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4.7 Planen

Ein typisches Merkmal menschlicher Intelligenz ist die Fähigkeit, sich über Situationen klar zu werden und Pläne aufzustellen, mit denen Ziele unter Berücksichtigung der gegebenen Möglichkeiten erreicht werden können. Insbesondere können wir aber Situationen, Zielvorstellungen und Aktionen sprachlich beschreiben und damit kommunizieren. Beispiele für solche Fähigkeiten erleben wir ständig. Und obwohl wir in den wenigsten Fällen eine vollständige Weltbeschreibung kennen, ja -- wie uns die Physik lehrt -- nicht einmal kennen können, treffen wir meistens durchaus vernünftige und angemessene Entscheidungen. Ein gutes Beispiel hat uns die bemannte Weltraumfahrt während der Arbeit an diesem Buch geliefert. Trotz langer Planungen und vieler Versuche im Vorfeld des Fluges, war es nicht gelungen, einen Satelliten einzufangen. Daraufhin haben sich die Astronauten in dem Raumschiff mit Ihren Kollegen auf der Erde ``zusammengesetzt'', die Situation durchdacht und überlegt, wie mit den in der Raumfähre vorhandenen Mitteln der Satellit doch noch eingefangen werden könnte. Letztendlich ist das gelungen, indem die Astronauten im wahrsten Sinne des Wortes ``Hand'' angelegt haben. Dieses Beispiel ist kein Votum für die bemannte Weltraumfahrt, vielmehr soll es die menschliche Fähigkeit zum rationalen Erfassen einer Situation, wie auch zum zielgerichteten Planen von Aktionen verdeutlichen.

In diesem Abschnitt wollen wir aufzeigen, mit welchen Mitteln die Intellektik versucht, Situationen zu repräsentieren, Pläne zu erstellen und diese anzuwenden. Schon 1963 beschäftigte sich John McCarthy [McC63] mit dieser Aufgabenstellung. In seinen und allen darauf aufbauenden Arbeiten ist die Situation der zentrale Baustein. Eine Situation ist eine vollständige Beschreibung des zu modellierenden Weltausschnitts zu einem bestimmten Zeitpunkt -- quasi ein Schnappschuß der Welt. Ausgehend von einer initialen Situation bestimmen Aktionen alle möglichen zukünftigen Situationen. Da wir nicht in der Lage sind, eine vollständige Weltbeschreibung zu einem bestimmten Zeitpunkt anzugeben, müssen wir mit einer partiellen Beschreibung der Situation wie auch der Aktionen vorlieb nehmen. Dies geschieht, indem wir Aussagen machen, die in einer Situation gelten sollen. So können wir beispielsweise in natürlicher Sprache ausdrücken, daß eine bestimmte Menge von Eisen vor uns liegt. In ähnlicher Weise können wir Aktionen, wie beispielsweise das Hinzufügen von Schwefel, das Warten oder das Erhitzen von Eisen und Schwefel (das zu Schwefeleisen führt) beschreiben.

Was passiert, wenn wir zu Eisen Schwefel hinzufügen, warten und anschließend das Gemisch erhitzen? Auf den ersten Blick wird uns nahezu jeder zustimmen, daß wir Schwefeleisen erhalten, wenn wir die Aktionen in der genannten Reihenfolge ausführen. Analysieren wir jedoch die einzelnen Aktionen genauer, dann taucht ein Problem auf. Bezeichnen wir dazu die initiale Situation, in der nur Eisen vorliegt, mit . Die Aktion füge_Schwefel_hinzu ist in anwendbar und führt zu einer Folgesituation, genannt, in der nun Schwefel vorliegt. Aber was ist mit dem Eisen passiert? Haben wir auch Eisen in der Situation vorliegen? Die Aktion füge_Schwefel_hinzu gibt uns zu dieser Frage keine Antwort. Jedoch wird nahezu jeder Mensch davon ausgehen, daß das Eisen natürlich nicht verschwunden ist. Dh. wir gehen implizit von der Annahme aus, daß Aussagen, die in einer Situation gelten, durch eine Aktion nicht verändert werden, es sei denn, eine solche Änderung wird durch die Beschreibung der Aktion explizit mitgeteilt. Mit Hilfe dieser gemachten Annahme können wir nun in unserem Beispiel darauf schließen, daß Eisen in vorhanden ist. Auf vergleichbare Art und Weise können wir folgern, daß nach Ausführen der warte-Aktion Eisen und Schwefel immer noch vorhanden ist, während nach Ausführen der erhitze_Eisen_und_Schwefel Aktion Eisen und Schwefel verbraucht und Schwefeleisen entstanden ist.

Das im letzten Abschnitt angesprochene Problem wird häufig als Rahmenproblem oder in Anlehnung an die Situation in einem Theater als Kulissenproblem bezeichnet. Es betrifft die Frage, welche Aussagen über eine Situation nach Ausführen einer Aktion in der Folgesituation weiterhin gelten. Aber dies ist bei weitem nicht das einzige Problem, das wir beim Planen beachten müssen. Da auch Aktionen und insbesondere ihre Vorbedingungen nur partiell beschrieben sind, stehen wir auch vor der Frage, welche Vorbedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Aktion ausgeführt werden kann. Diese Fragestellung wird als das Qualifikationsproblem bezeichnet, dem wir schon in der Einleitung zu Kapitel 3 begegnet sind. In unserem Eisen und Schwefel Szenario berührt das Qualifikationsproblem etwa die Tatsache, daß ich das Gemisch aus Schwefel und Eisen ja erst erhitzen kann, wenn ich einen Bunsenbrenner zur Verfügung habe, dieser an eine Gasleitung angeschlossen ist, in der Leitung auch Gas vorhanden ist, ich den Absperrhahn aufgedreht habe, ich ein Feuerzeug habe, mich niemand gestoßen hat, als ich den Bunsenbrenner angesteckt habe usw. Alle diese Voraussetzungen haben wir nicht explizit als Vorbedingung der erhitze_Eisen_und_Schwefel-Aktion genannt. Selbst wenn wir versuchen würden, alle diese Vorbedingungen zu formulieren, so könnte man immer noch eine weitere Vorbedingung angeben, die bis dahin noch nicht berücksichtigt wurde.

So wie wir nicht alle Vorbedingungen einer Aktion angeben können, so gelingt es auch nicht, alle Nachbedingungen zu spezifizieren. ZB. hat sich die Luft durch das Erhitzen von Eisen und Schwefel erwärmt, Gas wurde verbrannt, Abgase sind entstanden usw. Wir haben es also hier mit einer weiteren, häufig Ramifikationsproblem genannten Fragestellung zu tun, nämlich der, alle Konsequenzen einer Aktion zu bestimmen.

Aber selbst damit ist die Planungsproblematik noch nicht vollständig erfaßt. In unserem Eisen und Schwefel Szenario sind wir davon ausgegangen, daß eine warte-Aktion an der Tatsache, daß Eisen und Schwefel vorliegt, nichts verändert. Diese Annahme ist sicherlich vernünftig, solange wir nur einen kurzen Moment warten. Wenn wir aber das Szenario in eine Schule verlegen und nach dem Hinzufügen des Schwefels gerade die Pausenglocke ertönt, dann kann wohl nicht angenommen werden, daß in der nächsten Chemiestunde, die in der darauffolgenden Woche stattfindet, der Versuch noch immer so aufgebaut und in einem solchen Zustand ist, wie er im Moment des Klingelns der Glocke war. Wir haben es hier also auch mit dem sogenannten Vorhersageproblem zu tun, dh. mit der Frage, wie lange gilt eine Aussage über eine Situation in einer sich ändernden Welt? Mit anderen Worten, was passiert wirklich, wenn eine Aktion in einer bestimmten Situation angewandt wird?

In diesem Abschnitt wollen wir uns nun der Frage zuwenden, wie wir Situationen und Aktionen repräsentieren können. Dabei werden wir uns auf das Rahmenproblem konzentrieren und verweisen bzgl. möglicher Lösungen der weiteren Probleme auf die Literatur (zB. [Her89]). Unser Ziel ist es, einen Kalkül anzugeben, der den folgenden, schon in [McC63] aufgestellten Bedingungen genügt.

  1. Allgemeine Eigenschaften von Kausalität und Aussagen über die Anwendbarkeit von Aktionen sind als Axiome formalisiert.
  2. Die Ziele, die durch Ausführen einer Sequenz von Aktionen erfüllt werden können, folgen logisch aus den allgemeinen Axiomen und den Aussagen über eine Situation.
  3. Die Formalisierung von Situationen soll so weit wie möglich mit unseren Erkenntnissen darüber, was ein Mensch über den zu modellierenden Weltausschnitt weiß, übereinstimmen.




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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996