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2.1 Natürliche Sprache

Natürliche Sprache in gesprochener oder geschriebener Form bildet die verbreitetste und natürlichste Darstellungsform für Wissen (wenn man von der mentalen Darstellung -- vgl. Kapitel 5 -- einmal absieht, die formal nicht zugänglich ist). In gewissem Sinne stellt die natürliche Sprache auch den Ausgangspunkt für die meisten Repräsentationsformalismen dar. Sehr überspitzt formuliert könnte man auch sagen, das Gebiet der Wissensrepräsentation sei identisch mit dem des Verstehens und der Verarbeitung natürlicher Sprache, jedoch wollen wir nicht wirklich so weit in unserem Begriffsverständnis gehen.

Will man natürliche Sprache bis zu einem Detaillierungsgrad verstehen, der ihre mechanische Beherrschung erlaubt, so muß man sie als Formalismus mit einer bestimmten Semantik zu begreifen versuchen. Dabei begegnet man jedoch sofort der fundamentalen Schwierigkeit, daß jeder sprachliche Satz, schon einmal vorausgesetzt, er sei syntaktisch richtig gebildet, je nach den Umständen verschiedene Bedeutungen haben kann. Erst im Kontext der begleitenden Umstände ergibt sich die Eindeutigkeit. In neueren Ansätzen zur Semantik von Sprache ist dies zum beherrschenden Thema geworden (siehe zB. [BP83]).

Hat der Kontext die Eindeutigkeit der Bedeutung hergestellt, bleibt immer noch die Frage, wie sich diese Bedeutung aus dem Satz und seinen Teilen ergibt. Die entscheidende Schwierigkeit, sie zu beantworten, liegt darin, daß der syntaktische Aufbau des Satzes mit einem entsprechenden Aufbau der Gesamtbedeutung aus primitiven Bedeutungseinheiten (wie etwa den einzelnen Wortbedeutungen) offenbar nicht einher geht. In diesem Sinne ist die Suche nach primitiven semantischen Einheiten zu verstehen, wie sie etwa in [SR74] vorgeschlagen werden, worauf wir in Abschnitt 2.4 zurückkommen werden.

Auch die Prädikatenlogik, auf die wir in Abschnitt 2.3 zu sprechen kommen, ist unter der Motivation entwickelt worden, die natürliche Sprache zu verstehen, indem man sie zu einem uniformen und eindeutigen Formalismus abstrahiert. In der Logik finden in der Tat die syntaktischen Gebilde eine Entsprechung auch in dem semantischen Aufbau, der hier voll verstanden ist. Deshalb werden die Beziehungen der Syntax von natürlicher Sprache und Prädikatenlogik bis heute intensiv studiert [MG92]. Die Problematik der natürlichen Sprache ist damit jedoch nicht gelöst, und zwar deswegen, weil wir zu einem gegebenen natürlichsprachlichen Satz nicht ohne weiteres, jedenfalls nicht algorithmisch, eine prädikatenlogische Formel mit gleicher Bedeutung angeben können, so daß die Fragestellung nur auf die nach einer Transformation natürlicher Sätze in prädikatenlogische Formeln verschoben ist. Ein überzeugender Zusammenhang dieser Art auf der propositionalen Ebene ist in [Bra78] hergestellt worden, auf den wir aber hier im einzelnen nicht eingehen möchten, weil er uns zu weit von unserem eigentlichen Thema abbringen würde.

Die Verarbeitung natürlicher Sprache ist aus all diesen Gründen ein eigenständiges Forschungsgebiet mit gleicher Ausdehnung wie die Wissensrepräsentation, das wir daher nicht in einem Abschnitt abhandeln können.gif Wir sollten uns aber den engen Bezug dieser beiden Gebiete zueinander immer vor Augen behalten.



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Christoph Quix, Thomas List, René Soiron
30. September 1996