11.1
 Grammatik

Sprachkompetenz 

Grundfrage

Wie ist es möglich, dass wir Sätze bilden und verstehen können, welche wir noch nie gehört haben?

Was bedeutet der Begriff „Grammatik“? 

Einige Bedeutungen nach [Bussmann 2002]

Definition 11.1.1 (Arbeitsdefinition). Grammatiken sind Modelle , wie Sprache auf der morphosyntaktischen Ebene funktioniert.

Arten von „Grammatiken“? 

Adäquatheitsstufen grammatischer Modelle 

Nach Noam Chomsky gemäss [Bussmann 2002]

Anwendungsadäquatheit in der CL

Sprachliche Daten werden für die Anwendung hinreichend präzise und effizient (Speicherbedarf und Rechenzeit) analysiert.

Grammatiktheorien in der CL 
Formale Linguistik und CL haben sich oft gegenseitig befruchtet.

11.1.1
 Konstituentenstruktur

Konstituenz 

Definition 11.1.2 (nach [Bussmann 2002]). Konstituente . In der strukturellen Satzanalyse [sog. Konstituentenanalyse] Bezeichnung für jede sprachliche Einheit (Wort, Wortgruppe) die Teil einer grösseren sprachlichen Einheit ist.

Definition 11.1.3 (nach [Bussmann 2002]). Ziel und Ergebnis der Konstituentenanalyse ist die Zerlegung eines sprachlichen Ausdrucks in eine hierarchisch definierte Abfolge von Konstituenten.

Definition 11.1.4 (Konstituenz). Konstituenz ergibt sich aus der unmittelbaren Dominanz und linearen Präzedenz zwischen Konstituenten.

Darstellungsformen der Konstituenz

Konstituenten in der annotate-Darstellung 


pict

Abbildung 11.1: Konstituenz, Dominanz und Präzedenz in NEGRA-Darstellung

Jedes Wort und jeder ovale Knoten repräsentiert eine Konstituente.

Konstituenten in traditionellen linguistischen Darstellungen 

Baumdarstellung

       S
        |
 NP   VP|

 NE    V|   NP|
Egon  sah    D    N
              |    |
            den  Pudel

Kastendiagramm





Egon sah den Pudel




NE V D N




NP V
NP




NP
VP




S




Klammernotationen: Indizierte Klammerung und S-Expression (LISP)

Konstituentenstruktur und Phrasenstrukturregeln (PSR) 
Phrasenstrukturregeln drücken die Beziehung zwischen einem Mutterknoten und ihren zulässigen Tochterknoten (unmittelbare Dominanz ) sowie die Reihenfolge unter den Tochterknoten (unmittelbare Präzedenz ) aus.

Baumdarstellung

       S
        |
 NP   VP|
 NE    V    NP
  |     |     |
Egon  sah    D|   N|
            den  Pudel

Phrasenstrukturregeln



S NP VP VP V NP


NP EN NP D N




V sah D den


NE Egon N Pudel


Sprechweisen für Phrasenstrukturregeln

S dominiert eine NP gefolgt von einer VP. S besteht aus einer NP gefolgt von einer VP. S produziert/erzeugt eine NP gefolgt von einer VP. Eine NP gefolgt von einer VP wird ersetzt durch ein S.

Syntax- und Lexikonregeln 
Bei der Entwicklung von Grammatiken in der Linguistik wird oft zwischen Lexikonregeln und Syntaxregeln unterschieden.

Lexikonregeln und Präterminale

Bei Lexikonregeln wird eine Wortform (Terminal) einer oder mehreren syntaktischen Kategorien (Präterminal) zugeordnet: EN Egon

Syntaxregeln

Syntaxregeln beschreiben, wie Kategorien (Nichtterminal) zu einer grösseren Kategorie kombiniert werden: S NP VP

Kurz-Notation von Alternativen und Optionalität

Eine PP besteht aus Präposition und NP oder Präpositionaladverb: PP {P NP | PAdv }
Eine NP besteht aus Eigenname, oder Artikel, Nomen mit optionaler PP: NP { NE | D N (PP) }

11.1.2
 Konstituentenanalyse

Automatische Konstituentenanalyse 

Definition 11.1.5 (Automatische Konstituentenanalyse). Eine automatische Konstituentenanalyse berechnet (parst) die Konstituentenstruktur eines sprachlichen Ausdrucks auf Grund von Phrasenstrukturregeln.

Definition 11.1.6 (Parser). Ein Parser ist ein Programm, das sprachliche Ausdrücke auf Grund einer Grammatik syntaktisch analysiert und dessen zulässige(n) Syntaxstruktur(en) berechnet.

Syntaktische Mehrdeutigkeit 
Natürliche Sprachen haben im Gegensatz zu künstlichen Sprachen wie Programmiersprachen viele syntaktische Mehrdeutigkeiten.

Beispiel 11.1.7 (Mehrdeutigkeit der PP-Anbindung).
Wie sehen die zulässigen Konstituentenstrukturen aus für den Satz „Egon sah den Pudel mit der Brille“?





S NP VP VP V NP NP {EN | D N (PP)} PP P NP








V sah D {den|der} N {Pudel|Brille} P mit




NE Egon




11.1.3
 Rekursion

Rekursive Verschachtelung von Konstituenten 

Beispiel 11.1.8 (Dass-Sätze).

Beispiel 11.1.9 (Relativsätze).
Ich kannte einen Mann, der einen Zahn besass, welcher ein Loch hatte, worin ein Kästchen war, das einen Brief enthielt, worauf stand: Ich kannte einen Mann …

Welche Muster stecken dahinter?

Rekursion 





S NP VP VP V NP NP {EN | D N (PP)} PP P NP








V sah D {den|der} N {Pudel|Brille} P mit




NE Egon




Frage und Empfehlung

Welche Regeln braucht unsere Beispielgrammatik, damit auch Sätze wie „Egon sah den Pudel und den Spatz“ analysierbar werden? Empfehlung: Es ist sinnvoll, zuerst die Konstituentenstruktur eines Satzes zu zeichnen und danach die Regeln zu entnehmen.