Die im vorangegangenen Abschnitt behandelte Annahme der Weltabgeschlossenheit
ist ein Beispiel der dort ebenfalls beschriebenen allgemeineren Idee, zu einer
gegebenen Weltbeschreibung noch eine Reihe
von zusätzlichen
Annahmen hinzuzunehmen, wie es die Abbildung 3.1 bereits illustriert hat. In diesem Fall bestehen diese Annahmen nur aus
negierten Grundatomen. Im vorliegenden Abschnitt werden wir ein weiteres
Beispiel dieser allgemeinen Idee kennenlernen, in dem auch allgemeinere
Formeln als Annahmen zur Weltbeschreibung hinzugefügt werden.
Betrachten wir zur Illustration zunächst als einfachstes Beispiel eine Welt,
die allein durch die Formel charakterisiert ist. Unser Alphabet
dagegen enthalte noch zusätzlich die Konstante
. Als Universum bei
der Modellierung dieser Formel betrachten wir die Menge
. Wie bei
der AWA bereits illustriert, möchte man in diesen Ansätzen bei dem so
gewählten Universum nur solche Modelle zulassen, die all diejenigen (und
keine weiteren) Konstanten in der Interpretation von
enthalten, für
die die entsprechende Atomformel (wie hier
) auch ableitbar ist. Rein
logisch wäre dagegen auch
als Interpretation für unser
möglich. In diesem Sinne strebt man also eine Minimierung der Menge
der möglichen Modelle an. Dies läßt sich außer mit der AWA auch
wie folgt realisieren.
Wir formen äquivalent zu
um.
Diese Implikation betrachten wir als den ``wenn''-Teil einer
Definition des Prädikats
. Um nun andere Objekte als
aus
einer Interpretation von
auszuschließen, müssen wir nur den
``nur-wenn''-Teil dieser Definition, also die Formel
als Annahme hinzufügen, so daß sich insgesamt
ergibt. Wir nennen diese Erweiterungsoperation
Prädikatsvervollständigung und die hinzugefügte Formel die
Vervollständigungsformel. Sie ist in [Cla78] eingeführt worden.
Würde unsere Welt noch zusätzlich durch charakterisiert sein, so
ergäbe sich die Vervollständigungsformel
.
Ist in dieser Weise ein Prädikat nur durch Grundatome definiert, so hat die
Prädikatsvervollständigung genau den gleichen Effekt wie die AWA. Wie wir
gleich sehen werden, ist das im allgemeinen nicht mehr der Fall. Wieder
müssen wir auf Konsistenzprobleme achten. Betrachten wir zB. die sehr
einfache Formel
, die äquivalent zu
ist, so erhält man mit der Prädikatsvervollständigung die
inkonsistente Formel
[She84]. Wie bei der AWA
müssen wir uns auf die Suche nach einer Formelklasse machen, bei der sich
durch diese Operation keine Inkonsistenzen einschleichen. Diesem Ziel dient
die folgende Definition.
Eine Menge von Klauseln heißt solitär inDie Klausel, wenn jede Klausel mit einem (in negativer Repräsentation) positiven Auftreten von
kein weiteres Auftreten von
enthält.
Sei also eine Klauselmenge, die solitär in
ist. Diejenigen
unter diesen Klauseln, die ein positives Auftreten von
enthalten,
lassen sich in der folgenden Form schreiben.
Wie oben bereits im speziellen Fall illustriert, gehen wir von dieser Form über zu der folgenden äquivalenten Form.
Nehmen wir an, in der Prämisse treten außer den noch die
Variablen
auf. Dann ist der Allabschluß dieser Formel
äquivalent mit der folgenden Formel.
Auf diese Gestalt bringen wir nun alle Klauseln mit einem positiven Auftreten
von . Nehmen wir an, es gibt
Stück hiervon. Jede hat also
die Gestalt
. Ihre Konjunktion ist wiederum äquivalent mit
Die Vervollständigungsformel
hierzu ist gegeben
durch
Zu einer inAus [GN89] übernehmen wir den folgenden Satz.solitären Klauselmenge
ist die unter der Prädikatsvervollständigung bezüglich
erhaltene Theorie definiert durch
![]()
IstDie Prädikatsvervollständigung führt ebenfalls zu einem nichtmonotonen Verhalten; denn ergänzt man eine Weltbeschreibung mit neuen Klauseln, die solitär inkonsistent, so auch
.
Die Prädikatsvervollständigung läßt sich natürlich auch auf den Fall mehrerer Prädikate anwenden. Wir betrachten hierzu das folgende Beispiel.
Wendet man nun die Prädikatsvervollständigung auf die Prädikate
und
an, so erhält man die
beiden Vervollständigungsformeln
in denen mit den Regeln von der Pfeil auch in die andere Richtung
hinzugefügt werden kann.
Über irgendwelche Abnormalitäten von Larissa verrät uns die
Prädikatsvervollständigung nichts; somit ist weder
Liebt_Eiscreme(Larissa) noch
Liebt_Eiscreme(Larissa) ableitbar
(was durchaus Sinn in dieser Situation macht). Im
Gegensatz dazu führt die AWA in diesem Beispiel zu einem Widerspruch, da mit
ihr beide Literale ableitbar werden. Die beiden
Vervollständigungsmechanismen zeigen also tatsächlich ein
unterschiedliches Verhalten. Alle Beispiele, die wir aber im vorangegangenen
Abschnitt mit der AWA erfolgreich behandelt haben, führen auch mit der
Prädikatsvervollständigung zum gleichen Ergebnis.
Damit die Zusammenhänge nicht übersehen werden, weisen wir anhand dieses Beispiels auf den Bezug zu den in Abschnitt 2.6 behandelten Vererbungsnetzen hin. Unser Beispiel ist offensichtlich von genau der dort behandelten Form. Um Widersprüche beim Vorliegen von Ausnahmen zu vermeiden, wurde hier in die Regeln jeweils ein Abnormalitäts-Prädikat eingeführt. Diese Technik ist als Alternative zu der dort besprochenen Lösung anzusehen. Über die Beziehung unter diesen beiden Alternativen ist wenig bekannt. Nur sieht man, daß hier die Regeln nicht wie dort immer nur auf eine Prämisse beschränkt sein müssen. Andererseits gewährleistet die Einführung von Abnormalitätsprädikaten für sich allein nicht die Bevorzugung von spezifischerer Information.
Die Vervollständigung in bezug auf mehr als ein Prädikat ist nicht immer
so problemlos wie in dem gegebenen Beispiel. Die jeweiligen Klauseln können
sich zB. überlappen, dh. eine Klausel kann je ein positives Literal zweier
verschiedener Prädikate enthalten; oder die Vervollständigung bezüglich
der einen Klausel kann sich auf die der anderen auswirken (in möglicherweise
zirkulärer Weise). Mit einigen Vorsichtsmaßnahmen, wie parallele
Vervollständigung und Ordnung der Prädikate , so
daß in den Definitionsklauseln für
nur Prädikate
mit
auftreten, läßt sich unsere Definition auch im
allgemeinen auf mehrere Prädikate erweitern [GN89]. In dieser
verallgemeinerten Form wurde die Prädikatsvervollständigung von Clark auf
die PROLOG Programmierung zur Rechtfertigung der
Negation als Mißerfolg
angewandt, die wir im folgenden Abschnitt 3.4 behandeln.
Christoph Quix, Thomas List, René Soiron