Eine gesonderte Betrachtung der Zeit ist nur dann gerechtfertigt, wenn wir eine Welt modellieren wollen, die sich im Laufe der Zeit ändern kann. Insofern ist das Konzept Zeit wesentlich mit dem Konzept der Veränderung bzw. des Wandels verbunden. Deshalb muß eine Theorie der Zeit zwei wesentliche Anforderungen erfüllen. Zum einen muß sie eine Sprache festlegen, in der Aussagen formuliert werden können, für die die Zeit eine wesentliche Bedeutung hat. Zum anderen muß sie definieren, wann Veränderungen auftreten dürfen bzw. können und welche Auswirkungen solche Veränderungen haben.
Nun gibt es in der Philosophie, der Intellektik und der Informatik sehr viele Ansätze zum zeitlichen Schließen, die verschiedene Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufweisen. Ein alles umfassender Ansatz hat sich noch nicht herausgebildet. Wir werden deshalb in diesem Abschnitt versuchen, die wesentlichen Merkmale der verschiedenen Ansätze herauszustellen. Dabei werden wir zunächst die Repräsentationsformen für die Zeit betrachten und uns anschließend der Ontologie der Zeit zuwenden. Konkrete Inferenzsysteme für zeitliches Schließen werden erst durch eine Kombination der verschiedenen Merkmale erhalten.
Dieser Abschnitt soll eine knappe Übersicht über das zeitliche Schließen in der Intellektik bieten. Wir folgen dabei den Darstellungen in [SM92, HHP93, Dav90]. Für die entsprechenden Details müssen wir auf die jeweils angegebene Literatur verweisen.
Wir wollen uns zunächst der Fragestellung zuwenden, wie zeitliche
Information repräsentiert werden kann. Betrachten wir dazu als Beispiel
einen Gartenzaun, der zur Zeit blau ist. Diesen Sachverhalt können
wir auf verschiedene Arten repräsentieren.
Mit dem Situationskalkül wurde bereits in Abschnitt 4.7.2
ein typischen Ansatz der ersten Art vorgestellt. Darin wird die zu
modellierende Welt bzw. der Weltauschnitt zu bestimmten Zeitpunkten in Form
von Situationen betrachtet. Ausgehend von einer Situationen können alle
zukünftigen Situationen mittels Aktionen erreicht werden. Die Aktionen
selbst werden durch Vorbedingungen und Effekte beschrieben. Damit eine Aktion
in einer bestimmten Situation angewendet werden kann, müssen die
Vorbedingungen der Aktion in der Situation erfüllt sein. Ist dies der Fall
und wird die Aktion ausgeführt, dann verursacht die Aktion die in ihrer
Spezifikation festgelegten Effekte. Das in Abschnitt 4.7.2
bei der Modellierung von Aussagen verwendete zusätzliche Argument ,
das die Situation repräsentiert, in der die Aussagen gelten, kann also als
Zeitpunkt interpretiert werden, und mit Hilfe des Funktionszeichens
wurden Situationen bzw. Zeitpunkte linear geordnet. Auf die bei dieser
Modellierung entstehenden Probleme -- wie das Rahmen-, das Ramifikations-
oder das Vorhersageproblem -- wurde bereits in Abschnitt 4.7
hingewiesen. Erwähnt sei allerdings noch, daß Zeit natürlich auch
durch mehrere Parameter repräsentiert werden kann und daß zur formalen
Behandlung einer solchen Repräsentation Sortenlogiken (siehe
Abschnitt 2.11.5) bzw. vergleichbare Logiken geeignet erscheinen, da sie
eine formale Trennung zwischen zeitlicher und nicht-zeitlicher Information
unterstützen [BTK91].
Diese Art der Modellierung, dh. die erste Art in der oben gegebenen
Strichaufzählung, hat aus der Sicht des zeitlichen Schließens einen
entscheidenden Nachteil. Die Repräsentation der Fluenten durch
Prädikatszeichen erlaubt es nicht, allgemeine Aussagen über sich mit
der Zeit verändernde Sachverhalte zu machen. Beispielsweise kann so nicht
allgemein ausgedrückt werden, daß die Effekte einer Aktion erst nach
Ausführen der Aktion auftreten können. Solche Aussagen können immer nur
bezogen auf bestimmte Aktionen und bestimmte Effekte gemacht werden. Diese
Beobachtung manifestiert sich auch in der Tatsache, daß -- wie in
Abschnitt 4.7.2 angesprochen --
Rahmenaxiome zur Lösung des Rahmenproblems benötigt werden, wobei
die Anzahl der Fluenten und
die Anzahl der Aktionen ist.
Hingegen erlaubt die zweite Art der Modellierung allgemeine Aussagen über die Zeit. Beispielsweise kann mittels der Formel
ausgedrückt werden, daß nach Ausführen einer Aktion zum
Zeitpunkt
, die den Fluent
bewirkt, dieser Effekt zu einem
späteren Zeitpunkt
auch auftritt. Bedingt durch die Reifizierung der
Fluenten kann eine Theorie für das zeitliche Schließen entwickelt werden.
In der obigen Formel betrachten wir Zeitpunkte, und wir müßten eigentlich
noch die Relation
über Zeitpunkten definieren. Wenn wir unter
Zeitpunkten beispielsweise reelle Zahlen verstehen wollen, dann ist
nichts anderes als die ``übliche'' Kleiner-Relation über den reellen
Zahlen. Wollen wir aber Zeitintervalle betrachten, dann sind die
entsprechenden Relationen etwas komplexer, worauf wir im Laufe des nächsten
Paragraphen noch eingehen werden. Der hier angesprochene zweite Ansatz wird
heute in vielen Bereichen der Intellektik angewendet. Voraussetzung für
diesen Ansatz ist -- wie oben erwähnt -- die Reifikation der Fluenten, dh.
Fluenten werden durch Funktionen und nicht mehr durch Prädikate
repräsentiert. Eine solche Reifikation wurde schon im gleichungslogischen
Planungsansatz in Abschnitt 4.7.4 vorgestellt, auch wenn dort
die Zeit nicht weiter berücksichtigt wurde.
Die dritte Art der Modellierung von Zeit wird heute von der modernen
Philosophie bevorzugt. Aufbauend auf Arbeiten von A. N. Prior
[Pri57, Pri67], N. Rescher und A. Urquhart [RU71]
wird die Modallogik (siehe Abschnitt 2.11.7) zur Modellierung
zeitlicher Beziehungen verwendet. Dabei werden modale Operatoren der
folgenden Form bzw. Variationen davon zugelassen, wobei eine
Formel bezeichnet.
Die möglichen Welten einer solchen Modallogik werden mit Zeitpunkten identifiziert. Damit werden Aussagen bzgl. eines Zeitpunktes interpretiert, und es wird möglich, unter Verwendung der Modaloperatoren Aussagen in bezug zu anderen Zeitpunkten zu setzen. So sagt beispielsweise die Formel
aus, daß wenn der Zaun jetzt nicht blau ist, er niemals blau sein wird. Modale Logiken wurden nicht nur in der Philosphie, sondern auch in der theoretischen Informatik zur Modellierung von Zeit eingesetzt. Insbesondere spielen sie für die Verifikation von Programmen und deren Eigenschaften (siehe zB. [Pne79, Eme90]) oder in Form der sogenannten dynamischen Logiken (siehe zB. [Har79]) für das Schließen über und mit Programmen eine wichtige Rolle. Gute Einführungen finden sich in [vB91, Gab92, GHR92].
Neben der Frage nach der Repräsentation zeitlicher Information, ist die Frage nach einer geeigneten Zeitontologie zu klären. Als Grundbausteine zeitlichen Schließens eignen sich drei verschiedene Konzepte. Zeitliches Schließen kann über Punkt-, Intervall- oder Ereignisstrukturen definiert werden. Jede der einzelnen Strukturen hat ihre Vor- und Nachteile, und wir wollen im folgenden versuchen, diese zumindest ansatzweise darzustellen.
Eine Punktstruktur besteht aus einer nichtleeren Menge von Punkten,
die durch eine Präzedenzrelation geordnet ist. Von der
-Relation wird im allgemeinen mindestens Irreflexivität und
Transitivität gefordert. Daneben können eine Reihe von Eigenschaften
festgelegt werden, die sich fast immer aus dem zu modellierenden Sachverhalt
ergeben. So kann die Zeit als gebunden oder ungebunden modelliert werden, dh.
es gibt feste obere und untere Schranken, oder die Zeit dehnt sich unendlich
in die Vergangenheit oder die Zukunft aus. Die Zeit kann diskret, dicht oder
kontinuierlich, total oder partiell sowie linear oder verzweigend sein. Eine
Verzweigung kann sowohl in die Vergangenheit wie auch in die Zukunft weisen.
Mittels in die Vergangenheit verzweigender Zeiten lassen sich beispielsweise
alternative vergangene Entwicklungen, die zu der gleichen momentanen Situation
geführt haben könnten, modellieren. Analog lassen sich mittels in die
Zukunft verzweigender Zeiten alternative zukünftige Entwicklungen
modellieren. Ist eine solche Punktstruktur mit ihren gewünschten
Eigenschaften einmal festgelegt, dann können Funktions- und
Prädikatszeichen über solchen Strukturen interpretiert werden.
Beispielsweise können wir die natürlichen Zahlen zusammen mit der
``üblichen''
-Relation als Punktstruktur betrachten. Das im
Situationskalkül (siehe Abschnitt 4.7.2) eingeführte
zusätzliche Argument
eines Funktions- oder Prädikatszeichens kann
nun als Zeitpunkt und das Funktionszeichen
als Nachfolgerfunktion auf
den natürlichen Zahlen interpretiert werden. Auf diese Weise werden allen
Fluenten Zeitpunkte zugeordnet, zu denen sie gelten sollen.
Punktstrukturen eignen sich immer dann zur Modellierung von Zeit, wenn die
zeitliche Ausdehnung einer Aktion oder die Zeitdauer, in der ein Fluent gilt,
keine Rolle spielt. Wollen wir aber beispielsweise ausdrücken, daß das
Streichen eines Zaunes zwei Stunden dauert, dann ist es oftmals geschickter,
diese Dauer mittels Intervallen zu repräsentieren. Eine
Intervallstruktur
besteht aus einer nichtleeren Menge von Punkten, die durch eine
Präzedenzrelation und eine Teilmengenbeziehung
geordnet ist. Wie bei den Punktstrukturen wird von der
-Relation im allgemeinen
mindestens Irreflexivität und Transitivität gefordert, während die
-Relation irreflexiv, transitiv und antisymmetrisch sein
sollte. Intervalle besitzen jeweils einen Anfangs- und einen Endpunkt, wobei
angenommen wird, daß der Anfangspunkt entweder gleich oder zeitlich vor
dem Endpunkt liegt. Im ersten Fall kollabiert das Intervall zu einem
Zeitpunkt, während im zweiten Fall ein echtes Intervall vorliegt.
Des weiteren sind Intervalle konvex, dh. sie besitzen keine Lücken.
Wie Allen [All84] gezeigt hat, lassen sich zwei Intervalle auf dreizehn einander wechselseitig ausschließende Arten anordnen. Dies sind die sechs nachfolgenden Relationen, die entsprechenden inversen Relationen und die Gleichheit von Intervallen.
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aber vor dem Ende von ![]() | ||
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Aufbauend auf diese primitiven Relationen können nun die logischen Eigenschaften der Zeitrelation durch Axiome festgelegt werden. Dabei sind insbesondere die Axiome von Interesse, die die Kombination zweier primitiver Relationen definieren. Aus der in [All83] aufgeführten Tabelle dieser Axiome haben wir eines beispielhaft entnommen.
Schon dieses eine Axiome verdeutlicht eines der Problem mit Allens
Zeitrelation. Unvollständige Information wird durch Disjunktion von -- im
Extremfall bis zu dreizehn verschiedenen -- primitiven Relation
ausgedrückt. So besagt die Konklusion des oben gegeben Axioms, daß
der Anfang des Intervalls vor dem Anfang von
liegt,
während die Endpunkte der Intervalle beliebig kombiniert werden können.
Anders ausgedrückt, schon um einen einfachen Sachverhalt wie etwa die in dem
Satz Newton starb, bevor Einstein geboren wurde ausgedrückte
zeitliche Beziehung zwischen Newtons Tod und Einsteins Geburt zu
repräsentieren, benötigt Allens Formalismus eine Disjunktion von
primitiven Relationen, wie sie in der obigen Konklusion gegeben ist. Dazu
müssen wir nur das Intervall
als den Zeitraum nach Newtons Tod
und das Intervall
als den Zeitraum, in dem Einstein lebte,
interpretieren.
Der Ansatz von Freksa [Fre92] kompensiert diesen Nachteil von
Allens Ontologie durch Einführung von Semi-Intervallen und der Betrachtung
von sogenannten konzeptionellen Nachbarschaften. Semi-Intervalle sind
Intervalle, in denen entweder nur der Anfangs- oder nur der Endpunkt gegeben
ist. Mit Hilfe solcher Semi-Intervalle läßt sich nun die Konklusion
in (4.26) durch ausdrücken, wobei
den Anfangspunkt des Intervalls
repräsentiert.
Relationen sind konzeptionelle Nachbarn, wenn sie durch eine
kontinuierliche topologische Transformation -- also zB. durch Verkürzung
oder Verlängerung -- ineinander überführt werden können.
Beispielsweise sind die Relationen
und
konzeptionelle Nachbarn, während dies für
und
nicht gilt. Aufbauend auf dieser Nachbarschaftsbeziehung kann
nun eine Kombinationstabelle für zeitliche Relationen angegeben werden, die
wesentlich kompakter und redundanzärmer als die oben genannte Tabelle von
Allen ist. Das führt dazu, daß zeitliches Schließen mit
unvollständiger Information, basierend auf Semi-Intervallen und
konzeptionellen Nachbarschaften, effizienter als Allens Ansatz ist.
Darüber hinaus spricht vieles dafür, daß konzeptionelle Nachbarschaften
auch kognitiv adäquater als Allens Disjunktionen von primitiven Zeitrelationen
sind.
Neben Punkt- und Intervallstrukturen spielen auch noch Ereignisstrukturen eine
wichtige Rolle als Grundbausteine des zeitlichen Schließens. Nach Kamp
[Kam79] wird die Zeit aus wahrnehmbaren Ereignissen von endlicher Dauer
abgeleitet. Dazu muß zunächst die Struktur der Ereignisse festgelegt
werden. Eine Ereignisstruktur besteht aus einer nichtleeren Menge von
Ereignissen, auf der zwei binäre Relationen definiert sind. Zum einen ist
dies die Präzedenzrelation , die ausdrückt, daß ein Ereignis
vollständig vor einem anderen Ereignis stattfindet. Zum anderen ist das die
Überlappungsrelation
, die ausdrückt, daß zwei Ereignisse
ungefähr gleichzeitig stattfinden. (
ist nicht zu verwechseln mit
Allens
-Relation, die wir weiter oben betrachtet haben.)
Beispielsweise kann damit ausgedrückt werden, daß zwei Möbelpacker (im
umgangssprachlichen Sinne) gleichzeitig einen Tisch anheben, auch wenn eine
exakte physikalische Zeitmessung ergibt, daß der erste Packer etwas
früher als sein Partner anhob. Wie bei Punkt- und Intervallstrukturen wird
für die Präzedenzrelation die Irreflexivität und die Transitivität
gefordert. Demgegenüber ist
reflexiv und symmetrisch.
Präzedenz und Überlappung schließen sich im allgemeinen wechselseitig aus.
Darüber hinaus können Ereignisse entweder linear oder partiell angeordnet
werden.
Basierend auf einer solchen Ereignisstruktur schlägt Kamp nun vor,
Zeitpunkte als maximale Teilmengen paarweise einander überlappender
Ereignisse zu konstruieren. Intervalle ergeben sich daraus als konvexe Mengen
von Zeitpunkten. Ein Beispiel mag diese Konstruktion verdeutlichen. Betrachten
wir dazu die folgende Kurzgeschichte. Als der Packer die linke Seite des
Tisches anhob, fing die auf dem Tisch stehende Bierflasche zu rutschen an.
Doch noch während die Flasche rutschte, hob sein Kollege auch die rechte
Seite des Tisches an. Der erste Satz definiert zwei Ereignisse
(hebt links an) und
(die Flasche rutscht), die sich
überlappen (
). Gemäß der oben getroffenen
Festlegung erhalten wir daraus einen Zeitpunkt
. Der zweite Satz
definiert ein weiteres Ereignis
(hebt rechts an), das sich
ebenfalls mit
überlappt (
), aber später als
liegt (
). Somit verändert sich der Zeitpunkt
zu einem Intervall
, wobei nun
zum
Zeitpunkt
,
während
und
und
zum Zeitpunkt
gilt.
Zum Abschluß dieses Abschnitts wollen wir noch kurz auf die wichtigsten Kalküle zum zeitlichen Schließen in der Intellektik eingehen. Die Kalküle unterscheiden sich im wesentlichen durch die Wahl der Repräsentation und der Zeitontologie. Als erstes muß hier sicherlich der von McCarthy und Hayes entwickelte Situationskalkül genannt werden [McC63, MH69]. In seiner Grundversion wird die Zeit als zusätzliches Argument von Prädikats- und Funktionszeichen repräsentiert und über einer Punkstruktur interpretiert. Auf den Situationskalkül sind wir schon im Abschnitt 4.7.2 wie auch in diesem Abschnitt mehrfach eingegangen, so daß hier dieser Hinweis genügen mag.
McDermott entwickelte eine Zeitlogik, die er vor allem zur Repräsentation und Lösung von Planungsproblemen einsetzte [McD78, McD82b]. Seine Zeitontologie besteht aus dichten Punktstrukturen, die in die Zukunft verzweigen und deren Punktmenge unendlich und total geordnet ist. Über solchen Punktstrukturen definiert McDermott außerdem noch Intervalle. Des weiteren unterscheidet er Zustände, Fakten und Ereignisse. Zustände sind den Situationen im Situationskalkül vergleichbar und beschreiben quasi Schnappschüsse der zu modellierenden Welt. Jedem Zustand ist der Zeitpunkt seines Auftretens zugeordnet. Die Zustände sind in sogenannten Chroniken angeordnet. Eine Chronik ist eine total geordnete Menge von Zuständen, so daß jedem Zeitpunkt (der unendlichen Punktmenge) ein Zustand entspricht. Demgemäß beschreibt eine Chronik vollständig eine mögliche Entwicklung der zu modellierenden Welt. Im allgemeinen existieren mehrere Chroniken, die sich in bezug auf die zukünftige Entwicklung unterscheiden können. Sie werden dazu als Baum repräsentiert, wobei jeder unendliche Pfad in einem solchen Baum genau einer Chronik entspricht.
Die Fakten sind reifizierte Aussagen, die vergleichbar den Fluenten im Situationskalkül festlegen, welche Eigenschaften in einem Zustand gelten sollen. Fakten können sich im Laufe der Zeit verändern. Formal ist das Auftreten eines Faktums durch den Zustand gegeben, in dem das Faktum gilt. Ein Faktum selbst ist durch die Menge seiner Auftreten definiert. Die Ereignisse in McDermotts Zeitlogik sind komplexer als die Aktionen im Situationskalkül. Sie bedingen nicht nur eine Veränderung der Fakten, sondern sie können auch das Auftreten von weiteren Ereignissen bewirken, und ihnen selbst ist eine Zeitdauer zugeordnet. Formal ist das Auftreten eines Ereignisses durch das Intervall gegeben, welches das Ereignis vollständig ausfüllt. Dabei füllt ein Ereignis ein Intervall dann vollständig aus, wenn kein echtes Teilintervall schon das Auftreten des Ereignisses definiert. Ein Ereignis selbst ist -- wie ein Faktum -- durch die Menge seiner Auftreten definiert. Auf diese Art ist es möglich, über Fakten und Ereignisse unabhängig von ihrem Auftreten zu sprechen. Ein typisches Beispiel für ein Ereignis ist eine Aussage wie Max fährt mit dem Fahrrad in sein Büro. Tritt ein solches Ereignis in einem bestimmten Intervall auf, dann beschreibt kein Teilintervall diesen Vorgang vollständig, und zu allen Zeitpunkten im betrachteten Intervall wird die entsprechende Tätigkeit auch ausgeführt.
Neben der Möglichkeit kontinuierliche Veränderungen ausdrücken zu können, ist eine Besonderheit an McDermotts Zeitlogik die Betrachtung der oben schon erwähnten Chroniken. Durch sie wird es einem Agenten ermöglicht, vor dem Ausführen einer Aktion -- dh. eines Ereignisses -- alle die Chroniken zu betrachten, in denen die Aktion nicht ausgeführt wurde, und dies bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Zur Veranschaulichung betrachten wir wieder unseren Möbelpacker, der gerade den Tisch auf der linken Seite angehoben hat und damit das Rutschen der auf dem Tisch stehenden Bierflasche ausgelöst hat. Ohne eine weitere Aktion würde die Flasche auf den Boden fallen und die Packer müßten die Weißwürste zur Frühstückspause ``trocken'' verspeisen. Um aber dieses Mißgeschick zu vermeiden, kann der zweite Möbelpacker entweder den Tisch auf der rechten Seite anheben oder seinem Kollegen zurufen, er möge doch die Flasche beachten und den Tisch wieder absetzen. Dabei setzen wir natürlich voraus, daß beide Fälle durch entsprechende Chroniken auch definiert sind.
Während McDermotts Zeitlogik über Punktstrukturen interpretiert wird und
Intervalle als Mengen von Zeitpunkten definiert sind, sind in der schon
erwähnten Zeitlogik von Allen [All83, All84] die Intervalle selbst
die Grundbausteine. Daneben unterscheidet Allen in einer reifizierten
Repräsentation vor allem Eigenschaften, Ereignisse und Prozesse.
Eigenschaften entsprechen dabei den Fluenten im Situationskalkül bzw. den
Fakten in McDermotts Zeitlogik, wobei sie allerdings in einem gegeben
Intervall immer gelten oder nicht gelten. So kann beispielsweise der
Gartenzaun im Jahr 1991 weiß, im Jahr 1992 grau und im Jahr 1993 wieder
weiß sein, was durch die Atome ,
bzw.
ausgedrückt werden kann.
Ereignisse sind in Allens Logik genau wie Ereignisse in McDermotts Logik
definiert, dh. durch die Menge der Intervalle, in denen sie auftreten und die
sie vollständig ausfüllen. Prozesse sind ebenfalls durch die Menge der
Intervalle definiert, in denen sie auftreten. Allerdings müssen die Prozesse
das Intervall, in dem sie auftreten, nicht vollständig ausfüllen. Allen
verwendet Prozesse, um damit beispielsweise Aussagen wie Max joggte von
7:00h bis 7:45h repräsentieren zu können. Eine solche Aussage
impliziert, daß Max auch zwischen 7:13h und 7:22h joggte. Allerdings wird
durch einen solchen Prozeß auch nicht ausgeschlossen, daß Max um 7:17h
eine Pause einlegte, da er dringend ``in die Büsche'' mußte.
Allen unterscheidet im wesenlichen zwei Arten von kausalen Zusammenhängen.
Ereignisse können andere Ereignisse bedingen. Die entsprechende Relation --
in [All84] ECAUSE genannt -- ist transitiv, antisymmetrisch,
antireflexiv und erfüllt zusätzlich die folgenden beiden Bedingungen. Wenn
ein Ereignis ein Ereignis
bedingt und
auftritt, dann tritt auch
auf, und ein Ereignis kann vor seinem
Auftreten keine weiteren Ereignisse bedingen. Die zweite Art eines kausalen
Zusammenhangs besteht darin, daß Agenten Aktionen ausführen, die
Ereignisse und Prozesse nach sich ziehen. Die entsprechende Relation ist
weitaus komplizierter als die oben angesprochene Relation ECAUSE und
berücksichtigt ua. die Intensionen und den Glauben der Agenten.
Als letzten Kalkül wollen wir hier den in [KS85]
beschriebenen Ereigniskalkül vorstellen. Wie der Name schon sagt, sind in
diesem Kalkül die primitiven Objekte die Ereignisse. Sie legen fest, wann
bestimmte Fakten gelten bzw. nicht mehr gültig sind. Umgekehrt können
Fakten ohne das Auftreten von Ereignissen nicht dargestellt werden. So
repräsentiert beispielsweise ein Ereignis den Startschuß zu
einem Marathonlauf, an dem Max teilnimmt (
), während
ein Ereignis
den Moment beschreibt, in dem Max die Ziellinie
überläuft (
). Ereignisse werden also wie im
Situationskalkül durch ein zusätzliches Argument eines Prädikats- oder
Funktionszeichens repräsentiert. Die Ereignisse selbst können durch eine
Präzedenzrelation
angeordnet werden. So sagt beispielsweise
aus, daß der Einlauf erst nach dem Startschuß erfolgt.
Desweiteren starten und beenden Ereignisse Intervalle, in denen bestimmte
Fakten gelten. Das Ereignis
startet mittels des Ausdrucks
ein Intervall, in dem Max läuft, während es mittels des
Ausdrucks
das Intervall beendet, in dem Max aufgeregt vor der
Ziellinie hin- und hertänzelt. Andererseits läuft Max gerade in dem durch
und
definierten Intervall.
Das Weltwissen wird im Ereigniskalkül in Form eines PROLOG-Programms repräsentiert. Die Regeln eines solchen Programms definieren nicht nur, wie Fakten durch Ereignisse bestimmt werden, wie Ereignisse andere Ereignisse nach sich ziehen, welche Ereignisse parallel ablaufen können oder wie die verschiedenen Zeitrelationen miteinander in Beziehung stehen. Vielmehr werden in einem solchen Programm auch Informationen über Fakten, Ereignisse und Zeitrelationen in Form von nichtmonotonen Regeln abgelegt, so daß bei nicht vorhandenem bzw. nur partiell vorhandenem Wissen mittels Negation als Mißerfolg (siehe Abschnitt 3.4) diese Informationen mit herangezogen werden können.
Der wesentliche Unterschied zwischen dem Ereigniskalkül und Systemen wie dem Situationskalkül besteht aber darin, daß im Ereigniskalkül lokale Ereignisse betrachtet werden. Das Überlaufen der Ziellinie definiert das Ende des Intervalls, in dem Max läuft. Alle übrigen Fakten und Ereignisse werden davon nicht betroffen und gelten weiterhin -- es sei denn wir hätten solche Abhängigkeiten explizit spezifiziert. Das Rahmenproblem wird folglich im Ereigniskalkül vermieden. Dagegen bildet eine Aktion im Situationskalkül eine Situation, dh. eine komplette Weltbeschreibung, in eine andere Situation ab. Es werden dort also immer globale Ereignisse betrachtet.
Leider können wir schon aus Platzgründen nicht alle Kalküle präsentieren bzw. die betrachteten Kalküle im Detail analysieren. Wir verweisen dazu auf die entsprechende Literatur. Beispielsweise demonstrieren Gelfond, Lifschitz und Rabinov in [GLR91], wie viele an der ursprünglichen Version des Situationskalküls monierte Schwachstellen mit Hilfe der durch den Situationskalkül definierten Methoden und Techniken behoben werden können. Galton schlägt in [Gal90] eine Verbesserung von Allens Theorie von Zeit und Aktionen vor, die eine Reihe von Schwächen (wie sie zB. bei der Behandlung von kontinuierlicher Veränderungen auftreten) behebt. Moens und Steedman haben in [MS86] den Ereigniskalkül ua. um strukturierte Ereignisse erweitert, um damit besser natürlichsprachliche Phänomene repräsentieren und behandeln zu können.
Christoph Quix, Thomas List, René Soiron