Formale Grammatiken und Syntaxanalyse

Glossar zur Vorlesung

Ambiguität

[lat. ambiguitas Doppelsinn ...] Eigenschaft von Ausdrücken natürlicher Sprache, denen mehrere Interpretationen zugeordnet werden können, bzw. die unter lexikalischem, semantischem, syntaktischem u.a. Aspekt in der linguistischen Beschreibung mehrfach zu spezifizieren sind. Damit unterscheidet sich Ambiguität von dem komplementären Begriff der Vagheit als Bezeichnung für pragmatische Mehrdeutigkeit, bzw. Unbestimmtheit, die nicht systematisch beschreibbar ist. Ambiguität ist auflösbar bzw. darstellbar (a) durch den kompetenten Sprecher, der mittels Paraphrasenbildung die einzelnen Lesarten verdeutlichen kann, (b) durch grammatische Analyse, z.B. im Rahmen generativer Syntaxmodelle, die jeder möglichen Interpretation mehrdeutiger Oberflächenstrukturen verschiedene zugrundeliegende Strukturen zuordnen, vgl. Disambiguierung. Je nachdem, ob Ambiguität auf der Verwendung spezieller Lexeme oder der syntaktischen Struktur von mehrgliedrigen Ausdrücken beruht, unterscheidet man (a) lexikalische Ambiguität (auch: Polysemie, Homonymie) ... und (b) syntaktische bzw. strukturelle Ambiguität (auch: Polysyntaktizität, konstruktionelle Homonymie) ... Die Darstellung und Auflösung von Ambiguität durch mehrfache Interpretation gilt als wichtiges Indiz bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit von Grammatiken ... (entnommen aus [Bussmann 83])

Complementizer

[engl. Ergänzer - Auch: Subordinator] Von P.S. Rosenbaum [1967] eingeführter Terminus zur Bezeichnung einer kleinen Menge grammatischer Elemente wie nebensatzeinleitende Konjunktionen (im Dt. z.B. daß, ob, um ... zu), die die spezifische Funktion von eingebetteten satzmäßigen Strukturen (= Komplemente) anzeigen, vgl. zu und daß in: Philip beschloß, nach Holland zu fahren (= Infinitivkonstruktion) bzw. Philip wünschte sich, daß Caroline ihn begleitet (= Objektsatz). (entnommen aus [Bussmann 83])

Distributionalismus

[Auch: Taxonomischer Strukturalismus, Bloomfieldschule, Deskriptive Linguistik]. Durch die Arbeiten von Harris, Bloch, Trager, Joos u.a. geprägte Richtung des amerikanischen Strukturalismus in den 40er und 50er Jahren, die die Bloomfield-Ära ablöst. als Standardwerk dieser Phase gilt Harr51. Ziel des D. ist eine alle subjektiven und semantischen Funktionen ausschliessende, experimentell überprüfbare, objektive Beschreibung der einzelsprachlichen, systemimmanenten beziehungen. Diese Beziehungen sind das Resultat der Distribution der einzelnen Elemente auf den verschiedenen, hierarchisch von unten nach oben abzuarbeitenden sprachlichen Ebenen (Phonologie, Morphologie, Syntax), d.h. die Gewinnung und Klassifizierung sprachlicher Elemente resultiert aus ihrem Vorkommen bzw. ihrer Verteilung im Satz. Mittels experimenteller Methoden, den sog. Entdeckungsprozeduren, lässt sich die Struktur jeder Einzelsprache beschreiben, wobei im wesentlichen zwei Analyseschritte anzusetzen sind: (a) Segmentierung des Materials durch Substitution, d.h. durch paradigmatische Austauschbarkeit von Elementen gleicher Funktion, (b) Klassifizierung der Elemente zu Phonem, Morphem usw. aufgrund ihrer Verteilung und Umgebung im Satz. ... (entnommen aus [Bussmann 83]).

Insel (engl. island)

In der Transformationsgrammatik Bezeichnung für syntaktische Strukturen, die den Bereich von Transformationsregeln einschränken: Solche I. sind (a) adnominale Sätze mit W-Elementen wie

Wen (hast du gesagt) traf Inge?

(b) Subjektsätze und (c) koordinierte Strukturen. Für sie gelten spezielle Beschränkungen bei Umstellungstransformationen. (entnommen aus [Bussmann 83])

Kontrolle

Instanz zur Regelung der Referenzbeziehungen der getilgten Subjektausdrücke bzw. des entsprechenden PRO-Elements in Infinitivkonstruktionen: in Komplementsätzen nach Verben wie versprechen wird die der Infinitivkonstruktion zugrundeliegende Proform vom Subjekt des Matrixsatzes kontrolliert, während in Sätzen mit Verben wie überreden das Subjekt des Infinitvkomplements referenzidentisch ist mit dem Objekt des Matrixsatzes, vgl.

Sie versprach ihm, nach London zu fliegen.
Sie überredete ihn, nach London zu fliegen.

(entnommen aus [Bussmann 83])

Nominalphrase

Syntaktische Kategorie, die im Satz entweder Subjekt- oder Objektfunktion ausfüllt, aber auch Teil von Präpositionalphrasen sein kann. NPs bestehen jeweils aus einem nominalen Kern, z.B. Nomen (Obst), Eigennamen (Philip), Pronomen (ich, jener, der, alle), oder aus einem Gliedsatz (... dass du nicht lesen kannst). Der nominale Kern kann in verschiedener Weise erweitert werden, u.a. durch Adjektive, Präpositionalattribute (die Lust am Untergang), Appositionen (Dieser Text, völlig unverständlich, ist unbrauchbar.), Relativsätze u.a. Unter semantischem Aspekt unterscheidet man zwischen definiten (durch bestimmte Artikel gekennzeichnete) NPs wie der Hund, jener Knochen und indefiniten (artikellos oder mit unbestimmtem Artikel gekennzeichnete) NP wie Hunde, einige Katzen, manche Mäuse. ... Bei den indefiniten NPs unterscheidet man zwischen generisch indefiniten NPs (z.B. Ein Walfisch ist ein Säugetier im Sinne von `jeder Walfisch'), spezifischen NPs (z.B. Philip hat einen Walfisch beobachtet) und nichtspezifischen NPs (z.B. Philip möchte gerne einmal einen Walfisch beobachten). ... (entnommen aus [Bussmann 83])


Autor: Martin Volk
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