Hebung und Kontrolle (Raising and Control)

Dozent: Gerold Schneider

Übersicht

Hebung (Raising)

Grundlagen

Unter Hebung versteht man ganz allgemein, dass das Subjekt eines untergeordneten Satzes [S-2] in den übergeordneten Satz [S-1] hochgehoben wird.

[S-1 John seems [S-2 to walk]].
[S-1 John scheint [S-2 zu gehen]].

Das Verb des untergeordneten Satzes ( e.g. to walk) bestimmt den Charakter des Subjekts (e.g. John) und nicht das Verb des übergeordneten Satzes (z.B. seem).

John seems [to eat].
?The bottle seems [to eat].
 
John seems [to eat].
*John seems [to rain].
It seems [to rain].

Deshalb gibt es (häufig) auch äquivalente Sätze zu Hebungssätzen, in denen das Subjekt im untergeordneten Satz verbleibt.

It seems [that John walks].
Es scheint, [daß John geht].

In transformationsbasierten Ansätzen hinterlässt das gehobene Subjekt bei der Bewegung ein Trace (t1) im untergeordneten Satz, in PSG-orientierten Ansätzen wird das Subjekt durch Koreferenz ([1]) zwischen dem übergeordneten und dem untergeordneten Satz geteilt.

TG/GB:  [John1 scheint [t1 zu gehen]].
(H)PSG: [John[1] [scheint [[1] zu gehen]].

Beide Methoden sind nicht nur auf den ersten Blick eng verwandt. Sowohl Bewegung mit Traces (GB) als auch Koreferenz (HPSG) stellt die Kommunikation zwischen einer nicht-kanonischen Konstituente und deren kanonischen Position her und erlaubt es, die nichtkanonische und die kanonische Position mit denselben Syntaxregeln zu erklären. In Borsley's Terminologie stellt es einen Mechanismus dar, der eine Konstituente für eine andere "sensitiv" macht.

In anderen Worten: Im obigen Satz besteht zwischen John und zu gehen eine unbeschränkte Unabhängigkeit, d.h. eine nicht-lokale Bedingung über Bäume, d.h. mehr als nur eine Syntaxregel ist involviert, d.h. John und zu gehen sind nicht Schwestern. Sowohl GB Bewegung als auch HPSG Koreferenz macht aus John und zu gehen Schwestern, so dass sie lokal unter eine Regel fallen (schematisch):

S[untergeordnet]--> NP VP[infinit]
 
       S[untergeordnet]
     
     NP            VP[infinit]
     |                 ^
HPSG [1]              / \
  oder               -----
GB   t1             zu gehen

Die ganze vereinfachte Satzstruktur (gültig für GB, HPSG und LFG Revision folgt):

              S
     
    NP                  VP
    |          
HPSG John[1]    V         S[untergeordnet]          
  oder          |        
GB   John1    scheint    NP            VP[infinit]
                         |                 ^
                    HPSG [1]              / \
                      oder               -----
                    GB   t1             zu gehen             

Das Verb scheinen oder seem benötigt ein Satzkomplement:

*John seems.
*John scheint.

Das Satzkomplement wird deshalb in die Subkategorisierungsliste aufgenommen. Man spricht von Verbkomplementierung.

Hebung in HPSG und LFG

HPSG verwendet für Komplementierungsforderungen die übliche Komplement-Subkategorisierungsliste COMPS. Der partielle Lexikoneintrag ist provisorisch:

       -                            -
       |verb                        |
       |HEAD verb[aux]              |
       |       -                  - |
       |       |     -           -| |
       |       |HEAD |verb       || |
<seem, |COMPS <|     |+INFINITE  ||>|>
       |       |     -           -| |
       |       -                  - |
       -                            -

Da HPSG und LFG keine leeren Elemente kennen, wird direkt die VP subkategorisiert, so dass die Struktur etwas anders als in GB wird (provisorisch):

              S
     
    NP                  VP
    |           
HPSG John[1]    V              VP[+INFINITE]         
  oder          |                    ^
GB   John1    scheint               / \
                                   -----
                                  zu gehen

Die Information, dass das Subjekt des untergeordneten VP das Subjekt des übergeordneten Satzes ist, ist in dieser Darstellung verloren gegangen! Sie muss wieder eingeführt werden, auch wenn das Subjekt nicht als leeres Element in der Syntaxstruktur wiederholt wird. Nur gewisse Verben können Hebungen einführen:

*John trinkt [zu gehen].

Deshalb gehört diese Information ins Lexikon. Bei Verben, die Hebungen einführen können, soll das Subjekt des übergeordneten Satz gleich dem Subjekt des untergeorndeten VP sein, was die Koreferenz [1] im revidierten partiellen Lexikoneintrag ausdrückt (Farben als Hilfestellung verwendet)

       -                            -
       |verb                        |
       |HEAD verb[aux]              |
       |       -                  - |
       |       |     -           -| |
       |       |HEAD |verb       || |
<seem, |COMPS <|     |+INFINITE  ||>|>
       |       |     -           -| |
       |       ]SPR<[1]>          | |
       |       -                  - |
       |SPR<[1]>                    |
       -                            -

Bemerkung zu Borsleys Notation:

Borsley verwendet eine in gewissen Details eine vom HPSG-Standard abweichende, aber äquivalente (<==>) Notation:

Als substantieller Unterschied gibt es aber zu beachten, dass Borsley das Subjekt nicht in die Subkategorisierungsliste aufnimmt, sondern in einem Merkmal SUBJ behandelt. Diese unübliche Methode stammt noch aus GPSG und wird in [Borsley 91/97: 157-58] eingeführt.

Borsley stellt also den Lexikoneintrag für seems äquivalent dar als:

       - V                          -
       |        - VP              - |
<seem ,|SUBCAT <| +INF            |>|>
       |        | SUBJ, Y         | |
       |        -                 - |
       |SUBJ, Y                     |
       -                            -

Hebung wird in LFG nur unwesentlich anders als in HPSG behandelt. Der Lexikoneintragfür seem in LFG kann gar als äquivalent zum HPSG Eintrag angesehen werden:

seem   V  (^PRED) = 'seem <(^XCOMP)>(^SUBJ)'
          (^XCOMP SUBJ) = (^SUBJ)

Die notationellen Unterschiede bestehen darin, dass

Der LFG Lexikoneintrag führt zu folgender f-Struktur, leicht modifiziert durch Einführung der Variable Y um im Prolog-Styl die Koreferenz darzustellen (üblicherweise verwendet man in LFG einen graphischen Bogen):

- V                           -
|PRED seem <(^XCOMP)>(^SUBJ)' |
|      -                     -|
|XCOMP | SUBJ Y              ||
|      -                     -|
|SUBJ Y                       |
-                             -

Passivverbformen als Beispiel analytischer Verbformen

Die analytichen (zusammengesetzten) Passivverbformen aus der letzten Vorlesung verwenden genau diesen Hebungsmechanismus ( [Borsley 91/97: 264], um das Subjekt des Passivsatzes, das vom Partizip gefordert wird, zum Subjekt des Hilfsverbs zu machen.

TG/GB:  [John1 wurde [t1 gesehen]].
(H)PSG: [John[1] wurde [[1] gesehen]].

Im deutschen ist auch die für den untergeordneten Satz kanonische, ungehobene Subjektsposition grammatikalisch:

[Es wurde [John gesehen]].

Hilfsverben

Ganz allgemein werden in HPSG und LFG sämtliche Hilfsverb-Partizip Konstruktionen als Hebungen behandelt.

TG/GB:  [John1 hat [t1 gelesen]].
(H)PSG: [John[1] hat [[1] gelesen]].

Im deutschen ist auch die für den untergeordneten Satz kanonische, ungehobene Subjektsposition grammatikalisch:

Es hat [John gelesen]].

HPSG verwendet Argumentskomposition, um die Subjektsforderungen (in unserer Version der HPSG auf der SPR-Subkategorisierungsliste) und die Komplementsforderungen zwischen dem Hilfsverb und dem Partizip zu teilen.

Im Einzelnen:

             -                            -
             |verb                        |
             |HEAD verb[aux]              |
             |       -                  - |
             |       |     -           -| |
             |       |HEAD |verb       || |
      <seem, |COMPS <|     |+INFINITE  ||>|>
             |       |     -           -| |
             |       |SPR<[1]>          | |
             |       -                  - |
             |SPR<[1]>                    |
             -                            -
      modifiziert für das Hilfsverb to have (provisorisch):
             -                            -
             |verb                        |
             |HEAD verb[aux]              |
             |       -                  - |
             |       |     -           -| |
      <have, |COMPS <|HEAD |verb[part] ||>|>
             |       |     -           -| |
             |       |SPR<[1]>          | |
             |       -                  - |
             |SPR<[1]>                    |
             -                            -
     (1) Provisorischer Versuch
             -                            -
             |verb                        |
             |HEAD verb[aux]              |
             |       -                  - |
             |       |     -           -| |
      <have, |COMPS <|HEAD |verb[part] ||>|>
             |       |     -           -| |
             |       |SPR<[1]>          | |
             |       |COMPS<[2]>        | |
             |       -                  - |
             |SPR<[1]>                    |
             |COMPS<[2]>                  |
             -                            -
        ACHTUNG: 2 COMPS-Listen, die unmöglich unifiziert werden können!
                 Einerseits subkategorisiert das Hilfsverb
                 für das Partizip ( COMPS <[HEAD [verb[part]]]> ),
                 andererseits übernimmt es die COMPS-Liste dieses 
                 Partizips ( COMPS<[2]> ). 
        DESHALB: Der Inhalt der übernommenen COMPS-Liste wird an die schon 
                 vorhandene angehängt:
     (2) Lösung
             -                                -
             |verb                            |
             |HEAD verb[aux]                  |
             |       -                  -     |
             |       |     -           -|     |
      <have, |COMPS <|HEAD |verb[part] ||>&[2]|>
             |       |     -           -|     |
             |       |SPR<[1]>          |     |
             |       |COMPS<[2]>        |     |
             |       -                  -     |
             |SPR<[1]>                        |
             -                                -

In LFG wird Argumentskomposition i.a. nicht verwendet. Das Hilfsverb subkategorisiert nur für das Partizip; Subjekt, Objekt etc. wird falls nötig durch eine funktionale Annotation wie

(^XCOMP SUBJ) = (^SUBJ)

in der PSG-Regel oder im Lexikon des Hebungsverbes ausgedrückt.

Modalverben

Auch Modalverben lassen sich als Hebungsverben analysieren.

Hebungsverben

Die Verben, die klassischerweise eine Hebung einführen, bezeichnet man als Hebungsverben, also versuchen, scheinen, etc.

Hebungsadjektive

Es gibt auch noch Hebungsadjektive:

John1 is likely [t1 to go].

Kontrolle (Control)

Kontrollsätze sind mit Hebungssätzen eng verwandt. Es gibt einige kleine Unterschiede:

John_1 promises Mary_2 [t_1 to go].
John_1 persuades Mary_2 [t_2 to go].

Die dazugwehörigen LFG-Lexikoneinträge:

promise    V  (^PRED) = 'promise <(^XCOMP)(^SUBJ)>'
              (^XCOMP SUBJ) = (^SUBJ)
 
persuade   V  (^PRED) = 'persuade <(^XCOMP)(^SUBJ)>'
              (^XCOMP SUBJ) = (^OBJ)

Promise ist ein sog. Subjektskontrollverb, persuade ein Objektskontrollverb.

    


Gerold Schneider <gschneid@ifi.unizh.ch>
Date of last modification: January 13, 2000
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