Wir haben bereits im vorangegangenen Abschnitt 4.1 die Abduktion als eine Form der Deduktion erkannt. Deduktion ist in [Bib92] ausführlich behandelt und daher bewußt aus dem Inhalt des vorliegenden Buches ausgeklammert. Hier sollen daher nur einige wenige, die Abduktion betreffende Gesichtspunkte kurz angerissen werden. Dabei legen wir in erster Näherung die folgende Präzisierung der Abduktion in der Logik zugrunde.
Zu einem gegebenen Satz (dh. einer abgeschlossenen Formel, die die
Welt beschreibt und die Theorie festlegt) und zu einem Satz
besteht
die abduktive Aufgabe darin, einen Satz
als Erklärung für
so anzugeben, daß gilt:
Betrachten wir das in Abschnitt 4.1 bereits erwähnte Beispiel, das [Pea87] entnommen ist.
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als Instanz des oben mit bezeichneten Satzes. Nehmen wir weiter an,
wir beobachten nasse Schuhe, kurz also
(als Instanz des dem mit
bezeichneten Satzes). Gesucht ist also ein Satz
, so daß
gilt oder alternativ, daß
eine gültige Formel ist. Als Matrix (in positiver Repräsentation) lautet diese Formel
Jede inkonsistente Formel, wie zB. , würde nach
Einsetzung für
die (als Teil der Matrix auftretende) Formel
in sich selbst tautologisch machen. Diese unendlich vielen Lösungen
erfüllen jedoch nicht die eingangs genannte Konsistenzforderung (2) und
entfallen daher als Lösungen für das abduktive Problem.
Als weitere Lösung ergeben sich rein formal auch die Instantiierungen von
zu
oder zu
. Wenn man an die hinter der Abduktion
stehenden Aufgaben denkt, eine Erklärung für einen Sachverhalt (im
Beispiel
) zu finden, so verbietet sich
als Erklärung
intuitiv sofort. Aber auch
(dh. nasses_Gras) ist in dem
gegebenen Kontext nicht zufriedenstellend, weil man eben sofort weiterfragen
würde, warum denn das Gras naß sei, da hier ja noch zusätzliches
Wissen verfügbar ist. In [CP86] wurde daher für abduktive
Lösungen noch die zusätzliche Forderung gestellt, daß
grundlegend (engl. basic) in dem Sinne sei, daß für
in
keine Regeln vorhanden seien, die noch grundlegendere Erklärungen
zuließen, wie es in unserem Beispiel im Falle von
der Fall ist.
Weiter wird in der zitierten Arbeit das Kriterium der Minimalität gefordert.
Danach entfallen unendlich viele Lösungen der Form oder
für beliebiges
als Instantiierung für
,
weil ja das minimalere
bzw.
bereits eine Lösung ist.
In praktischen Anwendungen läßt sich die Anzahl der möglichen
Lösungen dadurch noch weiter einschränken, daß man die Menge der
möglichen Lösungssätze von vorneherein auf sogenannte abduzible
Sätze einschränkt, wie
es bereits in dem in Abschnitt 3.6 besprochenen Ansatz realisiert wurde
(siehe dort die Menge in Definition 3.6). Eine solche
Einschränkung kann natürlich nur in einer anwendungsspezifischen Weise
erfolgen. In diesem Fall kann man sich dann sogar ohne Einschränkung auf
atomare Sätze in der Menge der abduziblen Sätze beschränken, wie das
Theorem 3.6 in Abschnitt 3.6 gezeigt hat.
Mittels Einschränkungen (engl. constraints)
erreicht man eine weitere Reduktion der möglichen Lösungen, wie es mit der
Menge der Definition 3.6 in Abschnitt 3.6 bereits
demonstriert wurde.
Schließlich lassen sich mit zusätzlichen Informationen oder mit Präferenzkriterien verschiedene Lösungen unterscheiden, so daß eine als besser oder plausibler eingestuft wird als eine andere. In [Kow92] werden eine Reihe solcher Möglichkeiten aufgezählt.
Die wesentlichen Elemente im Rahmen einer abduktiven Problemstellung sind also
der Satz , mit dem die Welt beschrieben ist, eine Menge
von
abduziblen Prädikaten sowie eine Einschränkung
. In [Kow92]
wird das Tripel
als abduktiver Rahmen bezeichnet. Dort wird Abduktion
innerhalb dieses Rahmens als Erweiterung der Logikprogrammierung
mit der
Negation als Mißerfolg (siehe
Abschnitt 3.4) studiert und mit verschiedenen verwandten Ansätzen
verglichen.
Einer der wichtigsten Ansätze, die mit der Abduktion eng verwandt sind, ist das in Kapitel 3 ausführlich behandelte nichtmonotone Schließen. Wie schon die obigen Verweise auf den Abschnitt 3.6 darin gezeigt haben, besteht das Ermangelungsschließen durch Theoriebildung von Poole explizit aus einem abduktiven Vorgehen, in dem im vorliegenden Abschnitt beschriebenen Sinne. Da jener wiederum sich dort als eng verwandt mit den anderen in Kapitel 3 beschriebenen erwiesen hat, ergibt sich insgesamt eine enge Beziehung der Abduktion mit dem nichtmonotonen Schließen schlechthin. Insbesondere enthält das nichtmonotone Schließen immer eine abduktive Komponente, wie durch den Ansatz von Poole explizit sichtbar wird.
Faßt man Abduktion als das Erschließen von möglichen Erklärungen
für Beobachtungen auf, so ist umgekehrt Abduktion nichtmonoton, da
mögliche Erklärungen durch zusätzliches Wissen hinfällig werden
können. Wenn wir etwa in unserem Beispiel zusätzlich erfahren, daß das
Wasser gesperrt war, der Sprenger also gar nicht laufen konnte, so entfällt
der Sprenger als Erklärung für die nassen Schuhe.
Abduktion ist in gewissem Sinne allgemeiner als das nichtmonotone Schließen. In letzterem geht es immer um eine Form von maximalem Schließen. Nur was in explizitem Widerspruch zu dem verfügbaren Wissen steht, wird verworfen, alles andere wird als Folgerung akzeptiert. Bei der Abduktion ergibt sich eine größere Vielfalt in dieser Hinsicht. Insoweit Abduktion Ermangelungsschließen ist, ist ebenfalls Maximalität angestrebt. Aber auch Diagnose (``Warum sind die Schuhe naß?'') ist Abduktion und hier ist das Ziel eher Minimalität, da man gerne die tatsächliche Ursache als Erklärung hätte und natürlich nicht Maximalität über alle nur erdenklichen Erklärungen anstrebt. Auf die Diagnose werden wir aber in Abschnitt 4.6 gesondert zu sprechen kommen.
Christoph Quix, Thomas List, René Soiron