12.1.  Mengen

Mengen 

Definition 12.1.1 (“Naive” Mengenlehre nach [CANTOR 1895]).


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Abbildung 12.1: Faksimile der Bestimmung des Mengenbegriffs bei Georg Cantor

Kommentar zur Terminologie

Es gibt also Objekte , Mengen und Elemente .

Beispiel 12.1.2 (Mengen aus der Welt der Linguistik).
Menge der Sätze einer Zeitungausgabe, der Wortformen eines Satzes, der Lexeme eines Satzes, der Buchstaben eines Wortes, der Bedeutungen eines Wortes, …

Formale Notationen für Mengen 

Definition 12.1.3 (Aufzählung einer Menge). Eine Mengenaufzählung besteht aus Zeichen(-ketten), welche die Objekte einer Menge bezeichnen und zwischen geschweiften Klammern stehen. Zwischen den Zeichen werden Kommata geschrieben. Die Reihenfolge der Zeichen ist irrelevant.

Beispiel 12.1.4 (Menge der Farben der französischen Flagge pict).

{blau,weiss,rot} oder {weiss,blau,rot} oder {bleu,blanc,rouge} oder {a,b,c}, falls z.B. festgelegt ist, dass a für Rot, b für Blau und c für Weiss steht. Welche Konvention legt fest, dass bleu für die Farbe Blau stehen soll?

Mehrfachschreibung von Zeichen

Die Notation {a,a,b,c,c,c} bezeichnet die gleiche Menge wie {a,b,c}.

Unterschiedliche Zeichen für dasselbe Objekt (Objektgleichheit)

Wenn gilt: a = b, dann bezeichnen {a,b} und {a} dieselbe Menge.

Beispiel 12.1.5 (Token).
Die Menge M der Token des Satzes “Wenn hinter Fliegen Fliegen fliegen, fliegt eine Fliege Fliegen nach.”

M = {“Wenn”, “hinter”, “Fliegen”, “fliegen”, “,”, “fliegt”, “eine”, “Fliege”, “nach”, “.”}

Lexem als Menge von Token

LexemFliege = {“Fliege”, “Fliegen”}

Lexemverband als Menge von Lexemen

Lexemverbandflieg = {{“Fliege”,“Fliegen”}, {“fliegt”,“fliegen”,“fliegst”,…},}

Formale Notationen für Mengen 

Definition 12.1.6 (Charakterisierung (Beschreibung) einer Menge). Eine Mengencharakterisierung besteht aus einer Variablen x (oder y,z), einem senkrechten Strich und einem Bedingungsteil, der angibt, unter welchen Bedingungen irgendein Objekt x Element der damit notierten Menge ist.

{x | Bedingung(en) über x}

Gesprochen: Die Menge aller x, für die gilt: x … Die Variable x ist innerhalb der Klammern gebunden.

Beispiel 12.1.7 (Menge der Farben der französischen Flagge pict).

{ x | x ist eine Farbe der französischen Flagge } { x | x ist die Farbe blau oder x ist die Farbe rot oder x ist die Farbe weiss }

Elementbeziehung 

Definition 12.1.8 (Notation der Elementbeziehung). Gehört ein Objekt x zur Menge A, so nennt man x ein Element der Menge A und schreibt x A.

Gehört y nicht zur Menge A, schreibt man y∈∕A.

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Russelsche Paradoxie [IRVINE 2003]

Ob ein Objekt Element einer Menge ist oder nicht, lässt sich nicht in jedem Fall entscheiden. Sei M die Menge, welche durch { x | x∕∈x } charakterisiert wird. Gilt M M?

  1. Falls M∕∈M, so ist M M wegen der Mengencharakterisierung. Dies ergibt einen Widerspruch.
  2. Falls M M ist, so ist M∕∈M wegen der Mengencharakterisierung. Dies ergibt einen Widerspruch.

Rekursiv charakterisierte Mengen 
Mengen mit beliebig vielen Elementen lassen sich rekursiv (induktiv) beschreiben.

Beispiel 12.1.9 (Natürliche Zahlen ).

Verwendung von rekursiver Definitionen

Zeige, dass s(s(s(0))) Element der Menge der natürlichen Zahlen ist.
s(s(s(0))) , falls s(s(0)) (Rekursionschritt)
s(s(0)) , falls s(0) (Rekursionschritt)
s(0) , falls 0 (Rekursionschritt)
0 (Rekursionsbasis)

Logische Verknüpfungen und ihre Wahrheitswerte 


Disjunktion A oder (auch) B A B
Konjunktion A und B A B
Negation nicht A ¬A
Implikation wenn A, dann B A B
Bikonditional A genau dann, wenn B A B

Wahrheits- und Falschheitsbedingungen

Quantoren und Prädikate 


Allquantor Für alle x gilt: … x
Existenzquantor Es gibt mindestens ein x, für das gilt: … x

Einige Wahrheits- und Falschheitsbedingungen

Sei m(x) das Prädikat “x ist menschlich” und s(x) das Prädikat “x ist sterblich”

Mengengleichheit 

Definition 12.1.10 (Extensionalitätsprinzip). Zwei Mengen M und N sind gleich , wenn sie die gleichen Elemente enthalten.

Formal: M = N = df.x(x M x N)

Beispiel 12.1.11 (Gleiche Mengen in beiden Notationsformen).
{a} = { x | x = a }
{a,b} = { x | x = a x = b }

Mengenungleichheit

Anstelle von ¬(M = N) schreibt man kurz: M = N.

Frage

In welchen Funktionen wird oben das Symbol “=” verwendet?

Hinweis zur Definitionstechnik 

Definition 12.1.12 (Explizitdefinition nach [BUSSMANN 2002]). Bei Explizitdefinitionen enthält “das Definiendum neben dem zu definierenden Zeichen nur Variablen”. Sie “haben den Charakter von Abkürzungen”. Damit ist “die Forderung nach der Eliminierbarkeit der definierten Ausdrücke gewährleistet, d.h. die Reduzierbarkeit aller Aussagen auf die Grundbegriffe und die Axiome.”

Was für “Variablen”?

Die Definition der Mengengleichheit muss für beliebige Mengen gelten. Der Ausdruck

M  = N =   ∀x (x ∈ M ↔  x ∈ N)
         df.
entspricht logisch betrachtet folgendem Bikonditional
∀M  ∀N (M  = N ↔  ∀x(x ∈ M  ↔ x ∈ N )).

Teilmengenbeziehung 

Definition 12.1.13 (Teilmenge, subset). Eine Menge M ist Teilmenge der Menge N, wenn jedes Element von M auch Element von N ist. Der Menge N sagt man Obermenge .

Formal: M N = df.x(x M x N)

Definition 12.1.14 (Echte Teilmenge, proper subset). Eine Menge M ist echte Teilmenge der Menge N, wenn M Teilmenge von N ist, aber nicht gleich N ist.

Formal: M N = df.M N M = N

Beispiel 12.1.15.
{a,c}⊂{a,b,c}
{a,c}⊆{a,c}, aber {a,c}⁄⊂{a,c}

Leere Menge 

Definition 12.1.16. Die leere Menge ist die Menge, welche keine Elemente enthält.

Formal: = df.{ xxx }

Alternativ-Notation: {}

Fragen

Ist die leere Menge Teilmenge jeder Menge?

Ist die leere Menge Element jeder Menge?

Potenzmenge 

Definition 12.1.17 (power set). Die Potenzmenge einer Menge M ist die Menge aller Teilmengen von M.

℘ (M ) =df.{ T | T ⊆ M }

Alternativ-Notation: 2M

Beispiel 12.1.18.
Potenzmenge der Menge M = {1,2}

℘ (M  ) = {∅,{1},{2},{1,2 }}

Hinweis: ist sowohl Element als auch Teilmenge von (M).

Operationen über Mengen 
Sei M = {a,b,c} und N = {c,d}:

Vereinigung

A ∪ B =df.{ x | x ∈ A ∨ x ∈ B }

pict M N = {a,b,c,d}.

Schnittmenge

A ∩ B =df.{ x | x ∈ A ∧ x ∈ B }

pict M N = {c}

Disjunkte Mengen

Gilt A B = , so haben A und B keine gemeinsamen Elemente und man nennt A und B disjunkt .

Sei M = {a,b,c} und N = {c,d} und G = {a,b,c,d,e}:

Differenz

A ∖ B =   { x | x ∈ A ∧ x ⁄∈ B }
        df.

pict M N = {a,b}.

Komplement

--
A =df. G ∖A
falls G eine Grundmenge von A ist mit A G

pict N = {a,b,e}.

Kardinalität von endlichen Mengen 

Definition 12.1.19. Die Kardinalität einer endlichen Menge A ist die Anzahl ihrer Elemente.

Formal: | A |

Beispiel 12.1.20.
Die Kardinalität der leeren Menge ist null: |∅| = 0.

Welche Kardinalität hat die Potenzmenge: | (M) | =?

Unendliche Mengen

Mengen können auch unendlich viele Elemente enthalten. Z.B. die Menge der natürlichen Zahlen = {0,1,2,3,}