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4.3.1 Abduktives Schließen

Wir haben bereits im vorangegangenen Abschnitt 4.1 die Abduktion als eine Form der Deduktion erkannt. Deduktion ist in [Bib92] ausführlich behandelt und daher bewußt aus dem Inhalt des vorliegenden Buches ausgeklammert. Hier sollen daher nur einige wenige, die Abduktion betreffende Gesichtspunkte kurz angerissen werden. Dabei legen wir in erster Näherung die folgende Präzisierung der Abduktion in der Logik zugrunde.

Zu einem gegebenen Satz (dh. einer abgeschlossenen Formel, die die Welt beschreibt und die Theorie festlegt) und zu einem Satz besteht die abduktive Aufgabe darin, einen Satz als Erklärung für so anzugeben, daß gilt:

  1. ist konsistent
Alternativ läßt sich die erste der beiden Bedingungen syntaktisch als formulieren. Weitere Bedingungen werden sich weiter unten während der Diskussion ergeben.

Betrachten wir das in Abschnitt 4.1 bereits erwähnte Beispiel, das [Pea87] entnommen ist.

Mit offensichtlichen Abkürzungen ergibt sich aus dieser Weltbeschreibung der Satz

als Instanz des oben mit bezeichneten Satzes. Nehmen wir weiter an, wir beobachten nasse Schuhe, kurz also (als Instanz des dem mit bezeichneten Satzes). Gesucht ist also ein Satz , so daß

gilt oder alternativ, daß

eine gültige Formel ist. Als Matrix (in positiver Repräsentation) lautet diese Formel

Zum Test der Gültigkeit müssen wir eine aufspannende Paarung von Konnektionen (siehe [Bib92]) bestimmen. Ohne Instantiierung von ergeben sich die folgenden Konnektionen.

Diese Paarung ist nicht aufspannend, da der Pfad zunächst keine Konnektionen enthält. Nun ist aber die Lösung für diese abduktive Aufgabe auch offensichtlich. muß so durch eine Formel instantiiert werden, daß dieser Pfad mindestens eine Konnektion enthält. Es gibt hier mehrere, tatsächlich sogar unendlich viele Möglichkeiten. Die drei naheliegendsten Möglichkeiten sind in den drei folgenden Matrizen mit den entsprechenden aufspannenden Paarungen gezeigt.

Bei der letzteren ist durch ersetzt, was zu der gezeigten Klausel führt.

Jede inkonsistente Formel, wie zB. , würde nach Einsetzung für die (als Teil der Matrix auftretende) Formel in sich selbst tautologisch machen. Diese unendlich vielen Lösungen erfüllen jedoch nicht die eingangs genannte Konsistenzforderung (2) und entfallen daher als Lösungen für das abduktive Problem.

Als weitere Lösung ergeben sich rein formal auch die Instantiierungen von zu oder zu . Wenn man an die hinter der Abduktion stehenden Aufgaben denkt, eine Erklärung für einen Sachverhalt (im Beispiel ) zu finden, so verbietet sich als Erklärung intuitiv sofort. Aber auch (dh. nasses_Gras) ist in dem gegebenen Kontext nicht zufriedenstellend, weil man eben sofort weiterfragen würde, warum denn das Gras naß sei, da hier ja noch zusätzliches Wissen verfügbar ist. In [CP86] wurde daher für abduktive Lösungen noch die zusätzliche Forderung gestellt, daß grundlegend (engl. basic) in dem Sinne sei, daß für in keine Regeln vorhanden seien, die noch grundlegendere Erklärungen zuließen, wie es in unserem Beispiel im Falle von der Fall ist.

Weiter wird in der zitierten Arbeit das Kriterium der Minimalität gefordert. Danach entfallen unendlich viele Lösungen der Form oder für beliebiges als Instantiierung für , weil ja das minimalere bzw. bereits eine Lösung ist.

In praktischen Anwendungen läßt sich die Anzahl der möglichen Lösungen dadurch noch weiter einschränken, daß man die Menge der möglichen Lösungssätze von vorneherein auf sogenannte abduzible Sätze einschränkt, wie es bereits in dem in Abschnitt 3.6 besprochenen Ansatz realisiert wurde (siehe dort die Menge in Definition 3.6). Eine solche Einschränkung kann natürlich nur in einer anwendungsspezifischen Weise erfolgen. In diesem Fall kann man sich dann sogar ohne Einschränkung auf atomare Sätze in der Menge der abduziblen Sätze beschränken, wie das Theorem 3.6 in Abschnitt 3.6 gezeigt hat.

Mittels Einschränkungen (engl. constraints) erreicht man eine weitere Reduktion der möglichen Lösungen, wie es mit der Menge der Definition 3.6 in Abschnitt 3.6 bereits demonstriert wurde.

Schließlich lassen sich mit zusätzlichen Informationen oder mit Präferenzkriterien verschiedene Lösungen unterscheiden, so daß eine als besser oder plausibler eingestuft wird als eine andere. In [Kow92] werden eine Reihe solcher Möglichkeiten aufgezählt.

Die wesentlichen Elemente im Rahmen einer abduktiven Problemstellung sind also der Satz , mit dem die Welt beschrieben ist, eine Menge von abduziblen Prädikaten sowie eine Einschränkung . In [Kow92] wird das Tripel als abduktiver Rahmen bezeichnet. Dort wird Abduktion innerhalb dieses Rahmens als Erweiterung der Logikprogrammierung mit der Negation als Mißerfolg (siehe Abschnitt 3.4) studiert und mit verschiedenen verwandten Ansätzen verglichen.

Einer der wichtigsten Ansätze, die mit der Abduktion eng verwandt sind, ist das in Kapitel 3 ausführlich behandelte nichtmonotone Schließen. Wie schon die obigen Verweise auf den Abschnitt 3.6 darin gezeigt haben, besteht das Ermangelungsschließen durch Theoriebildung von Poole explizit aus einem abduktiven Vorgehen, in dem im vorliegenden Abschnitt beschriebenen Sinne. Da jener wiederum sich dort als eng verwandt mit den anderen in Kapitel 3 beschriebenen erwiesen hat, ergibt sich insgesamt eine enge Beziehung der Abduktion mit dem nichtmonotonen Schließen schlechthin. Insbesondere enthält das nichtmonotone Schließen immer eine abduktive Komponente, wie durch den Ansatz von Poole explizit sichtbar wird.

Faßt man Abduktion als das Erschließen von möglichen Erklärungen für Beobachtungen auf, so ist umgekehrt Abduktion nichtmonoton, da mögliche Erklärungen durch zusätzliches Wissen hinfällig werden können. Wenn wir etwa in unserem Beispiel zusätzlich erfahren, daß das Wasser gesperrt war, der Sprenger also gar nicht laufen konnte, so entfällt der Sprenger als Erklärung für die nassen Schuhe.gif

Abduktion ist in gewissem Sinne allgemeiner als das nichtmonotone Schließen. In letzterem geht es immer um eine Form von maximalem Schließen. Nur was in explizitem Widerspruch zu dem verfügbaren Wissen steht, wird verworfen, alles andere wird als Folgerung akzeptiert. Bei der Abduktion ergibt sich eine größere Vielfalt in dieser Hinsicht. Insoweit Abduktion Ermangelungsschließen ist, ist ebenfalls Maximalität angestrebt. Aber auch Diagnose (``Warum sind die Schuhe naß?'') ist Abduktion und hier ist das Ziel eher Minimalität, da man gerne die tatsächliche Ursache als Erklärung hätte und natürlich nicht Maximalität über alle nur erdenklichen Erklärungen anstrebt. Auf die Diagnose werden wir aber in Abschnitt 4.6 gesondert zu sprechen kommen.



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996