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2.11.13 Die Überwindung von Babel

Erfinden von Sprache gehört zu den tiefeingeprägten Fähigkeiten des Menschen, wie man an Kindern beobachten kann. Im Erfinden einer individuellen Sprache schafft sich das Individuum einen esoterischen Bereich, den er ganz sein eigen nennen kann. Mag dieser Drang des Menschen für seine Psyche von noch so großer Bedeutung sein, für den Bereich der Wissenschaft ist er zweifelsohne einer kreativen Zusammenarbeit nicht immer dienlich.

Leider haben viele Forscher der Wissensrepräsentation noch nicht durch Selbstreflexion erkannt, daß sie an einer babylonischen Sprachverwirrung eifrig beteiligt sind. Täglich werden neue Sprachkonstrukte erfunden, deren Bedeutung nur den Erfindern vertraut ist. Wie sollen wir diese babylonische Sprachverwirrung überwinden?

Was wir nicht können oder sollten, ist quasi durch Dekret einen der heutigen oder künftigen Formalismen als den allein selig machenden zu erklären und fürderhin ausschließlich zu gebrauchen. Damit würden wir uns wahrscheinlich jedes weiteren Fortschritts auf diesem Gebiet berauben. Was man aber ohne Behinderung der Forschungsarbeit fordern könnte und sollte, ist die präzise Definition der Bedeutung eines jeden neuen Sprachkonstrukts mittels bereits definierter Sprachkonstrukte (etwa mittels prädikatenlogischer Konstrukte) oder in Form einer mathematisch präzise definierten Semantik. Wieviel Arbeit hätte man sich in den letzten beiden Jahrzehnten ersparen können, hätte man sich an diese Maxime gehalten.

Nicht ohne Grund nennen wir die Prädikatenlogik in diesem Zusammenhang. Im Vergleich mit allen in diesem Kapitel besprochenen Formalismen ist sie diesen an Ausdrucksstärke zumindest gleichwertig, meistens jedoch echt überlegen. Zudem hat sie eine präzise definierte Semantik in dem soeben geforderten Sinne [Hay77]. Wir möchten daher eine Hypothese zur Rolle der Logik als kanonischer Wissensrepräsentationsform wie folgt formulieren.

Die Prädikatenlogik (nicht notwendig erster Stufe) enthält alle strukturellen Ausdrucksmöglichkeiten, die erforderlich sind, um rationales Wissen adäquat zu formulieren. Ihre Semantik liefert zu jeder solchen Formulierung einen Sinn, an dem wir als externe Beobachter ua. prüfen können, ob die Formulierung dem Gemeinten entspricht. Jeder andere Repräsentationsformalismus, der eine solche Semantik ebenfalls bereitstellt, läßt sich eineindeutig auf die Prädikatenlogik abbilden. Darüber hinaus ist kein Formalismus komplexitätsmäßig leistungsfähiger in bezug auf die erforderlichen (ggf. nicht rein klassischen) Inferenzprozesse als sein prädikatenlogisches Äquivalent (vorausgesetzt natürlich, die Inferenzprozesse sind mit ``gleich'' leistungsfähigen Techniken implementiert, deren Existenz diese These in bezug auf die Prädikatenlogik postuliert).

Diese These hat sich bis heute trotz mannigfacher gegenteiliger Versuche stets bewährt. Sie steht im Widerspruch zu einer in [LB85] vertretenen Auffassung, wonach die Prädikatenlogik deswegen keine kanonische Rolle spielen kann, weil sie in aller Allgemeinheit mit heute bekannten Algorithmen aus Komplexitätsgründen nicht realisierbar ist. Unsere These sagt zu diesem Einwand, daß jede Berechnung in einem anderen Formalismus auch in seinem prädikatenlogischen Äquivalent durchführbar ist. Wenn ein solcher daher komplexitätsmäßig akzeptable Eigenschaften hat, dann kann dies nur heißen, daß er entweder mit einem genau definierten Teil der Logik zusammenfällt oder das P-NP-Problem positiv gelöst hat. Niemand aus der Logik``gemeinde'' hat natürlich etwas gegen die Einführung von eingeschränkten Formalismen. Ärgerlich ist nur, wenn die Ansprüche irreführend sind, und schön wäre es, wenn im Falle eines jeweils neuen Vorschlages an der Logik als kanonischem Formalismus genau angegeben würde, mit welchem Teil in ihr er gleichwertig ist; dann könnte ihn jeder direkt einordnen.

In [DSS93] wird auf S. 30 die Relevanz der Äquivalenz verschiedener Formalismen aus der Sicht der Wissensrepräsentation in Frage gestellt. Mag die Frage in aller Allgemeinheit auch berechtigt sein, so greift sie in den Fällen dieses Kapitels nicht. Wählt man nämlich für die Logik die jeweils geeignete Repräsentation (vgl. Abschnitt 2.3), so gelten diese Äquivalenzen in einem so starken Sinne, daß die Unterschiede auch aus der Sicht der Wissensrepräsentation irrelevant werden. Als Beispiel erinnern wir an die im Abschnitt 2.4 gezeigte Äquivalenz der Logik mit gaG-Repräsentation und der assoziativen Netze.

Unsere These steht auch im Widerspruch zu der in [BW77a], S. 7, geäußerten Erwartung, daß die Verwendung natürlichsprachlicher Notation die Aufgabe erleichtern würde, leistungsfähige Abarbeitungsstrategien zu entwickeln. Natürlich kann man Ideen für solche Strategien daraus ableiten, die Notation jedoch ist nach unserer These irrelevant zur Realisierung der Strategien.

Man beachte, daß wir keinem Sprachdespotismus das Wort reden. Im Gegenteil ermöglicht diese Forderung eine Vielfalt von Sprachkonzepten in hybriden Systeme wie KRYPTON, BABYLON und PRINCESS, ohne jegliche Verwirrung zu realisieren, ist es doch möglich die Vielfalt, wenn gewünscht, innerhalb der kanonischen Sprache einheitlich zusammenzuführen.

Eines der zentralen Anliegen der Wissensrepräsentation ist eine den menschlichen Kognitionsmechanismen angepaßte Darstellung. ZB. erweisen Rahmendarstellungen ihre Vorteile im menschlichen Gebrauch. Es ist der Mensch, der sich solche Strukturierungen schaffen muß, um sein Wissen organisiert einsetzen zu können. In vielen Fällen erweisen sich solche Darstellungen sehr deutlich im Sinne ihrer Bezeichnung, nämlich als Zwänge innerhalb des vorgegebenen Rahmens. Jeder weiß, wovon wir reden, wenn er sich nur an das Ausfüllen von Formularen erinnert, die so oft auf den Einzelfall nicht anwendbar sind. Oder man denke an den stupiden Rahmen bei der Reservierung eines Flugplatzes: ``Raucher oder Nichtraucher'', als ob es nicht im Einzelfall eine Fülle von anderen situationsbedingten Merkmalen gäbe, die einem Passagier viel bedeutsamer als das genannte sein könnten (wie zum Beispiel die Alternative ``Fensterplatz oder hübsches Mädchen neben dem (männlichen) Passagier'').

Eine Stewardeß wäre natürlich überfordert, auf solche Sonderwünsche einzugehen. Gerade deswegen entwickeln wir doch solche Maschinen, um diese menschlichen Unzulänglichkeiten überwinden zu helfen. In der Maschine nämlich kann diese Verflechtung ruhig wesentlich unübersichtlicher sein. Entscheidend sind hier nur technische Merkmale, wie die Zugriffszeit etc., oder allgemeiner die Berechenbarkeit.

Wir möchten daher die Brachmansche Ebene der epistemologischen Adäquatheit [Bra79] in Zweifel ziehen, insoweit sie verschieden ist von der in [Bib84] aufgestellten Schichtung.

Inferenzsteuerung
Globalsteuerung
Beurteilung und Bewertung
deduktives Wissen
Fakten- und Regelwissen

Man beachte, daß hier über der Wissensebene die deduktive Ebene vorgesehen ist. Das stimmt mit Brachmans Einbeziehung von ``class-instance'' Beziehungen auf dieser Ebene mit überein, die nach unserer in diesem Kapitel dargestellten Einsicht rein deduktiver Natur sind. Diese Bemerkungen erstrecken sich insgesamt auf die Versuche von Schank und anderen, ``knowledge primitives'' aufzudecken. Nach der hier vertretenen These fallen sie mit Deduktionsstrukturen zusammen.



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996