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2.11.9 Probabilistisches Wissen

Menschliches Handeln muß sich notwendigerweise auf Überzeugungen stützen, von denen wir nicht sicher wissen, ob sie korrekt sind. Oft nämlich würde eine Absicherung der Richtigkeit dieser Überzeugungen viel mehr Zeit in Anspruch nehmen (wenn sie überhaupt möglich ist), als im täglichen Überlebenskampf für die anstehenden Entscheidungen zulässig ist. Der Mensch behilft sich in diesen Fällen damit, daß er die Richtigkeit grob einschätzt und dann bei einem hinreichenden Grad von Überzeugtheit die Richtigkeit einfach annimmt.

Solche Einschätzungen sind in der Regel von qualitativer Natur. Jedoch stehen wir dabei immer wieder vor der Aufgabe, Einschätzungen von verschiedenen Überzeugungen miteinander zu vergleichen, etwa in der Form `` ist wohl eher richtig als ''. Um diese Vergleiche für beliebige Aussagen durchführen zu können, ergibt sich so die Notwendigkeit einer (totalen) Ordnung auf den Einschätzungen verschiedener Aussagen. Da sich jede total geordnete Menge isomorph auf eine Teilmenge der Zahlen abbilden läßt, ist es nicht verwunderlich, daß sich zur Quantifizierung solcher Einschätzungen daher die Zahlen als Maße anbieten. Dabei ist das feinste Maß mit den reellen Zahlen möglich. Schließlich ist das Intervall [0,1] isomorph mit der Menge aller reellen Zahlen, so daß man ohne Einschränkung üblicherweise die Zahlen dieses Intervalls für diesen Zweck heranzieht. Danach kann man davon sprechen, daß eine Aussage vom Grade richtig ist, wobei gilt.

Für die Behandlung von Einschätzungen dieser Art bietet sich die Wahrscheinlichkeitstheorie natürlicherweise an, die genau für diese Art Maße entwickelt worden ist. Wir werden daher in Abschnitt 4.4 unter anderem wahrscheinlichkeitstheoretische Ansätze zum Schließen besprechen. Dabei werden wir auch verschiedene Formen der formalen Repräsentation solcher Einschätzungswerte innerhalb verschiedener Formalismen kennenlernen. Es erübrigt sich daher an dieser Stelle, auf solche Darstellungsformen näher einzugehen. Zum Abschluß dieses Unterabschnitts wollen wir daher nur noch die folgenden möglichen Vorbehalte bezüglich dieser Art von Wissensrepräsentation erwähnen.

Im Vergleich zum alltäglichen Schließen handelt es sich bei der Quantifizierung des Grades der Zuverlässigkeit von Aussagen mittels reeller Zahlen natürlich um eine extreme Überpräzisierung. Es ist daher aus dem Gebiet der Expertensysteme eine bekannte Problematik, daß es schwer ist, vernünftige Zahlen im Einzelfall einer gegebenen Aussage festzulegen. Vielmehr geht es im alltäglichen Schließen zum einen lediglich um den relativen Vergleich der Einschätzung von einer kleinen Menge von Aussagen und zum anderen um eine Reihe von zusätzlichen Gesichtspunkten, wie etwa den Hypothesen, unter denen die Aussagen getroffen wurden. Kurz, es ist nicht zu erwarten, daß eine Modellierung des alltäglichen Schließens sich allein auf der Grundlage der Wahrscheinlichkeitstheorie verwirklichen ließe. Umso wichtiger halten wir eine Integration von probabilistischen Maßen im Rahmen eines logischen Formalismus, worauf wir im Abschnitt 4.4 ausführlich zu sprechen kommen.



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996