Aktiv und Passiv

Dozent: Gerold Schneider

Diese Vorlesung baut, ausser dem Teil über LFG, ganz auf [Borsley 91/97] Kapitel 9 auf.

Übersicht

Die Daten

Passivsätze erkennt man daran, dass

Mary saw the syntax book ==>
  The syntax book was seen (by Mary)
 
Mary gave the book to Peter ==>
  The book was given to Peter (by Mary)
 
Mary gave the book to Peter ==>
  Peter was given the book (by Mary)

Nichtkanonische Komplemente und Subjekte

[Borsley 91/97] Kapitel 7 verwendet den Begriff nichtkanonische (markierte) Komplemente oder Subjekte. Darunter ist zu verstehen:

Passivkonstruktionen können als Fall von nichtkanonischem Komplement angesehen werden, da das Komplement des Aktivverbes beim entsprechenden Passivsatz in der Subjektsposition und im Subjektsfall steht. TG und GB verfolgen typischerweise diesen Ansatz.

[SUBJ Mary] saw [KOMPL the syntax book] ==>
  [KOMPL The syntax book] was seen (by Mary)

HPSG und LFG hingegen gehen davon aus, dass das Komplement des Aktivsatzes zum Subjekt des verwandten Passivsatzes wird, also ein funktionaler Wandel stattfindet. Das (kanonische) Komplement des Aktivsatzes wird dabei zum kanonischen Subjekt des Passivsatzes, und eine Komplementsvalenz des Aktivverbes wird dadurch getilgt.

[SUBJ Mary] saw [OBJ the syntax book] ==>
  [SUBJ The syntax book] was seen [OBJ Ø](by Mary)

Passivksätze kommen häufig als Hebungskonstruktionen (raising) vor. In ihnen, z.B.

Peter1 is considered [t1 to read the book]

ist (in TG,GB, HPSG) Peter nicht nur das nichtkanonische Komplement des übergeordneten Satzes, sondern auch (in allen Theorien, wie in Hebungssätzen üblich) das nichtkanonische Subjekt des untergeordneten Satzes.

Morphologische Realisierung des Passivverbes

Im deutschen und englischen (aber nur teilweise in Latein oder in skandinavischen Sprachen) ist das Passivverb eine zusammengesetzte (analytische) Verbform, bestehend aus einem Hilfsverb und einem Partizip. Wie andere analytische Tempus- und Modusformen muss das Zusammenwirken zwischen Hilfsverb und Partizip geregelt werden. Z.B. stammen die Valenzforderungen (Subkategorisierung) vom Partizip, müssen aber auch für das Hilfsverb gelten.

Man unterscheidet zwischen dem Zustandspassiv und dem Vorgangspassiv. Das Zustandspassiv wird im deutschen durch das Hilfsverb sein und im englischen durch das Hilfsverb to be realisiert, das Vorgangspassiv im deutschen durch werden und im englischen durch to get. Im Deutschen ist das Vorgangspassiv (werden) die unmarkierte, im englischen das Zusatndspassiv (to be). Einige weitere Hilfsverben wie to become oder kriegen können auch verwendet werden.

Der TG-Zugang

In der TG überführen Transformationen die kanonische in die nichtkanonische Form. Transformationen sind Strukturbeschreibungen über ganze Bäume:

Passiv-Transformation (Englisch)
 
Konstituente im Baum:  NP1    -    be    -    V    -    NP2
Ursprungsreihenfolge:  1           2          3         4    ===>
Zielreihenfolge:       4           2          3         Ø
Anwendungsbedingung: obligatorisch
 
Passiv-Transformation (Deutsch, V-Letztstellung in D-Struktur)
 
Konstituente im Baum:  NP1    -    NP2   -    V    -    werd-
Ursprungsreihenfolge:  1           2          3         4    ===>
Zielreihenfolge:       2           Ø          3         4
Anwendungsbedingung: obligatorisch

Diese Transformation ist obligatorisch, so dass der Satz

It was given a book

obligatorisch zu

A book was given 

transformiert wird. Diese Annahme macht leider falsche Aussagen übers deutsche, wo der Satz

Es wurde ein Buch gegeben

grammatisch ist.

Die deutsche Passivtransformation muss vor der Transformation in einen Satz mit Verbzweitstellung (Hauptstz) erfolgen. Das kompexe Zusammenspiel einer Unzehl an Transformationen macht TG schwer handhabbar.

Der GB-Zugang

Während in TG Transformationen explizit lizensiert werden müssen, wird in GB jede Bewegung erlaubt, die nicht gegen eine Beschränkung verstösst (move-alpha)

Der Kasus-Filter

Der Kasus-Filter ist eine derartige Beschränkung. Er sagt aus, dass jeder nicht-trace NP einen Kasus haben muss.

GB Principle (Case-Filter): 
Every phonetically realised NP must be assigned (abstract) Case.

In GB subkategorisieren Verben für Komplemente, deren Kasus werden schon in der D-Struktur zugewiesen (inherenter Kasus, wird bei der Bewegung mitgenommen). GB subkategorisiert aber nicht für das Subjekt, welches erst in der S-Stellung den Kasus erhält (struktureller Kasus, zugewiesen von INFL).

Nur eine Konstituente, die einen kompatiblen oder keinen Kasus hat, kann in eine Position mit struktureller Kasuszuweisung bewegt werden.

Damit sich Komplemente, die in Aktivsätzen inherenten Kasus haben und sich nicht in die Subjektsposition (IP-Specifier) bewegen können, sich in Passivsätzen in die Subjektsposition bewegen können, fordert GB, dass das Passivverb - anders als das entsprechende Aktivverb - keinen inherenten Kasus zuweist.

[CP-SPEC DUMMY-it/there] was given a book -->
  [CP-SPEC A book1] was given t1

Wie üblich in einer Transformation kann das DUMMY-Subjekt ersatzlos wegfallen:

[CP-SPEC There] were people laughing -->
  [CP-SPEC People1] were t1 laughing

Leider macht [Borsley 91/97] keine Aussage über die Verwandtschaft der Passivverben zu Aktivverben in GB. Diese Verwandtschaft wird in der Morphologiekomponente behandelt. Passivverbeinträge haben beispielsweise ein Merkmal [+PAS], welches die Zuweisung eines inherenten Kasus unterbindet. Das Hilfsverb wird aus der V0-Position zu I0 bewegt, wie üblich bei analytischen Verbformen. Die Passivverbeinträge können asutomatisch aus den Aktivverbeinträgen abgeleitet werden, beispielsweise durch eine lexikalische Regel, wie in HPSG oder LFG.

Der HPSG-Zugang

In HPSG und LFG geht man davon aus, dass ein Komplement des entsprechenden Aktivsatzes wirklich zum Subjekt des Passivsatzes wird. In Passivsätzen hat das Verb somit genauso feste Kontrolle über das Subjekt wie in Aktivsätzen über die Komplemente - dies ist ein Argument für die HPSG Ansicht, dass anders als in GB auch Subjekte vom Verb subkategorisiert werden.

Somit wird das Komplement eines Aktivsatzes zu einem ganz kanonischen Subjekt des entsprechenden Passivsatzes.

Lexikalische Regeln

Der Zusammenhang zwischen Aktiv- und Passivverben wird in der Morphologiekomponente ausgedrückt. Aufgrund von sog. lexikalischen Regeln wird aus einem Verbeintrag ein anderer Verbeintrag formuliert, womit eine vollformenlexikon aufgebaut wird. Die lexikalische Regel, die die englische Verbform der dritten Person singular erzeugt, kann für das Verb walk so dargestellt werden (in dieser Version der HPSG steht das Subjekt in der Specifier-Liste SPR, siehe HPSG-Einführung I und II):

       -                                    -
       |verb                                |
       |HEAD verb                           |
       |     -                            - |
       |     |     -                     -| |
       |     |HEAD |noun                 || |
<walk, |SPR <|     |AGR [NUM X,  PER Y  ]||>|>
       |     |     -                     -| |
       |     -                            - |
       -                                    -   ===>
 
       -                                    -
       |verb                                |
       |HEAD verb                           |
       |     -                            - |
       |     |     -                     -| |
       |     |HEAD |noun                 || |
<walks,|SPR <|     |AGR [NUM sg, PER 3rd]||>|>
       |     |     -                     -| |
       |     -                            - |
       -                                    -

Die Abarbeitung lexikalischer Regeln kann sowohl offline (vor dem Parsing) als auch online (während des Parsing) erfolgen. Eine offline-Abarbeitung bedeutet, dass der Parser schon von Anfang an mit einem Vollformenlexikon arbeitet und keine Morphologie mehr durchführt. Dem Geschwindigkeitsvorteil steht ein exponentiell gewachsenes Lexikon gegenüber. Gewisse derivationale Morphologieprozesse wie Nominalkomposition lassen sich für umfassende Grammatiken fast nur online durchführen.

Genauso wie für die obige Verbform kann eine lexikalische Regel Verbeinträge für Pasivverben aus den Aktivverbeinträgen ableiten. Das Passivpartizip loved wird durch folgende Regel aus dem Aktivverb to love gebildet (wiederum steht das Subjekt in der Specifier-Liste SPR):

       -                       -
       |verb                   |
       |HEAD verb              |
<love, |COMPS  <[First|Rest]>  |>
       |SPR    <[X]>           |
       -                       -   ===>
 
       -                       -
       |verb                   |
       |+PAS                   |
       |HEAD verb[part]        |
<loved,|COMPS  <[Rest]>        |>
       |SPR    <[First]>       |
       -                       -

Als Übung kann man sich überlegen:

Argumentskomposition

GB behandelt das Subjekt des Passivsatzes als nichtkanonisches, in die IP-Specifier-Position bewegtes Komplement. Zwischen dem Verb und diesem nichtkanonischen Komplement besteht eine unbeschränkte (long-distance) Abhängigkeit. In HPSG ist das Passivsubjekt kanonisch. Da aber im deutschen und englischen das Passiv durch eine analytische (zusammengestzte) Verbform ausgedrückt wird, ist das Subjekt nicht eine Schwester des Hauptverbes (das Passiv-Partizip), sondern des Hilfsverbes. Das Hauptverb muss also "sensitiv" ([Borsley 91/97], 176-78) sein für eine weiter entfernte Konstituente, die Schwester des Hilfsverbes ist. Die Subkategorisierungsforderungen, insbesondere die für das Subjekt in der SPR-Liste, müssen ans Hilfsverb mitgeteilt werden.

Wir haben in der HPSG-Einführung II gesehen, dass für die Behandlung analytischer Verbformen die sog. Argumentskomposition verwendet wird. Argumentskomposition erlaubt, die auf der Syntaxebene auseinandergerissene verbale Einheit in der Semantikebene wieder zusammenzuführen.

Die Komplementsforderung des Hilfsverbes, nämlich ein Partzip, und die Komplementsforderungen dieses gefundenen Partizips werden miteinender verbunden (konkateniert). Somit sind die Komplementsforderungen ans Hilfsverb übergeben worden, aber wie steht es mit dem Subjekt, der SPR-Forderung?

Da ein Verb nur ein Subjekt haben kann, erübrigt sich eine Konkatenierung von SPR-Listen, denn diese Liste darf in der Regel nur ein Element enthalten. Es muss nur lediglich die die SPR-Liste des Partizips an die SPR-Liste des Hilfsverbes übergeben (oder damit unifiziert) werden, was durch die Koindexierung [1] bewerkstelligt wird.

Der LFG-Zugang

Der LFG-Zugang unterscheidet sich nur unwesentlich vom HPSG-Zugang.

Lexikalische Regeln

Functional Change:      (SUBJ)  ->  Ø / (BY OBJ)
                        (OBJ)   ->  (SUBJ)
 
Morphological Change:   V       ->  V-PART
e.g. for regular verbs: V       ->  V+ed

Diese lexikalische Regel nimmt als Eingabe:

worship	V	(^PRED)	= 	'worship <(^SUBJ)(^OBJ)>'

und generiert folgende neue Lexikoneinträge:

worshipped	V	(^PRED)	= 	'worship <(^BY OBJ)(^SUBJ)>'
worshipped	V	(^PRED)	= 	'worship <(^SUBJ)>'
 
relevant PSG-rules:
(A)     S     ->     NP            VP
                  (^SUBJ)=v        ^=v
 
(B)     VP    ->     V            (NP)        (PP)
                    ^=v         (^OBJ)=v    (^PCASE)=BY
                                           (^BY OBJ)=v
(C)     VP    ->     V             VP
                    ^=v         (^VCOMP)=v
                            (^VCOMP SUBJ)=(^SUBJ)
 
(D)     PP    ->     P             NP
                    ^=v            ^=v
 
 

Übungsvorschläge:


Gerold Schneider <gschneid@ifi.unizh.ch>
Date of last modification: January 11, 2000
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