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2.8.1 KL-ONE

Die Wissensrepräsentationssprache KL-ONE [BS85] vereinigt in sich die Ideen, auf denen assoziative Netze und Konzeptrahmen fußen. Sie übt bis heute einen starken Einfluß auf die Entwicklung von Wissensrepräsentationssprachen aus. Als Ziel ihrer Entwicklung sollten Begriffe wie ``Beschreibung'', ``Attribute'', ``Konzept'', ``Rolle'', ``Vererbung'' und ``Instantiierung'' im Rahmen eines allgemeinen Formalismus präzisiert werden, der unabhängig von einer speziellen Anwendung ist und sich besser den Bedürfnissen der Intellektik anpaßt, als dies nach der Meinung der Autoren die Logik tut. Die Ebene, auf der dies geschieht, wurde die ``epistemologische'' Ebene genannt, die wir bereits in Abschnitt 1.5.3 eingeführt haben.

Zunächst wird in KL-ONE unterschieden zwischen Beschreibungen von Objekten oder Konzepten auf der einen Seite und Aussagen über so beschriebene Strukturen. Bevor wir hierauf eingehen, werden wir insbesondere die Struktur von Beschreibungen erläutern, die hier die Rolle der Konzeptrahmen des Abschnitts 2.4 spielen. Wir werden dabei auf die wohlbekannten Begriffe der Prädikatenlogik zurückgreifen, mag dies auch der (leider meist verschwommenen) Intention vieler Autoren in diesem Gebiet zuwider sein.

Der sprachliche Baustein von KL-ONE ist der eines strukturierten konzeptuellen Objektes, kurz eines Konzeptes. Man kann sich sehr wohl darunter einstellige Prädikatszeichen vorstellen, zusammen mit -Ausdrücken der in Abschnitt 2.5 gezeigten Art, die diese Prädikate (mehr oder weniger vollständig) definieren sowie mit Vererbungsregeln. Wir wollen das an dem in der Abbildung 2.26 in KL-ONE Notation gezeigten Beispiel nun im einzelnen besprechen.


Abbildung 2.26: Die Konzepte ``Nachricht'' und ``Privatnachricht''

Die Abbildung zeigt ein strukturiertes Vererbungsnetz mit fünf Konzeptknoten der Art wie sie uns aus den Abschnitten 2.4 und 2.6 vertraut sind. Wie bisher betrachten wir diese Knoten als einstellige Prädikatszeichen, . Das hierdurch dargestellte Vererbungsnetz ist durch die Doppelpfeile und die damit verknüpften Knoten aufgebaut. Alle mit einem Stern markierten Knoten bzw. die durch sie repräsentierten Konzepte werden als primitiv in dem Sinne eingestuft, daß ihre Definition durch die in dem strukturierten Netz gegebene Beschreibung nicht vollständig (nämlich notwendig, jedoch nicht hinreichend) ist. Die übrigen Konzepte, wie hier das Konzept ``Privatnachricht'', heißen definiert, weil ihre Bedeutung mittels anderer Konzepte eindeutig festgelegt ist. Alle Konzepte der Abbildung sind im übrigen generische Konzepte, die erst durch Instantiierung konkrete Sachverhalte beschreiben. Betrachten wir zunächst nur die primitiven Konzepte.

Der Doppelpfeil zwischen zwei Knoten hat die Bedeutung einer generischen Regel wie bei den Vererbungsnetzen: ``Nachrichten sind Dinge'', oder formal . Entsprechendes gilt für die anderen Paare von primitiven Knoten. KL-ONE kennt jedoch keine Ausnahmen der Form wie sie in Abschnitt 2.5 beschrieben wurden. Mit anderen Worten, hier handelt es sich lediglich um taxonomische Netze.

Über das primitive Konzept ``Nachricht'' erfahren wir aber durch die gegebene Beschreibung noch mehr. Insbesondere erfüllen Nachrichten fünf zweistellige Prädikate, in denen wir einer Variante der bereits aus Abschnitt 2.4 bekannten Schlitze wiederbegegnen. So haben Nachrichten einen Absender, dh. formal . Das Netz sagt in einer Zahlbeschränkung (engl. number restriction) zusätzlich noch etwas über die Anzahl der Absender aus, nämlich daß es beliebig vielegif, aber mindestens einen geben muß. Genauer heißt also die entsprechende Formel . Formeln dieser Struktur werden (generische) Rollen (engl. Role Sets), die durch eingeschränkte Art auch eine Wert- oder Sortenbeschränkung (engl. value restriction) genannt.gif Insgesamt entspricht dem Konzept ``Nachricht'' also eine Formel der folgenden Gestalt.

In ihr sind die weiteren Rollen nur mit Punkten angedeutet, und im allgemeinen könnte auch mehr als eine Oberklasse wie hier auftreten. card bezeichnet eine eingebaute Funktion mit der Bedeutung der Kardinalität einer Menge. Entsprechende Formeln gibt es für die anderen drei primitiven Konzepte, die aber mangels spezifizierter Rollen in zwei Fällen nur aus einer generischen Regel bestehen und im Falle der Dinge überhaupt leer ist, da über sie in der Beschreibung (über die Aussagen hinsichtlich der anderen Konzepte hinaus) nichts ausgesagt ist.gif

Wie wir anhand dieser Formel sehen können, werden primitive Konzepte nur durch notwendige und nicht durch hinreichende Bedingungen umschrieben. Genau in diesem Punkt unterscheiden sie sich von den definierten Konzepten wie der Privatnachricht. Der fehlende Stern als Markierung bedeutet also genau, daß in der folgenden Definitionsformel im Gegensatz zu der vorangegangenen Formel ein Äquivalenzzeichen auftritt.

Diese Formeln sind von genau der gleichen Art wie diejenigen in Abschnitt 2.5 zur Definition von Konzeptrahmen. Die Beschränkung auf notwendige Bedingungen bei den primitiven Knoten hier ist in gleicher Weise fragwürdig wie dort, wo wir die Unvollständigkeit einer Beschreibung in das Aufgabengebiet des Mechanismus, der die Wissensbank jeweils auf den neuesten Stand bringt, und nicht in das der Logik verwiesen haben. Weil dieser Punkt bei KL-ONE aber explizit herausgestellt wird, sind wir hier dieser Vorstellung gefolgt, ohne sie zu teilen.

Man beachte, daß das Konzept ``Privatnachricht'' über das Konzept ``Nachricht'' logisch wie faktisch all dessen Komponenten erbt mit Ausnahme des neu spezifizierten Anzahlwertes. Bei einer Privatnachricht gibt es also genauso Empfänger, die Personen sind usw. Wie bereits oben erwähnt, stellt KL-ONE hinsichtlich der Vererbungsstruktur ein taxonomisches Netz dar, kann also keine Inkonsistenzen wie bei den im letzten Abschnitt besprochenen Vererbungsnetzen verarbeiten. Gerade die Möglichkeit, die Vererbungen unmittelbar aus der Struktur des repräsentierten Wissens ablesen zu können, macht die Attraktivität der strukturierten Netze aus. Im vergangenen Abschnitt haben wir aber gezeigt, daß dies keine netzspezifische Eigenschaft ist, sondern in gleicher Weise für logische Repräsentationen gilt, wenn sie nur geeignet kodiert werden.

Wie in früheren Diskussionen über die Beziehung mit logischen Konstrukten mag hier aber trotzdem wieder der Hinweis kommen, daß die KL-ONE Konstruktion eben doch um so vieles einfacher ist. Insbesondere muß hier in einer logischen Behandlung die gesamte Definition der Rolle in der spezialisierten Weise wiederholt werden. Ja, muß sie es wirklich? Natürlich nicht; denn wie in Abschnitt 2.6 können wir Rollen eines Konzeptes eigens wie folgt definieren.

Das heißt, allgemein ausgedrückt, alle Rollen irgendeines Konzeptes sind von einer derartigen Formelstruktur. Eine spezielle Rolle ergibt sich durch Anwendung des -Ausdrucks auf spezielle Parameter. Dabei müssen nicht notwendigerweise alle Parameter eingesetzt werden. Es genügt also, zB. im Fall der Privatnachricht, lediglich den Parameter für den Namen der Rolle (was im Bild dem senkrechten Pfeil nach oben entspricht, der oft noch mit ``Beschränkung'' oder ``restricts'' markiert wird) und den Wert 1 für die spezialisierte obere Schranke der Empfängeranzahl anzugeben, was wir als andeuten. Damit erhalten wir wieder genau die gleiche sparsame Repräsentationsstruktur wie im strukturierten Vererbungsnetz.

Darüber hinaus läßt sich auch erkennen, daß bei solcherart definierten Konzepten auch die verbleibenden beiden Argumente neu durch Parameter instantiiert werden können. ZB. könnten wir unter einer ``Schmidtschen Nachricht'' eine Nachricht verstehen, deren Absender die Person ``Schmidt'' ist, was die Instantiierung der zweiten Argumentstelle des -Ausdrucks durch das Konzept ``Schmidt'' bedeuten würde. Im Netz hieße dies, daß der Rollenknoten zum Konzept ``Schmidtsche Nachricht'' eine Kante hin zum Knoten der Absenderrolle und zu einem neuen Konzeptknoten ``Schmidt'' hätte, der wiederum mit einem Doppelpfeil hin zum Konzeptknoten ``Person'' verbunden wäre.

Eine Rolle läßt sich auch differenzieren (in welchem Fall die entsprechenden Kanten die Markierung ``differ'' erhält). Zum Beispiel können bei einer cc-Nachricht (für ``carbon-copy'') die Empfänger in den Adressaten und die Empfänger einer Kopie unterteilt werden. Logisch entspricht dies einer Definitionsformel für das Rollenprädikat mittels der differenzierenden Prädikate, die dann nach einer -Abstraktion als Parameter eingesetzt werden.

Die gegebene Struktur einer beliebigen Rolle ist der Beitrag von KL-ONE auf der epistemologischen Ebene. Nach dem vorangegangenen können wir nun darunter spezielle -Ausdrücke ohne instantiierte Prädikatszeichen auffassen. Auch für Konzepte läßt sich ein solcher Ausdruck formulieren, was dem Leser überlassen sei. Ein Netz, wie das soeben besprochene, wird auf der konzeptuellen Ebene angesiedelt; hier sind die Parameter nun eingesetzt.

Primitive und definierte Konzepte der bis hierher beschriebenen Form machen schon den Großteil der KL-ONE Sprache aus. Hinzu kommen noch die individuellen Konzepte. Bezüglich der Vererbungshierarchie werden sie wie die generischen Konzepte in der von den Vererbungsnetzen bekannten Weise behandelt. Hinsichtlich des deskriptiven Teils, der die Rollen, Wertbeschränkungen etc. umfaßt, gilt dies auch, insoweit es die äußere Form betrifft. Nur die Bedeutung ist hier nun entsprechend anzupassen. So hat eine bestimmte Nachricht mit dem Absender ``Müller'' eine (individuelle) Rolle (eine ``IRole''), die die Absenderrolle von Nachrichten erfüllt. Hier begegnen wir dem Analogon der Füllsel von den Konzeptrahmen.

Weiter spielen noch Rollenwertabbildungen (engl. Role Value Map) eine Rolle, mittels derer die Werte zweier Rollen identifiziert werden können, ohne den Wert explizit anzugeben. Mit strukturellen Beschreibungen lassen sich auch allgemeinere Beziehungen zwischen Rollen (außer der eben erwähnten Gleichheit ihrer Werte) ausdrücken.

Die Einfügung neuer Konzepte in ein gegebenes Netz, die in allen bislang besprochenen Formalismen recht einfach war, erfordert hier eine detaillierte Analyse der logischen Beziehungen, um die richtigen Kanten angeben zu können. In [Neb90b] wurde gezeigt, daß diese Operation der Klassifizierung, bei der sich das Problem der Subsumtion (siehe Abschnitt 2.7) stellt, ein NP-vollständiges Problem ist. Dies ist nicht verwunderlich, werden doch durch die Klassifizierung Teile der zur Beantwortung von Anfragen erforderlichen Inferenzen schon zur Zeit des Netzaufbaus vorweggenommen. Dies bedeutet logisch den Einsatz von (bereits vorher bewiesenen) Lemmata, ein bekanntlich äußerst vorteilhaftes Verfahren.

Der Teil von KL-ONE, der die Aussagen über die Beschreibungen betrifft, ist relativ arm im Vergleich mit den logischen Möglichkeiten. Es lassen sich einerseits Existenzaussagen bilden wie ``die Privatnachricht an Peter vom 14.12.90'' (man beachte, daß die natürliche Sprache Existenzquantoren oft nicht explizit erwähnt); anderseits läßt sich die Identität zweier Beschreibungen aussagen, zB. daß die eben erwähnte Nachricht an Peter diejenige Nachricht ist, die ihm die Prüfungstermine mitteilte. KL-ONE sieht auch angehängte Prozeduren vor, die wir als Dämonen bei den Konzeptrahmen bezeichnet haben.

Der Beitrag von KL-ONE sind die unbestritten wichtigen Strukturtypen wie Konzept, Rolle usw. sowie die zugehörigen strukturierenden Operationen wie Spezialisierung, Beschränkung, Differenzierung, Subsumtion und Klassifikation. Andererseits ist aus logischer Sicht dieser Beitrag relativ bescheiden, sagt er doch gemäß den gezeigten Formeln im wesentlichen nichts anderes aus, als daß bei der Definition eines einstelligen Prädikates einerseits eine Reihe anderer einstelliger Prädikate und andererseits zweistellige Prädikate auftreten können, die jeweils eine Variable mit dem definierten Prädikat gemeinsam haben. Alles andere in KL-ONE ist eine Folge von bekannten logischen Eigenschaften. Man könnte vielleicht sagen, daß diese Sprache deswegen so erfolgreich geworden ist, weil sie wenigstens keine logischen Fehler enthält und einigermaßen verständlich definiert ist.

Bis zu einem gewissen Grad mag diese Vorstrukturierung von Wissen für dessen Darstellung genauso hilfreich sein, wie es Formulare sind, worauf wir schon früher hingewiesen haben. Ebenso wie Formulare selten alle Fälle abdecken, so daß die Möglichkeit der ``freien'' Repräsentation (Platz für ``weitere Mitteilungen'') immer auch bestehen muß, so sollte eine Sprache wie KL-ONE auch Strukturen, die über den ausgeklügelten Apparat hinausgehen (wie etwa 3-stellige Prädikate), zulassen. Dies ist dann möglich, wenn intern die hier gezeigte logische Form repräsentiert ist, weil dann auch jede andere logische, und damit freie Form mitverarbeitet werden kann.



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996