Im vorangegangenen Unterabschnitt haben wir drei verschiedene Möglichkeiten
zur formalen Repräsentation von propositionalen Einstellungen kennengelernt.
In diesem Unterabschnitt wollen wir uns nun mit den beiden wichtigsten
Attributen Wissen und Glauben und deren Gesetzmäßigkeiten
beschäftigen. Für die
Formulierung dieser Gesetzmäßigkeiten können wir uns auf eine der drei
Repräsentationsvarianten beschränken, da eine Übertragung auf die
anderen beiden Varianten keine größeren Schwierigkeiten bereitet. Und
zwar wählen wir die gebräuchlichste der drei Varianten, nämlich
diejenige innerhalb der Modallogik unter
Verwendung der zwei modalen Operatoren K und B.
Wir wollen die Gesetzmäßigkeiten dieser beiden Operatoren so bestimmen, daß sie möglichst den intuitiven Vorstellungen von diesen beiden Attributen entsprechen. Welches sind diese Vorstellungen? Die Aussagen über die Welt in unserem Kopf sind in der Regel Überzeugungen (engl. beliefs), die wir glauben. Demgegenüber hat Wissen noch zusätzlich irgendetwas mit Wahrheit zu tun. So könnte man irgendein Wissen als eine Überzeugung auffassen, die zudem im objektiven Sinne wahr ist. Dies ist sicherlich eine zu weite Definition von Wissen, da ja eine Überzeugung auch nur zufällig wahr sein könnte. So mag jemand fest daran glauben bzw. davon überzeugt sein, daß er an diesem Wochenende die sechs richtigen Zahlen im Lotto angekreuzt hat. Man würde wohl auch dann nicht sagen, er hätte die sechs richtigen Zahlen schon vorher ``gewußt'', wenn sich die von ihm angekreuzten Zahlen tatsächlich als die richtigen herausstellen würden; er hat dann einfach Glück gehabt. Die Beziehung zwischen Wissen und Glauben ist daher offenbar nicht einfach zu präzisieren, so daß wir beide unabhängig voneinander charakterisieren wollen. Wir beginnen dies mit der Logik des Wissens.
Wie bei jeder Logik haben wir auch hier die beiden Möglichkeiten der
(axiomatisch) syntaktischen und der semantischen Charakterisierung. Da es sich
um eine Modallogik handelt, haben wir es im letzteren Fall mit einer
Kripkesemantik zu tun,
die in Abschnitt 2.11.7 besprochen worden ist. Insbesondere gehen
wir daher von einer Menge möglicher (oder vorstellbarer)
Welten aus, unter denen
eine als aktuelle Welt
ausgezeichnet ist und die in irgendeiner Weise untereinander
erreichbar sind, was durch eine
Erreichbarkeitsrelation
bestimmbar ist. Dabei interpretieren wir
damit, daß sich ein angenommener Akteur (der sich von nun an
von selbst verstehen soll) ausgehend von der Vorstellung der Welt
auch die Welt
vorstellen kann.
Wenn ein Akteur eine Aussage , zB. die Aussage ``die Erde ist rund'',
weiß, dann wird er in allen seinen Vorstellungen vom Universum, die seinen
Überzeugungen entsprechenden, also in allen von der aktuellen Welt
erreichbaren Welten, von dieser Aussage
, also etwa einer runden Erde
ausgehen, und umgekehrt. Der Akteur weiß dementsprechend
nicht,
wenn er sich eine mit seinen
Überzeugungen vereinbare Welt vorstellen kann, in der
nicht gilt.
Mit anderen, formaleren Worten,
ist wahr genau dann, wenn
in allen aus der aktuellen Welt erreichbaren Welten wahr ist.
hat damit genau die in Abschnitt 2.11.7 besprochene
semantische Eigenschaft des Notwendigkeitsoperators
. Eine
semantische Charakterisierung der Logik des Wissens besteht danach nur noch in
einer Festlegung der Eigenschaften von
. Diese wollen wir nun
im folgenden jeweils zusammen mit den zugehörigen axiomatisch syntaktischen
Eigenschaften besprechen. Wir tun dies anhand von Tabelle 4.2
(vgl. auch Tabelle 2.4),
wo mögliche Wissensaxiome zusammen mit den zugehörigen Eigenschaften von
# | Name | Axiom | ![]() |
1 | Distributionsaxiom | ![]() | keine |
2 | Wissensaxiom | ![]() | reflexiv |
3 | Positive Introspektion | ![]() | transitiv |
4 | Negative Introspektion | ![]() | euklidisch |
5 | ![]() | seriell | |
6 | Notwendigkeitsregel | ![]() ![]() | keine |
7 | logische Allwissenheit | ![]() ![]() | keine |
gespeichert sind.
Das erste Axiom der Tabelle ist das
Distributionsaxiom,
dessen Name aus der äquivalenten Fassung verständlich wird, in der der Operator
über die Implikation distributiert wird. Diese syntaktische
Eigenschaft von
gilt für jeden Notwendigkeitsoperator einer
jeden Modallogik und erfordert daher keine speziellen Eigenschaften von
.
Nummer 2 in der Tabelle 4.2 ist das
Wissensaxiom (oder Notwendigkeitsaxiom). Wenn wir davon
sprechen, daß unser Akteur weiß, daß die Erde rund ist, dann
verbinden wir damit wohl immer auch die Vorstellung, daß sie tatsächlich
rund ist, was dieses Axiom zum Ausdruck bringt. Dieses Axiom ist genau dann
erfüllt, wenn
reflexiv ist,
weil dann die aktuelle Welt selbst erreichbar ist und die Aussage ua. dann
dort gelten muß.
Nummer 3 in der Tabelle, das Axiom der positiven
Introspektion, besagt, daß man es weiß, wenn man etwas weiß. Dieses Axiom
gilt, wenn transitiv ist (siehe Übungsaufgabe 6.3.1 ).
Das Axiom der negativen Introspektion besagt, daß man es
weiß, wenn man etwas nicht weiß. Dies ist offensichtlich eine sehr
weitgehende Forderung an einen Wissensbegriff, die man nur in bestimmten
Kontexten stellen wird. Die zugehörige (siehe Aufgabe 6.3.1)
Eigenschaft an ist die Euklidizität
(
und
impliziert
). Bezüglich Axiom 5 siehe Übungsaufgabe 6.3.1.
Die Notwendigkeitsregel (engl. rule of necessitation) besagt,
daß man alle logisch gültigen Formeln weiß, was wiederum eine sehr
weitreichende Forderung ist. Sie hat nämlich die Allwissenheit
in bezug auf logische Folgerungen aus dem gegebenen Wissen, dh. die Regel 7,
zur Folge. Ist nämlich das gegebene Wissen, also
aufgrund von 6, und
ist
logisch gültig, also in allen Welten wahr und damit
wieder wegen 6 wahr, dann gilt nach dem
Distributivitätsaxiom auch
.
Es ist in der Literatur viel darüber diskutiert worden, welche der in
Tabelle 4.2 aufgeführten Axiome adäquat
charakterisieren [Len78]. Ein Vergleich mit Tabelle 2.3
zeigt, daß das Axiom 1 das modallogische System K
charakterisiert, 1 - 2 ist T, 1 - 3 ist
S4, 1 - 4 ist S5 und
1,3,4,5 ist KD45. In [HM92] werden die
Konsequenzen dieser Wahl für die Komplexität der Entscheidungsprozeduren
angegeben. Ein komplexitätsmäßig praktikabler Ansatz findet sich
in [Lak91]. Erwähnen möchten wir schließlich noch die
klassischen Arbeiten [Hin55, Moo85a] auf diesem Gebiet.
Auf den ebenfalls nicht einfachen Zusammenhang zwischen Wissen und Glauben haben wir bereits hingewiesen. In [SM93] wird Glauben zB. als widerlegbares Wissen definiert, das auf unsicheren Annahmen beruht, wie wir es im letzten Kapitel ausführlich besprochen haben. Für sich allein könnte man für den Glaubensoperator B (unter Zuhilfenahme von K) die in der Tabelle 4.3 aufgeführten Axiome fordern.
Positive Introspektion | ![]() ![]() |
Umkehrung der positiven Introspektion | ![]() |
Vertrauensaxiom | ![]() |
Christoph Quix, Thomas List, René Soiron