3.2.  Morphologische Typologien

3.2.1.  Morphologischer Sprachbau

Isolierender Sprachbau

Definition 3.2.1. Sprachen mit isolierendem Sprachbau haben keine gebundenen Morphe (Derivationsaffixe, Flexionsendungen).

Flektierender Sprachbau

Definition 3.2.2 (auch fusionierender Sprachbau). Sprachen mit flektierendem Sprachbau haben viele gebundene Morphe, welche komplexe morphologische Merkmalswerte ausdrücken, und eine enge Verbindung mit den Kernmorphen eingehen.

Agglutinierender Sprachbau

Definition 3.2.3. Sprachen mit agglutinierendem Sprachbau verketten gebundene Morpheme hintereinander, welche jeweils eindeutig ein einzelnes Merkmal ausdrücken.

Beispiel 3.2.4 (Türkisch “evlerimin” = “meiner Häuser”).
Siehe Tabelle 3.1 auf Seite 89.


Haus Plural mein Genitiv
ev ler im in

Tabelle 3.1: Agglutination im Türkischen

Das e in “ler”, das i in “im” und das i in “in” entsteht durch Vokalharmonie. Weitere Information z.B. unter http://www.tuerkisch-trainer.de/Sprachkurs/Grundlagen.htm.

Polysynthetischer Sprachbau

Definition 3.2.5. Sprachen mit polysynthetischem Sprachbau verketten gebundene und freie Morpheme hintereinander zu langen Wörtern.

Beispiel 3.2.6 (Inuktitut ). Siehe Tabelle 3.2 auf Seite 90.


Paris+mut+nngau+juma+niraq+lauq+sima+nngit+junga
Paris Terminalis-Kasus Weg-nach wollen sagen-dass Vergangenheit Perfektiv Zustand Negativ 1sg-intransitiv
Parimunngaujumaniralauqsimanngittunga
Ich sagte niemals, dass ich nach Paris gehen will.

Tabelle 3.2: Polysynthetisches Wort nach [BEESLEY und KARTTUNEN 2003b, 376]

Fazit: Morphologischer Sprachbau

3.2.2.  Morphologische Prozesse


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Abbildung 3.2: Morphologische Prozesse nach [LEHMANN 2007]


Segmental vs. Suprasegmental

Definition 3.2.7 (Suprasegementale Merkmal nach [GLüCK 2000]). “Lautübergreifende bzw. sich nicht auf die sequentielle Abfolge von Segmenten beziehende Merkmale lautsprachl. Äußerungen, die sich signalphonet. im Grundfrequenz- und Intensitätsverlauf sowie der temporalen Ausprägung einzelner Segmente und Pausen äußern.”

Akzentwechsel

engl. prodúce (Verb) vs. próduce (Nomen), contáct (Verb) vs. cóntact (Nomen).

Affigierung

Definition 3.2.8 (Affix). Ein Affix ist ein gebundenes segmentales Morphem, das zur Bildung einer derivierten oder flektierten Form einer Basis (Wurzel oder Stamm) hinzugefügt wird.

Einteilung der Affixe nach Stellung

  1. Präfigierung : Ein Präfix steht vor der Basis. (Ge -schrei)
  2. Suffigierung : Ein Suffix folgt der Basis. (schrei-en )
  3. Zirkumfigierung : Ein Zirkumfix umfasst die Basis. (ge -schrie-en )
  4. Infigierung : Ein Infix unterbricht die (Wurzel-)Basis. (lat. vi-n -cere; vgl. Perfekt “vici”)
  5. Transfigierung : Ein unterbrochenes Affix unterbricht eine Basis an mindestens einer Stelle.

Beispiel: Transfigierung im Arabischen
Siehe Abb. 3.3 auf Seite 97.


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Abbildung 3.3: Pluralbildung im Arabischen nach [LEHMANN 2007]


Reduplikation

Definition 3.2.9. Bei der Reduplikation wird eine Wurzel oder ein Stamm ganz oder teilweise (anlautende Silbe) verdoppelt. Lautliche Veränderungen sind möglich.

Beispiel 3.2.10 (Teilreduplikation und Vollreduplikation).

Innere Modifikation/Abwandlung (Substitution)

Definition 3.2.11 (auch innere Abwandlung oder Substitution). Bei der inneren Modifikation wird in der Basis ein Element oder Merkmal durch ein gleichartiges ersetzt.

Beispiel 3.2.12 (Ablaut (apophony)).

Beispiel 3.2.13 (Umlaut (engl. umlaut)).

Suppletion

Definition 3.2.14. Bei der Suppletion wird ein Stamm (in einem Flexionsparadigma) vollständig durch einen anderen ersetzt.

Suppletivformen findet man typischerweise bei hochfrequenten Lemmata . Suppletion kann als extreme Form der Substitution (innere Modifikation) betrachtet werden.

Beispiel 3.2.15.

Subtraktion

Definition 3.2.16. Bei der Subtraktion wird eine Basis gekürzt.

Beispiel 3.2.17 (Subtraktion bei französischen Adjektiven).
Bildung des maskulinen Genus durch Tilgung des auslautenden Stammkonsonanten. Graphematisch könnte es sich auch um e-Suffigierung an das Maskulinum handeln. Warum lautlich nicht?


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Abbildung 3.4: Subtraktion bei französischen Adjektiven nach [LEHMANN 2007]