Diese Vorlesung stützt sich in Inhalten und Beispielen vor allem auf [Vater 85]. Eine weitere gute Informationsquelle zur Nominalphrasensyntax ist [Zifonum et al. 97].
Definition von Nominalphrase nach [Bussmann 83] (hier anders formatiert):
NPs bestehen jeweils aus einem nominalen Kern, z.B. Nomen (Obst), Eigennamen (Philip), Pronomen (ich, jener, der, alle), oder aus einem Gliedsatz (... dass du nicht lesen kannst). Der nominale Kern kann in verschiedener Weise erweitert werden, u.a. durch Adjektive, Präpositionalattribute (die Lust am Untergang), Appositionen (Dieser Text, völlig unverständlich, ist unbrauchbar.), Relativsätze u.a.
Unter semantischem Aspekt unterscheidet man zwischen
Definition von NP nach [Vater 85]: (S.7)
Eine NP ist dadurch gekennzeichnet, dass sie im allgemeinen ein Substantiv (N) als Kern hat (was später noch einzuschränken ist) und die Funktionen des Subjekts, Objekts, Prädikativs und Attributs, in Sonderfällen auch die Funktion des Adverbials ausüben kann.[Das Kind] grüsste [den Nachbarn]. [Peter] ist [ein wilder Junge]. [Paul] lief [zehn Kilometer]. [Inge] las [die ganze Nacht].
Es gibt im Deutschen kaum Sätze ohne NPs. Allenfalls bei Imperativen, elliptischen Äusserungen, Interjektionen oder beim unpersönlichen Passiv:
Geh weg! Vorwärts! Au! Heute wird getanzt.
Eine NP kann durch voran- bzw. nachgestellte Attribute zu einem komplexen Gebilde werden. Einem Kern können mehrere Attribute zugeordnet sein oder das Attribut kann selbst komplex sein und Kern und Attribut enthalten.
Jackendoff (1977) hat eine Abstufung innerhalb der NPs definiert durch die Zuordnung der Komplemente zu den verschiedenen N-Stufen:
Die Annahme einer Dreierstufung von NP wird durch das Vorhandensein von Proformen für jede dieser Stufen gestützt.
N' hat die lexikalische Kategorie N als Kern; dazu kommen Valenz-Komplemente. Diese sind vor allem bei nominalisierten Verben offensichtlich. Verben nehmen einen Teil ihrer Valenzpartner (unter Umständen auch alle) mit in die nominalisierte Form. Wieviele und welche Valenzpartner bei Nominalisierungen realisiert werden, hängt vom Kontext und der Thematisierungsabsicht ab.
Cäsar eroberte Gallien. ==> Die Eroberung Galliens durch Cäsar (missfiel ...) Karl nahm an, dass er gewinnen würde. ==> Karls Annahme, dass er gewinnen würde, (erwies sich ...)
Es fällt auf: Während Satz-Einbettungen und PPs bei N und V die gleiche Form haben, sind NPs im Nominativ, Dativ und Akkusativ nur bei V möglich. Bei N erscheinen sie als Genitiv oder werden durch eine PP ersetzt. Es handelt sich um einen genitivus subiectivus, wenn er sich auf ein Subjekt zurückführen lässt und analog um einen genitivus obiectivus. Bei vorangestelltem genitivus obiectivus wird das Subjekt innerhalb der NP durch eine PP realisiert, während ein vorangestellter subiectivus einen nachgestellten obiectivus zulässt.
Galliens Eroberung durch Cäsar ... Cäsars Eroberung Galliens
So wie in einer VP die Valenzpartner enger zu V gehören als die Angaben, so gehören in einer NP die Valenz-Komplemente enger zum Kern als die restriktiven und appositiven Komplemente. Manchmal sind sie nicht weglassbar:
die Errichtung des Denkmals (kostete mehr als geplant). * die Errichtung (kostete mehr als geplant).
Der Kern von N' ist im allgemeinen ein nominalisiertes Verb. Es gibt jedoch auch Fälle, die sich nicht als `Nominalisierung' deuten lassen, weil es kein entsprechendes Verb gibt.
die Idee, das Haus umzubauen, (fand Anerkennung) Appetit auf Bananen (hat Paul immer) der Autor des Buchs (ist bis jetzt ...)
Trotzdem verhalten sich diese Substantive wie Nominalisierungen und ihre Komplemente wie Valenz-Komplemente. Grund: Es handelt sich um relationale Substantive. Hierzu gehören auch Verwandschaftsbezeichnungen wie Vater, Sohn, Mutter, Tochter.
(Er ist) der Vater von Hans.
Die Komplemente von relationalen Substantiven lassen sich nicht als restriktive Komplemente erklären
der Autor des Buchs \/ der Autor, der das Buch verfasst hat der Vater des kleinen Jungen \/ der Vater, der den kleinen Jungen hat
N'' wird bei [Vater 85] durch das Vorkommen von restriktiven Attributen als Komplemente von N' konstituiert. Das sind solche Attribute, die ein Substantiv auf gleiche Weise wie restriktive Relativsätze modifizieren können.
(1) Die vier Guerilleros, die etwa 100 Menschen in ihre Gewalt gebracht hatten (haben sich ...) (2) Beim Sieg in Los Angeles (blieb er ...) (3) Das Wetter hier (ist immer ...)
Zu zeigen ist, dass die Attribute nicht valenzbedingt auftreten. Bei (1) ist das offensichtlich, da es keine valenzbedingten Relativsätze gibt. Bei (2) handelt es sich zwar um ein nominalisiertes Verb, aber es wird argumentiert, dass siegen keine Ortsangabe fordert. Bei (3) handelt es sich nicht um ein relationales Substantiv. Sowohl (2) als auch (3) könnten auch über restriktive Relativsätze ausgedrückt werden.
(2)' beim Sieg, den er in L.A. errang, ... (3)' das Wetter, das hier herrscht, ...
Restriktive Attribute werden logisch-semantisch dadurch charakterisiert, dass sie die Denotatsmenge der Kern-NP einschränken. Syntaktisch sind sie dadurch charakterisiert, dass sie N' (mit allen Valenz-Ergänzungen) modifizieren.
[N'' [N' der Besuch von Staatschef Honecker] Ende September]
Im Englischen kommen N'-Komplemente immer vor N''-Komplementen. Im Deutschen ist das nicht zwangsweise der Fall. (Problem für PS!)
der Besuch Ende September von Staatschef Honecker
Eine NP der obersten Stufe kann ausser den Komplementen der unteren Stufen noch appositive Komplemente enthalten:
Chomskys Bemerkungen, die für die Diskussion eine zentrale Rolle spielen, ... 50 Jahre - ein halbes Jahrhundert - sind ... Der Stadtführer - ihn können sie dort sehen - wird ihnen ...
Diese Konstituenten sind weder durch die Valenz des Kerns bestimmt, noch schränken sie das Kern-N semantisch ein. Es handelt sich um lose Hinzufügungen, ohne die die betreffende NP sowohl syntaktisch intakt als auch semantisch interpretierbar wäre.
Enge Appositionen unterscheiden sich von losen Appositionen dadurch, dass sie nicht komplex sind. Sie sind nicht durch ein Komplement erweiterbar, haben keine Determinantien, Numerale, Adjektive bei sich.
Unser lieber Onkel Hans (kommt zu Besuch). ... in der Gemeinde Morsbach. ... die Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat.
Die Kern-NP, mit der sich eine enge Apposition verbindet, kann weder ein restriktives noch ein appositives Komplement enthalten.
unser lieber Onkel Paul * unser Onkel aus England Paul * unser Onkel, von dem ich erzählte, Paul
Enge Appositionen sind auf der untersten Stufe, als Komplemente von N und Konstituenten von N', anzuordnen.
Es gibt im Deutschen Proformen für jede der drei N-Stufen.
* Jemand/Niemand des Fahrzeugs (wurde verletzt). Jemand (wurde verletzt). Jemand mit Verstand (schweigt ...) Jemand, den ich schon lange kenne, (hat erzählt ...)
* Er des Fahrzeugs (wurde verletzt). * Er mit Verstand (schweigt ...) Er, den ich schon lange kenne, (hat erzählt ...)
* Man mit Verstand (schweigt ...) * Man, den ich schon lange kenne, (hat erzählt ...) Man (hat erzählt ...)
`Modifikator' wird hier für alle Konstituenten von NP gebraucht, die vor dem Kern stehen. Dies umfasst Determinantien, Quantoren und Adjektive.
Zu den Determinantien werden hier nur diejenigen gerechnet, die das lexikalische N als definit kennzeichnen:
`Definit' wird verstanden als durch Vorerwähnung, Assoziation, Deixis oder Anknüpfen an Vorwissen eingegrenzt.
Syntaktisch (und semantisch) verhalten sich die Determinantien anders als die Quantoren. Determinantien haben eine feste Position am Anfang der NP (nur wenige Quantoren können davor auftreten).
Die vielen Blumen (blühen schon). Die Blumen alle (blühen schon). Alle die Blumen (blühen schon).
Welcher NP-Stufe ist D zuzuordnen?
All das spricht dafür, D als Konstituente von N' anzusetzen. Gleiches gilt für vorangestellte Genitiv-NPs, da diese gegen D austauschbar sind:
das Haus des Bruders des Bruders Haus * das des Bruders Haus
Quantoren (Q) sind hier sprachliche Ausdrücke, die der Quantifizierung dienen (beschränkt auf Nominal-Quantoren).
ein Boot (zählbare N) drei Boote viele Boote alle Boote wenig Geld (nicht-zählbare N) alles Geld
Semantische und syntaktische Eigenschaften von Q sind nicht deckungsgleich. Weder die Position noch die Kategorie der Q korreliert mit bestimmten semantischen Merkmalen.
alle diese meine fünfhundert (linguistischen) Bücher
Da die Q untereinander, mit D und mit allen Komplement-Typen kombiniert werden können, werden sie wie D als Konstituenten von N' angesetzt.
Adjektivphrasen können unterschiedlich paraphrasiert werden.
(... folgten) einer chinesischen Einladung ==> einer Einladung der Chinesen (... dass) der alte Adam (hinterm Haus ...) ==> der Adam, der alt war die fleissigen Chinesen ==> die Chinesen, die bekanntlich fleissig sind ==> diejenigen Chinesen, die fleissig sind
Wie bei D und Q spricht die Nichtverbindbarkeit mit NP-Proformen dafür, alle APs als Konstituenten von N' anzusehen.
* Ein alter jemand (wollte dich sprechen) * Der baufällige er (stürzte ein).
Eine AP kann eine komplexe innere Struktur besitzen:
AP --> Adv A ein ziemlich grosses Haus AP --> A(unflektiert) A ein speziell trainierter Trupp AP --> A(flektiert) A eine vorläufige wissenschaftliche Benennung AP --> NP(akk) A die rund 33000 Einwohner zählende Stadt AP --> PP A der von Homberger protegierte Kommandant
Zur internen Struktur in einer AP:
Valenz-Komplemente sind häufig. Sie ergeben sich bei adjektivierten Verben (Partizipien), kommen aber auch bei reinen Adjektiven vor:
die des Krieges müden Soldaten die allen angenehme Botschaft das an Erzen reiche Gebirge
Restriktive Komplemente sind schwierig zu finden.
ein eigens für diesen Wettbewerb angereister Sachverständiger
[Vater 85] rechnet auch Lokal-, Temporal- und Kausalangaben (wie auch die analogen Adverbien) zu den restriktiven Komplementen
das im Schuppen/dort gestapelte Holz das im Winter/winters/lange schwer zugängliche Dorf
Davon zu unterscheiden sind Gradadverbien, die besonders eng zum Kern-A gehören:
die allen Kollegen sehr/äusserst willkommene Ersparnis * die sehr/äusserst allen Kollegen willkommene Ersparnis
Für jede NP kann Genus, Numerus und Kasus bestimmt werden (nicht immer eindeutig).
NPs ohne Kern-N werden als elliptische NPs bezeichnet.
(Unser Hund ist ruhig,) der des Nachbarn (bellt dauernd.) Der mit der grossen Klappe (war auf einmal ganz still.)
Das Fehlen von D oder AP gilt nicht (automatisch) als elliptisch. D fehlt z.B. bei pluralischer Verwendung oder bei generischen NPs.
Er zeichnet gern Häuser. Gib mir Wein/Obst.
Probleme:
Welche Partei wählen Sie? Die grüne/Grünen.
Probier mal diesen Wein. Der wird dich überzeugen.
Auf das Wesen der Substantivvalenz geht [Vater 85] nur wenig ein. Dazu findet sich bei [Eisenberg 89]:
Er erinnert sich des Geschenks. Er erinnert sich an das Geschenk. Die Erinnerung an das Geschenk ...
Er schreibt dem Mann. Er schreibt an den Mann. Das Schreiben an den Mann ... Er dankt dem Mann. * Der Dank an den Mann ...
Er besichtigt das Haus. Die Besichtigung des Hauses ... Die Verhaftung der fünf Polizisten ... Die Verhaftung von fünf Polizisten ... Er verlangt Wasser. Er verlangt nach Wasser. Das Verlangen nach Wasser ...
der Verkauf von Schulgebäuden durch die Stadt die Nörgelei von Petra
Er ist unsicher, ob Inge kommt. Die Unsicherheit, ob Inge kommt, ...