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Nächste Seite: 2 Repräsentationsformalismen Vorige Seite: 1.5.4 Die inferentielle Beziehung

1.6 Der Aufbau und Inhalt des Buches

Der letzte Abschnitt hat gezeigt, daß wir es in der Wissensrepräsentation mit einem vieldimensionalen Raum zu tun haben. Dabei haben die genannten Ordnungskriterien zweifelsohne nicht alle der denkbaren Dimensionen ausgeschöpft. Die Häufigkeit der Verwendung der Formalismen sowie deren historische Entwicklung wären weitere.

Angesichts dieser Vielfalt ist es nicht einfach, sich im Hinblick auf den Aufbau des Buches an ein einziges Kriterium zur Strukturierung der Darstellung zu halten. Unser Vorgehen hält daher mehrere dieser Kriterien gleichzeitig im Auge. Wir starten mit einem Formalismus, der als kanonisch angesehen werden kann, nämlich dem Logikformalismus. Diese Wahl erlaubt uns, einen Referenzpunkt für ein jegliches Detail anzugeben und die Dinge bei einem Namen zu nennen. Zudem liegen wir mit dieser besonderen Auszeichnung der Logik (unter anderen Repräsentationsformen) völlig im Einklang mit der vorherrschenden Meinung des Gebietes. Zum Beleg verweisen wir auf verwandte Bücher wie [GN89, PMG93] und greifen eines der vielen diesbezüglichen Zitate aus der Literatur heraus [Lev86].

For the structures to represent knowledge, it must be possible to interpret them propositionally, that is, as expressions in a language with a truth theory. We should be able to point to one of them and say what the world would have to be like for it to be true.

Da jede vernünftige Einführung in die Logik und ihrer Deduktionsmechanismen selbst ein Buch füllt, muß hier für ein tieferes Verständnis des nachfolgenden Inhalts vom Leser verlangt werden, daß er diese Grundlage beherrscht. Während es eine Fülle von Logikbüchern gibt (zB. [EFT92, Ric78, Sch87a]), können für das Gebiet der Deduktion derzeit nur [Bib92, BB92] innerhalb der deutschen Literatur empfohlen werden. Wir sind mit guten Argumenten darauf vorbereitet, daß diese Entscheidung, Logik vorauszusetzen, auf Kritik stoßen wird. Andererseits dürfte sich über kurz oder lang auch an deutschen Hochschulen die Erkenntnis durchsetzen, daß ein gewisses Maß an Logikausbildung zur Grundausbildung nicht nur der Intellektik gehört.

Auch in diesem Buch weichen wir von der in der Deduktionsliteratur weitverbreiteten negativen Repräsentation von Formeln durch Klauseln ab und wählen stattdessen die von Logikern (und normalen Menschen) seit Jahrhunderten bevorzugte positive Repräsentation [Bib87a]. Wir haben uns bemüht, an Stellen, wo dies zu Mißverständnissen führen könnte, jeweils in irgendeiner Form wie zB. mit einer Fußnote an diese Vereinbarung zu erinnern.

Ausgehend von der Logik bewegen wir uns im nächsten Kapitel längs des oben angegebenen syntaktischen Kriteriums sowie nach einer Mischung der Kriterien der Ausdrucksfähigkeit, der Bedeutung (oder Häufigkeit) und der historischen Entwicklung, ohne eingehendere Beachtung der inferentiellen Beziehung (Abschnitt 2.6 bildet eine dort begründete geringfügige Ausnahme). Die Absicht dabei ist es, einfach die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten relativ neutral vorzustellen.

Die Überzeugung einer kanonischen Bedeutung der Logik, die ja auch in dem in Abschnitt 1.5.4 gegebenen Zitat von Brachman zum Ausdruck kam, werden wir bei der Darstellung der verschiedenen Formalismen allerdings nie verhehlen. Die Erfahrung der letzten beiden Jahrzehnte hat nämlich gezeigt, daß Formalismen wie die assoziativen Netze oder die Konzeptrahmen erst durch eine Einbettung in die Logik die notwendige Klärung und Präzisierung erfahren haben. Mehr noch als zur Präzisierung der Syntax trägt aber die Logik überdies zur Klärung der Semantik von Wissensrepräsentationsformalismen bei. Um nämlich als Repräsentation von Wissen über die Welt zu taugen, muß ja jeder Ausdruck eines solchen Formalismus eine Bedeutung erhalten, die etwas über die Welt aussagt. Hierfür bietet die Logik eine ausgereifte Semantik, was man von praktisch allen anderen Formalismen nur insoweit feststellen kann, als ihre Beziehung zur Logik geklärt ist. Denn weiß man, welches zu einem beliebigen Ausdruck eines Formalismus der äquivalente logische Ausdruck ist, so kennt man über dessen Bedeutung auch diejenige von , weil die Ausdrücke zwar verschieden, ihre Bedeutungen aber identisch sind.

In Kapitel 3 und 4 beziehen wir dann die inferentielle Relation in die Betrachtung zentral mit ein und überlassen ihr die Oberhand bei der Strukturierung des weiteren Vorgehens. Insbesondere lernen wir in diesen beiden Kapiteln die verschiedensten Formen von Inferenz kennen, mit denen wir Menschen im täglichen Leben umgehen und die ein System mit Anspruch auf intelligentes Verhalten realisieren müßte. Wir beginnen dabei in Kapitel 3 mit einer Behandlung der verschiedenen Formen des nichtmonotonen Schließens ``unter normalen Umständen''. Unter ihnen befinden sich die fünf Hauptvertreter, nämlich die Negation als Mißerfolg, die verschiedensten Varianten der Zirkumskription, die Ermangelungslogik, die konditionale Logik und die Autoepistemische Logik. Neben diesen reinen Kalkülansätzen behandeln wir aber auch die systemorientierten Ansätze der Begründungsverwaltungssysteme. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels geben wir zur besseren Orientierung für den Leser eine vergleichende Zusammenfassung all dieser Ansätze.

Alle Formalismen der Inferenz, die über das Schließen unter normalen Umständen hinausgehen, werden dann in Kapitel 4 behandelt. Es handelt sich hier um einen vieldimensionalen Raum, dessen Vereinheitlichung noch aussteht. Allerdings geben wir in Abschnitt 4.1 eine Orientierung für den Leser, die zugleich einen Versuch der systematischen Strukturierung darstellt. Sie orientiert sich einerseits an der logischen Folgerungsbeziehung sowie andererseits an der Art der Unvollständigkeit des Wissens, unter dem das Schließen vonstatten geht. Im einzelnen bietet das Kapitel eine Behandlung von Metainferenz und ihren verschiedenen Ausprägungen, von abduktivem , induktivem, analogem und fallbasiertem Schließen, von probabilistischen Aspekten, von vagen Prädikaten, von Verfahren zur Diagnose technischer Systeme, von Planungsverfahren, von Zeit und von qualitativem Schließen. Der Themenkatalog ist zu groß, um erschöpfend behandelt werden zu können. Dennoch sind mit den beiden Kapiteln wohl die wichtigsten Aspekte der Inferenz abgedeckt.

Im letzten Kapitel greifen wir die bereits in diesem ersten Kapitel angerissenen philosophisch orientierten Fragen grundsätzlicherer Bedeutung nochmals auf und führen sie weiter aus. Hierzu versuchen wir zunächst eine begriffliche Präzisierung, umreißen dann einige wichtige Aspekte aus der Philosophie des Geistes und fokussieren schließlich wieder auf unser Thema der Wissensrepräsentation. Zum Abschluß weisen wir nochmals etwas ausführlicher auf den von einigen Wissenschaftlern der Intellektik (dh. den Intellektikern) vertretenen Standpunkt der repräsentationslosen Intelligenz hin.

Es handelt sich bei dem Gebiet der Wissensrepräsentation nicht nur um einen vieldimensionalen Raum, wie eingangs gesagt, sondern auch um ein außerordentlich umfangreiches Gebiet. Es stellt daher für Autoren nicht nur hinsichtlich des Aufbaus eine Herausforderung dar, sondern besonders auch wegen der Fülle des zu berücksichtigenden Materials verschiedenster Art. Zudem ist dieses Gebiet noch voll im Fluß, so daß eine kanonische Stoffauswahl noch sehr schwer fällt. Es ist daher unvermeidlich, daß die Darstellung in einem gewissen Sinne unausgewogen ist, auch weil wohl kein Autorenteam von (im Hinblick auf eine einheitliche Darstellung) praktikabler Größenordnung auf allen Teilgebieten in gleicher Weise kompetent sein kann. An Stellen, wo wir den Mangel besonders bedauern, finden sich im Buch entsprechende Hinweise. Wir hoffen, daß trotz dieses hoffentlich nicht allzu großen Mangels das Buch eine wichtige Aufgabe in bezug auf die Konsolidierung des Gebietes erfüllen kann.



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996