3.1.  Strukturalistische Morphologie

Analyseebenen für Wörter

Segmentationsebenen für Wörter

3.1.1.  Morph

Der Begriff Morph

Definition 3.1.1. Ein Morph ist die kleinste segmentierbare Einheit einer Wortform, welche semantische oder grammatische Information trägt.

Ein Morph kann als eine Lautform (phonetisch) oder eine Schriftform (graphematisch) aufgefasst werden.

Segmentieren und Klassifizieren

Mit der Methode der Minimalpaaranalyse identifiziert man die Laute (Phone), welche als Klasse (Phonem) die kleinsten bedeutungsunterscheidenden abstrakten Einheiten darstellen. Diese Verfahren kann auf man auf die Ebene der kleinsten bedeutungstragenden Einheiten übertragen.

Anzahl Morphe in einer Sprache

Eine Sprache umfasst typischerweise einige 10’000 Morphe. Die Anzahl Wörter ist eine Grössenordnung höher.

3.1.2.  Allomorph

Definition 3.1.2 (auch Morphemvariante). Allomorphe sind Morphe, welche sich zwar lautlich oder graphematisch leicht unterscheiden, aber trotzdem die gleiche semantische oder grammatische Funktion wahrnehmen können.

Beispiel 3.1.3 (Semantische Allomorphe).
Die Morphe “buch” und “büch” bedeuten beide Buch.

Beispiel 3.1.4 (Grammatische Allomorphe).
Die Morphe “en”, “n” oder “e” tragen Pluralinformation im Deutschen.

3.1.3.  Morphem

Definition 3.1.5 (klassisch strukturalistische Definition). Ein Morphem ist die kleinste bedeutungstragende Einheit des Sprachsystems.

Morph vs. Allomorph vs. Morphem nach [STOCKER et al. 2004]


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Abstraktionsgrad von Morphem

Ein Morphem ist eine Menge von Morphen , welche Allomorphe voneinander sind, d.h. die gleiche semantische oder grammatische Funktion ausüben.

Morphem

Ursprung nach [GLüCK 2000]

“L. Bloomfield bestimmte das Morphem als »minimale Form«, eine Phonemfolge, die nicht in kleinere Einheiten zerlegbar ist und die eine feste Bedeutung besitzt” (Language 1933, 158-161)

Entstehung des Begriffs Morphem

“Von J. Baudouin de Courtenay um 1880 geprägter Oberbegriff für Beschreibungsbegriffe der herkömmlichen »Formenlehre« wie Vorsilbe, Nachsilbe, Endung oder Stamm (von Wörtern).” [GLüCK 2000]


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Abbildung 3.1: Leonard Bloomfield (1887–1949)

Trennung und Vermischung von Form und Funktion

Morph(em)-Zoo im Überblick (nach [BUSSMANN 2002])

Bedeutungseigenschaft

Distributionseigenschaft (Vorkommen, Selbständigkeit)

Einheit von Form und Funktion

Frage

Wo würde man statt von Morphemen besser von Morphen sprechen, wenn die Unterscheidung von Form und Funktion ernst genommen wird?

Lexikalisierung und Demotivierung

Definition 3.1.6 (Lexikalisierung). Mit Lexikalisierung drückt man aus, ob ein Wort (oder eine grössere syntaktische Einheit) als ein Zeichen im (mentalen) Lexikon gespeichert ist.

Definition 3.1.7 (Demotivierung, Idiomatisierung). Die Demotivierung bezeichnet ein Phänomen des Sprachwandels, dass mehrgliedrig analysierbare Ausdrücke zu einer lexikalischen Einheit werden, deren Gesamtbedeutung nicht mehr aus den Bestandteilen erkennbar (motiviert) ist.

Beispiel 3.1.8 (Demotivierung).

(De)Motivierung bei geographischen Bezeichnungen

Beispiel 3.1.9 (Etymologische Kolumne “Besserwisser” vom Tages-Anzeiger vom 26.3.2007 Seite 66).
Was macht den Hügel froh?

Die Rebenstrasse in Leimbach heisst so, weil dort einst Reben wuchsen. Der Tannenweg in Altstetten führt durch den Tannenwald. Und Im Schilf in Fluntern stand vor langer Zeit ein grosses Schilfgebüsch. Falsch. Zürichs Strassennamen sind manchmal doppelbödig. Dieses Schilf meint eigentlich Schülff, und das war der Übername des Landbesitzers im 14. Jahrhundert, Johann Bilgeri.

Im Hummel in Wollishofen will nicht an die vielen Hummeln erinnern, die es dort einmal gab, sondern an den früheren Flurnamen: Humbel, abgeleitet aus Hohenbüel. Büel bedeutet Hügel, Anhöhe, weshalb die Frohbühlstrasse in Seebach auf einen frohgemuten Hügel hinweist und die Frage auf wirft: Was stimmt einen Hügel froh? Was schwermütig? Jetzt sind wir aber tief im Schilf gelandet, denn die Frohbühlstrasse geht zurück auf den Flurnamen Frohloch, der wiederum fragen lässt, was ein Loch froh macht? Schon wieder falsch, weil Frohloch von Foloch kommt und Fuchsloch bedeutet.

Und was ist mit den Altstettern, die an die Herrligstrasse gezogen sind, damit es ihnen herrlich geht? Die Wahrheit ist bitter: Herrlig meint den alten Heerweg.