von (3.1) enthält
kurioserweise sowohl LA als auch
. In diesem Fall
kann der Akteur also
zunächst
annehmen und dann mittels Introspektion auf LA schließen.
Hat er einmal LA, so kann er mit der in (3.1)
vorhandenen Regel
mittels Modus Ponens seine eingangs
getroffene Annahme, nämlich
, rechtfertigen. Konolige beschreibt dieses
Phänomen in [Kon88, p. 352,] sehr treffend wie folgt:
``This certainly seems to be an anomalous situation, since the agent can,
simply by choosing to assume a belief or not, be justified in either believing
or not believing a fact about the world.'' Auf diese Problematik werden wir
im zusammenfassenden Überblick 3.11 dieses Kapitels nochmals zurückkommen.
Man kann die autoepistemische Logik auch als Logik erster Stufe behandeln, was
in den Arbeiten [Per88b, Lif89] initiiert worden ist. Hierbei wird
zum Prädikatszeichen ein weiteres Prädikatszeichen
in die Sprache eingeführt, das die Rolle von
spielt,
aber als normales Prädikatszeichen behandelt wird. Auch diese Idee ist bis
heute in der Diskussion; zB. wird in [Li93] eine autoepistemische
Logik erster Stufe vorgeschlagen, in der die positive Introspektion minimiert
und die negative Introspektion maximiert werden.
Zum Schluß wollen wir noch einmal auf die Beziehung der autoepistemischen
Logik zur
Ermangelungslogik
von Reiter eingehen. Diese Beziehung wurde zuerst
in [Kon88] aufgedeckt und in [MT89] weiterverfolgt.
Nach [Kon88] entspricht eine Ermangelungsregel
einer modalen Formel der Gestalt
In unserem Beispiel entspricht daher die Ermangelungsregel
der Formel
Dennoch weisen beide Ansätze über diese Entsprechung hinaus noch einige subtile Unterschiede auf. Wie wir oben anhand der Prämissenmenge (3.1) gesehen haben, ermöglicht die autoepistemische Logik zirkuläre Schlußweisen. Solche sind in der Ermangelungslogik nicht möglich. Betrachten wir dazu die der Prämissenmenge (3.1) entsprechende Ermangelungstheorie
Wie man leicht sieht, hat diese nur eine Extension in der Ermangelungstheorie,
welche lediglich die Menge aller Tautologien enthält, da die einzige
Ermangelungsregel nicht anwendbar ist (da ja als Element von
nicht vorausgesetzt ist). Diese Extension entspricht der oben genannten,
enthaltenden autoepistemischen Extension, die ohne die Verwendung zirkulärer
Schlußweisen geformt worden ist. Zu der anderen autoepistemischen Extension
gibt es keine Entsprechung in der Ermangelungslogik.
Ein weiterer Unterschied wird durch die unterschiedliche Repräsentation von Ermangelungsaussagen in beiden Ansätzen hervorgerufen. Betrachten wir dazu die Ermangelungstheorie
und ihr autoepistemisches Gegenstück
Die betrachtete Ermangelungstheorie hat keine Extension, wohingegen es eine
autoepistemische Extension gibt, die nur aus besteht. Die Ursache
hierfür liegt darin, daß die Voraussetzungen und Rechtfertigungen von
Ermangelungsregeln in der Ermangelungslogik nicht in der Weise interagieren
können, wie dies aufgrund der modalen Sprache in der autoepistemischen Logik
möglich ist. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, daß die modalen
Regeln
und
zur Aussage
vereinfacht werden können, was offensichtlich in der Ermangelungslogik durch
deren Verwendung von Inferenzregeln zur Darstellung dieser beiden Aussagen
nicht möglich ist.
Christoph Quix, Thomas List, René Soiron