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4.2.2 Wissen und Glauben

Im vorangegangenen Unterabschnitt haben wir drei verschiedene Möglichkeiten zur formalen Repräsentation von propositionalen Einstellungen kennengelernt. In diesem Unterabschnitt wollen wir uns nun mit den beiden wichtigsten Attributen Wissen und Glauben und deren Gesetzmäßigkeiten beschäftigen.gif Für die Formulierung dieser Gesetzmäßigkeiten können wir uns auf eine der drei Repräsentationsvarianten beschränken, da eine Übertragung auf die anderen beiden Varianten keine größeren Schwierigkeiten bereitet. Und zwar wählen wir die gebräuchlichste der drei Varianten, nämlich diejenige innerhalb der Modallogik unter Verwendung der zwei modalen Operatoren K und B.

Wir wollen die Gesetzmäßigkeiten dieser beiden Operatoren so bestimmen, daß sie möglichst den intuitiven Vorstellungen von diesen beiden Attributen entsprechen. Welches sind diese Vorstellungen? Die Aussagen über die Welt in unserem Kopf sind in der Regel Überzeugungen (engl. beliefs), die wir glauben. Demgegenüber hat Wissen noch zusätzlich irgendetwas mit Wahrheit zu tun. So könnte man irgendein Wissen als eine Überzeugung auffassen, die zudem im objektiven Sinne wahr ist. Dies ist sicherlich eine zu weite Definition von Wissen, da ja eine Überzeugung auch nur zufällig wahr sein könnte. So mag jemand fest daran glauben bzw. davon überzeugt sein, daß er an diesem Wochenende die sechs richtigen Zahlen im Lotto angekreuzt hat. Man würde wohl auch dann nicht sagen, er hätte die sechs richtigen Zahlen schon vorher ``gewußt'', wenn sich die von ihm angekreuzten Zahlen tatsächlich als die richtigen herausstellen würden; er hat dann einfach Glück gehabt. Die Beziehung zwischen Wissen und Glauben ist daher offenbar nicht einfach zu präzisieren, so daß wir beide unabhängig voneinander charakterisieren wollen. Wir beginnen dies mit der Logik des Wissens.

Wie bei jeder Logik haben wir auch hier die beiden Möglichkeiten der (axiomatisch) syntaktischen und der semantischen Charakterisierung. Da es sich um eine Modallogik handelt, haben wir es im letzteren Fall mit einer Kripkesemantik zu tun, die in Abschnitt 2.11.7 besprochen worden ist. Insbesondere gehen wir daher von einer Menge möglicher (oder vorstellbarer) Welten aus, unter denen eine als aktuelle Welt ausgezeichnet ist und die in irgendeiner Weise untereinander erreichbar sind, was durch eine Erreichbarkeitsrelation bestimmbar ist. Dabei interpretieren wir damit, daß sich ein angenommener Akteur (der sich von nun an von selbst verstehen soll) ausgehend von der Vorstellung der Welt auch die Welt vorstellen kann.

Wenn ein Akteur eine Aussage , zB. die Aussage ``die Erde ist rund'', weiß, dann wird er in allen seinen Vorstellungen vom Universum, die seinen Überzeugungen entsprechenden, also in allen von der aktuellen Welt erreichbaren Welten, von dieser Aussage , also etwa einer runden Erde ausgehen, und umgekehrt. Der Akteur weiß dementsprechend nicht, wenn er sich eine mit seinen Überzeugungen vereinbare Welt vorstellen kann, in der nicht gilt. Mit anderen, formaleren Worten, ist wahr genau dann, wenn in allen aus der aktuellen Welt erreichbaren Welten wahr ist. hat damit genau die in Abschnitt 2.11.7 besprochene semantische Eigenschaft des Notwendigkeitsoperators . Eine semantische Charakterisierung der Logik des Wissens besteht danach nur noch in einer Festlegung der Eigenschaften von . Diese wollen wir nun im folgenden jeweils zusammen mit den zugehörigen axiomatisch syntaktischen Eigenschaften besprechen. Wir tun dies anhand von Tabelle 4.2 (vgl. auch Tabelle 2.4), wo mögliche Wissensaxiome zusammen mit den zugehörigen Eigenschaften von

# Name Axiom
1 Distributionsaxiom keine
2 Wissensaxiom reflexiv
3 Positive Introspektion transitiv
4 Negative Introspektion euklidisch
5 seriell
6 Notwendigkeitsregel impliziert keine
7 logische Allwissenheit impliziert keine
Tabelle 4.2: Mögliche Axiome für und Eigenschaften von

gespeichert sind.

Das erste Axiom der Tabelle ist das Distributionsaxiom, dessen Name aus der äquivalenten Fassung verständlich wird, in der der Operator über die Implikation distributiert wird. Diese syntaktische Eigenschaft von gilt für jeden Notwendigkeitsoperator einer jeden Modallogik und erfordert daher keine speziellen Eigenschaften von .

Nummer 2 in der Tabelle 4.2 ist das Wissensaxiom (oder Notwendigkeitsaxiom). Wenn wir davon sprechen, daß unser Akteur weiß, daß die Erde rund ist, dann verbinden wir damit wohl immer auch die Vorstellung, daß sie tatsächlich rund ist, was dieses Axiom zum Ausdruck bringt. Dieses Axiom ist genau dann erfüllt, wenn reflexiv ist, weil dann die aktuelle Welt selbst erreichbar ist und die Aussage ua. dann dort gelten muß.

Nummer 3 in der Tabelle, das Axiom der positiven Introspektion, besagt, daß man es weiß, wenn man etwas weiß. Dieses Axiom gilt, wenn transitiv ist (siehe Übungsaufgabe 6.3.1 ).

Das Axiom der negativen Introspektion besagt, daß man es weiß, wenn man etwas nicht weiß. Dies ist offensichtlich eine sehr weitgehende Forderung an einen Wissensbegriff, die man nur in bestimmten Kontexten stellen wird. Die zugehörige (siehe Aufgabe 6.3.1) Eigenschaft an ist die Euklidizität ( und impliziert ). Bezüglich Axiom 5 siehe Übungsaufgabe 6.3.1.

Die Notwendigkeitsregel (engl. rule of necessitation) besagt, daß man alle logisch gültigen Formeln weiß, was wiederum eine sehr weitreichende Forderung ist. Sie hat nämlich die Allwissenheit in bezug auf logische Folgerungen aus dem gegebenen Wissen, dh. die Regel 7, zur Folge. Ist nämlich das gegebene Wissen, also aufgrund von 6, und ist logisch gültig, also in allen Welten wahr und damit wieder wegen 6 wahr, dann gilt nach dem Distributivitätsaxiom auch .

Es ist in der Literatur viel darüber diskutiert worden, welche der in Tabelle 4.2 aufgeführten Axiome adäquat charakterisieren [Len78]. Ein Vergleich mit Tabelle 2.3 zeigt, daß das Axiom 1 das modallogische System K charakterisiert, 1 - 2 ist T, 1 - 3 ist S4, 1 - 4 ist S5 und 1,3,4,5 ist KD45. In [HM92] werden die Konsequenzen dieser Wahl für die Komplexität der Entscheidungsprozeduren angegeben. Ein komplexitätsmäßig praktikabler Ansatz findet sich in [Lak91]. Erwähnen möchten wir schließlich noch die klassischen Arbeiten [Hin55, Moo85a] auf diesem Gebiet.

Auf den ebenfalls nicht einfachen Zusammenhang zwischen Wissen und Glauben haben wir bereits hingewiesen. In [SM93] wird Glauben zB. als widerlegbares Wissen definiert, das auf unsicheren Annahmen beruht, wie wir es im letzten Kapitel ausführlich besprochen haben. Für sich allein könnte man für den Glaubensoperator B (unter Zuhilfenahme von K) die in der Tabelle 4.3 aufgeführten Axiome fordern.

Positive Introspektion
Umkehrung der positiven Introspektion
Vertrauensaxiom
Tabelle 4.3: Mögliche Axiome für den Glaubensoperator



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996