GPSG (-Fortsetzung-)

Dozent: Martin Volk

Übersicht

GPSG steht für Generalized Phrase Structure Grammar. GPSG wurde zu Beginn der 80er Jahre entwickelt. Als Standardreferenz und umfassendste Darstellung gilt [Gazdar et al. 85]. Ich stütze mich für diese Vorlesung vor allem auf [Bennett 95].


Das Foot Feature Principle (FFP)

Neben dem HFP ist das FFP das zweite wichtige Prinzip zur Beschreibung des Transports von Merkmalen im Syntaxbaum. Das FFP besagt:

Jedes Foot-Feature, das an einem Tochterknoten auftritt, muss auch beim Mutterknoten auftreten (und umgekehrt).

Das FFP dient in erster Linie zur Behandlung von Relativpronomen und Interrogativ-Pronomen. Es wird nur auf instanziierte Foot-Merkmale angewendet, nicht auf vererbte. Merkmale, die durch eine ID-Regel eingeführt werden, heissen `vererbt'. Merkmale, die einer Kategorie hinzugefügt werden, heissen `instanziiert'.

the man who you saw
I wonder who did it.
Who did it?

Relativ- und Interrogativpronomen werden zur Kategorie N2 gezählt, da sie nicht von Attributen umgeben sein können. Die Lexikoneinträge mit R für Relativ- und Q für Interrogativpronomen (beides sog. Foot-Merkmale):

who:   {[+N], [-V], [Bar 2], [+Q]}
who:   {[+N], [-V], [Bar 2], [+R]}
what:  {[+N], [-V], [Bar 2], [+Q]}
which: {[+N], [-V], [Bar 2], [+Q]}
which: {[+N], [-V], [Bar 2], [+R]}
which: {[SpecN, [+Q]}
which: {[SpecN, [+R]}

Baum mit Int-Pronomen

In diesem Baum müssen S[+Q] und N2[+Q] im Merkmal Q übereinstimmen. Da N2 nicht der Head von S ist, kann das HFP zu diesem Zweck nicht angewendet werden. Deshalb kommt hier das FFP zum Zug. Die Unifikation von [+Q] auf den zweiten Tochterknoten, VP, wird durch folgende FCR verhindert:

FCR 22: V2  ==> ~[Q]

Für den Fall, dass which in Determinerfunktion auftritt, erhalten wir den folgenden Baum. Dabei muss [+Q] nicht nur auf N2 sondern auch weiter auf S instanziiert werden.

Baum mit Specifier

Das Control Agreement Principle (CAP)

Das CAP dient zur Beschreibung von Kongruenzbeziehungen. Insbesondere wird die Kongruenz in Numerus und Person zwischen finitem Verb und Subjekt über das CAP geregelt. Zu diesem Zweck wird zunächst ein kategoriewertiges Head-Merkmal AGR eingeführt. Dieses Merkmal steht beim Verb und trägt eine Kopie des Subjekts. Dadurch erreicht man, dass das Subjekt, der Controller, die Form des Verbs, des Targets, bestimmt.

Das CAP hat folgenden Wortlaut:

Die Kontroll-Merkmale bei einer Target-Kategorie müssen übereinstimmen mit den Merkmalen beim Controller.

Um das AGR-Merkmal auf Verben zu beschränken, nutzt man die folgende FCR:

[AGR]  ==> [-N, +V]

Wir hatten unter FSD festgestellt, dass Akkusativ als Vorbelegung für Nomina gilt. Im Gegensatz dazu wird bei Subjekten der Nominativ durch folgende FCR eingesetzt:

[Vform Fin, AGR N2]  ==> [AGR N2[Case Nom]]

Diese FCR besagt: Wenn eine Kategorie finit ist und das Merkmal AGR mit dem Wert N2 enthält, dann muss diese N2 im Nominativ stehen. Damit erhalten wir einen Baum wie in:

Baum mit Agreement

Expletive Subjekte

Im Englischen gibt es zwei Arten von semantisch leeren Subjekten: it und there. Diese treten nur in bestimmten Konstruktionen auf und müssen deshalb von normalen Subjekten unterschieden werden. Dazu dient das Merkmal NFORM mit:

FCR: [NFORM]  ==> [-V, +N]
FSD: [NFORM]  ==> [NFORM Norm]

Für das leere Subjekt it betrachten wir Sätze wie

It seems that the problem has been solved.

Für diesen Satz gibt es die folgende ID-Regel, bei der das Merkmal Agr für die richtige Form des Subjekts garantiert:

(21) VP[Agr N2[NFORM it]]  --> H[21], (P2[to]), S[Fin]       (seem)

Für das leere Subjekt there betrachten wir Sätze wie

There is a crowd in the square.
There is a man waiting outside.
* There are a man waiting outside.

Für diese Sätze gibt es die folgende ID-Regel, die die Übereinstimmung zwischen Verb und der folgenden N2 bzgl. Numerus regelt.

(22)  VP[Agr N2[NFORM there, Plu X]] --> H[22], N2[Plu X]   (be)

Es gibt Vorstösse, die N2 in einem Satz mit there-Subjekt auf indefinite N2s zu beschränken. Da es sich jedoch um ein eher semantisches Kriterium handelt, hat sich das nicht durchsetzen können.

?? There is the book on the table.

Reflexivpronomen

Reflexivpronomen im Englischen müssen mit ihrem Antezedent in Person, Numerus und Genus übereinstimmen.

John shaved himself/ *myself/ *herself.
They shaved themselves/ *ourselves/ *himself.

Für die Behandlung von Reflexivpronomen wird das kategoriewertige Foot-Merkmal RE eingeführt, dessen Wert mit dem Antezedent übereinstimmen muss. So ergeben sich z.B. folgende Lexikoneinträge:

N0[+Pro, RE[N2[Pers 1, -Plu]]]             myself
N0[+Pro, RE[N2[Pers 3, -Plu, Gen Male]]]   himself

Wir erhalten damit z.B. den folgenden Baum:

Baum mit Reflexivpronomen

Das FFP ist verantwortlich für den Transport des RE-Merkmals von der N2 zum P2. Es kann nicht weiter transportiert werden, da gilt, dass AGR und RE nicht gemeinsam auftreten dürfen:

FCR: ~[AGR & RE]

Durch diese FCR wird der Wirkungsbereich des RE-Merkmals beschränkt.

Metaregeln

Metaregeln bieten die Möglichkeit, neue ID-Regeln aus bereits vorhandenen ID-Regeln zu definieren. Genauer: sie sind eine Methode zur Gewinnung einer neuen Menge von ID-Regeln aus der Menge der bereits existierenden. Eine Metaregel sagt: Wenn eine ID-Regel mit dem Eingabemuster einer Metaregel übereinstimmt, so ergibt sich daraus eine neue ID-Regel, die dem Ausgabemuster entspricht. Die Form der Metaregeln:

A --> A1 ... An            Eingabemuster
  >==>
B --> B1 ... Bm            Ausgabemuster

Merkmale, die im Eingabemuster nicht aufgeführt sind, werden bei der Regelanwendung unbesehen in die neue, entstehende ID-Regel übernommen.

Metaregeln sind nützlich, um generalisierende Aussagen über grosse Mengen von Regeln zu machen. Sie übernehmen einige der Aufgaben, die Transformationen in TG leisteten.

Subjekt-Hilfsverb Inversion

Ein Anwendungsbereich für Metaregeln ist die Umstellung (Inversion) von Subjekt und Hilfsverb in englischen Entscheidungsfragen:

Has John left?
Has John been writing a letter?
Is Fred waiting?
Can you speak Spanish?

Für Entscheidungsfragen wird eine Satzstruktur folgenden Typs angenommen:

Baum mit Inversion

Die interne Struktur der VP ist wie im entsprechenden Deklarativsatz. Dadurch, dass Subjekt und finites Hilfsverb Schwesterknoten sind, kann die Subjekt-Verb Kongruenz mit dem üblichen Mechanismus behandelt werden. Für die Deklarativsätze hatten wir kennengelernt: (Vorlesung 4: Hilfsverbkonstruktionen)

V2[+Aux] --> H[n], V2[Vform Bse]   (can, may, should)
V2[+Aux] --> H[n], V2[Vform Psp]   (have)
V2[+Aux] --> H[n], V2[Vform Prp]   (be)

Für die Fragesätze benötigen wir nun:

S[+Aux] --> H[n], N2, V2[Vform Bse]   (can, may, should)
S[+Aux] --> H[n], N2, V2[Vform Psp]   (have)
S[+Aux] --> H[n], N2, V2[Vform Prp]   (be)

Die folgende Metaregel 'erzeugt' aus den Regeln für die Deklarativsätze systematisch die neuen Regeln für die Fragesätze: (W ist dabei eine Metavariable über Kategorienmengen.)

V2[-Subj]  --> W
  >==>
V2[+Subj, +Inv]  --> W, N2

Zur Kennzeichnung der Inversion wird das Merkmal Inv eingeführt, das sich aufgrund einer FCR nur auf Hilfsverben beziehen kann und die Inversion von Vollverben verhindert.

FCR: [+Inv]  ==> [+Aux, Vform Fin]

* Wrote John a letter?

Ausserdem gibt es im Englischen Fragesätze, die mit einer Form von do gebildet werden, wenn kein anderes Hilfs- oder Modalverb vorliegt. Gleichzeitig gibt es Deklarativsätze, die eine Form von do in emphatischer Bedeutung enthalten.

John did write a letter.
Did John write a letter?
* John did has written a letter.
* Did John has written a letter?

do kann also nicht in Verbindung mit anderen Hilfs- oder Modalverben auftreten. Es ist ein Hilfsverb, das eine eigene ID-Regel erfordert:

(47) VP[+Aux]  --> H[46], VP[-Aux, Vform Bse]   (do)

Diese ID-Regel ermöglicht Deklarativsätze mit emphatischem do. Sie passt aber auch zum Eingabemuster der Inversions-Metaregel, die daraus (47') erzeugt, was die entsprechenden Fragesätze erlaubt.

(47') S[+Inv, +Aux]  --> H[46], N2, VP[-Aux, Vform Bse]

Passiv

Das klassische Anwendungsbeispiel für Transformationen wie auch für Metaregeln ist die systematische Beziehung zwischen Aktiv- und Passivsätzen.

John bought the vegetables.
The vegetables were bought by John.

Diese Beziehung wird in GPSG durch die sog. Passiv-Metaregel beschrieben:

VP  --> W, N2
  >==>
VP[Vform Pas]  --> W, (P2[Pform by])

So wird also z.B. ID-Regel (6) überführt in (6'), was die Struktur im folgenden Beispielbaum ermöglicht:

(6)  VP  --> H[6], N2, P2[+Loc]                            (put)
(6') VP[Vform Pas] --> H[6], P2[+Loc], (P2[Pform by])      (put)

Baum mit Passiv

Extraposition

Bei einigen Verben kann die Subjektposition von einer Satz-wertigen Konstituente eingenommen werden.

[That you say this] bothers me.
[To make such a suggestion] strikes me as dangerous.
[That you go first] appeals to me.

Da diese Besetzung des Subjekts nicht bei allen Verben möglich ist, muss in der Grammatik vermerkt werden, wo ein Satz-wertiges Subjekt auftreten kann. Dies wird über das Merkmal Agr gemacht.

VP[Agr S]  --> H[20], N2                  (bother)
VP[Agr S]  --> H[n], N2, P2[Pform as]     (strike)
VP[Agr S]  --> H[n], N2, P2[Pform to]     (appeal)

Wird das satzwertige Subjekt hinter das Verb verschoben und an seiner ursprünglichen Position durch it vertreten, so spricht man von Extraposition:

It bothers me [that you say this].
It strikes me as dangerous [to make such a suggestion].
It appeals to me [that you go first].

Für diese extraponierten Subjekte braucht man die folgenden Regeln:

VP[Agr N2[it]]  --> H[20], N2, S                (bother)
VP[Agr N2[it]]  --> H[n], N2, P2[Pform as], S   (strike)
VP[Agr N2[it]]  --> H[n], N2, P2[Pform to], S   (appeal)

Diese Regeln kann man mit Hilfe der Extraposition-Metaregel systematisch herleiten:

[AGR S]  --> W
  >==>
[AGR N2[Nform it]]  --> W, S

Bennett vermerkt, dass laut [Gazdar et al.] die folgende FCR garantiert, dass die Extraposition-Metaregel nur auf verbale Konstituenten angewendet wird.

FCR: [AGR] ==> [-N, +V]       (Problematisch !!)

Gleichzeitig geben [Gazdar et al.] aber auch die folgende ID-Regel an, die aufgrund obiger FCR niemals angewendet werden könnte.

(25) A1[AGR S] --> H[25], P2[to]      (apparent)

Das [AGR S] ist aber nötig, da auch bei diesen Adjektiven eine Extraposition des Satz-wertigen Subjekts möglich ist. Deshalb schlägt Bennett eine Revision der FCR vor:

FCR: [AGR] ==> [+V]

Die Mächtigkeit von Metaregeln

Wenn die Anwendung von Metaregeln nicht eingeschränkt wird, können sie zu einer unendlichen Menge von ID-Regeln führen. Deshalb wird gefordert, dass eine Metaregel nicht auf eine ID-Regel angewendet werden kann, an deren Entstehung sie beteiligt war.

 

 

Unbegrenzte Abhängigkeiten

Mit unbegrenzten Abhängigkeiten beschreibt man Bewegungen einer Konstituente im Satz aus potentiell mehrfach geschachtelten Strukturen heraus. Typischerweise handelt es sich bei den sog. Wh-Konstruktionen (Fragen und Relativsätze) um unbegrenzte Abhängigkeiten. Wegen dieser Unbeschränktheit können diese Phänomene nicht durch Metaregeln beschrieben werden.

Unter dem FFP hatten wir für das Fragepronomen who folgenden Lexikoneintrag vorgestellt.

who:   {[+N], [-V], [Bar 2], [+Q]}

Es handelt sich jedoch bei genauerer Betrachtung um den folgenden erweiterten Lexikoneintrag: (mit dem kategoriewertigen Foot-Merkmal WH).

who:   {[+N], [-V], [Bar 2], [WH N2[WhMor Q]]}

Wir wollen jetzt ID-Regeln für folgende Sätze finden:

Who did you give the book to?
Which team did they beat?
the man who I talked to

Anders als die Beispiele unter FFP können diese Beispiele nicht direkt als N2 + VP interpretiert werden, da das Pronomen nicht an der erwarteten Stelle auftritt. Die erwartete Stelle ist leer und wird als Gap bezeichnet. Aus historischen Gründen wird eine solche Lücke mit dem kategoriewertigen Merkmal Slash beschrieben. Eine Kategorie VP[Slash N2] ist also eine VP, in der ein N2 fehlt bzw. aus der ein N2 herausbewegt wurde.

S  --> N2, H[Slash N2]

Mit dieser Regel beschreibt man einen Satz S, dem eine N2 fehlt. Slash ist sowohl Head-Merkmal als auch Foot-Merkmal und unterliegt damit dem HFP und dem FFP. Slash wird beschränkt durch folgende Bedingungen:

FCR: [Subcat]  ==> ~[Slash]
FSD: ~[Null]
FCR: [+Null]  ==> [Slash]

Null tritt bei einer ID-Regel dann auf, wenn die Konstituente für eine Lücke steht. Wir erhalten damit z.B.:

Baum mit Epsilon

Eine Lücke kann bei allen Kategorien auftauchen, die mind. ein Komplement fordern. Das Merkmal Null wird deshalb systematisch über eine Metaregel bei allen diesen ID-Regeln hinzugefügt. (Slash Termination Metarule 1)

X  --> W, [Bar 2]
   >==>
X  --> W, [Bar 2, +Null]

D.h. für jede Regel, die eine Kategorie [Bar 2] enthält, wird eine neue Regel hinzugefügt, bei der diese Kategorie nicht realisiert ist, was durch das Merkmal +Null markiert wird. Somit erhalten wir z.B. aus ID-Regel (2) die folgende ID-Regel:

(2') VP  --> H[2], N2[+Null]

Baum mit Slash-Merkmal


Zusammenfassung

In GPSG dient

In GPSG werden unbeschränkte Abhängigkeiten mit Hilfe des Merkmals Slash beschrieben, das anzeigt, wo eine Konstituente fehlt.


Martin Volk <volk@ifi.unizh.ch>
Date of last modification:
URL dieser Seite: http://www.ifi.unizh.ch