Rezension des Buches:

Naumann, Sven: Generalisierte Phrasenstrukturgrammatik: Parsingstrategien, Regelorganisation und Unifikation. (Linguistische Arbeiten 212) Tübingen: Niemeyer, 1988.

180 Seiten; kart. 70,- DM

Rezensent: Martin Volk, Universität Koblenz-Landau

Datum: 14. Oktober 1993

Für: LDV-Forum

Naumanns Buch ist eine der wenigen deutschsprachigen Abhandlungen über GPSG und dennoch ist es kaum bekannt geworden und wird selbst in späteren verwandten Arbeiten nicht zitiert (Fisher 89, Weisweber & Preuß 92). Motivation genug fünf Jahre nach dem Erscheinen nachzufragen, wer dieses Buch lesen (oder auch gelesen haben) sollte.

Das Buch gliedert sich in drei Teile: eine Einführung in die GPSG, die Vorstellung des von Naumann entwickelten GPSG-Parsers und seine Implementation.

Die GPSG-Einführung behandelt systematisch alle Komponenten einer GPSG, die verschiedenen Regeltypen, die Instantiierungsprinzipien sowie die Merkmalprinzipien. Die Darstellung ist knapp und beschränkt sich teilweise so stark auf formale Definitionen, daß es schwer ist zu folgen. Aber wo sie ausführlicher ist, da ist sie auch kritisch (hinterfragt den Sinn der Vorschläge aus Gazdar et al. 1985 (bekannt als GKPS)), abwägend (zwischen verschiedenen GPSG Versionen) und einordnend (vergleicht GPSG mit TG). An einer Stelle überrascht Naumann damit, daß er zeigt, daß die ECPO-Eigenschaft von kontextfreien Grammatiken nicht die Voraussetzung dafür ist, daß solche Grammatiken in ID-LP Grammatiken umgewandelt werden können, wie dies in vielen anderen Publikationen behauptet wird (z.B. in GKPS 1986:49 oder in Evans 1987:38). Naumanns Argumentation basiert jedoch darauf, daß neue Konstituentennamen beliebig eingeführt werden können. Das belegt, daß er die GPSG-Implementation aus informatischer und weniger aus linguistischer Sicht betreibt.

Im Zusammenhang mit der Erläuterung seines Parsers stellt Naumann klar heraus, welche Probleme bei der Abbildung der reinen GPSG-Lehre in ein ablauffähiges System entstehen. Er wählt dann ein Drei-Phasen-Modell, das zunächst aus ID-, LP- und Metaregeln eine kontextfreie Grammatik erzeugt, die die Eingabe für den Parser bildet. Dieser generiert für einen Eingabesatz aufgrund der Grammatik und unter Anwendung der Merkmalprinzipien (FFP, HFC, CAP) eine Menge von Strukturbeschreibungen, aus der in der dritten Phase durch Merkmaldefaults (FSD) und Kookkurenzbeschränkungen (FCR) die gültigen Strukturen ausgefiltert werden. Auffällig bei diesem Vorgehen ist vor allem der frühe Einsatz der LP-Regeln, die in ihrer Anwendung auf die Merkmale der ID- und Metaregeln beschränkt bleiben. Ein anderer, zur gleichen Zeit entstandener Ansatz der Berliner Gruppe wendet beispielsweise die LP-Regeln ganz zum Schluß an (Hauenschild & Busemann 1988:14). Dieses Vorgehen bedingt jedoch den Einsatz eines ID-LP Parsers, während Naumann sich auf einen Parser für kontextfreie Sprachen beschränkt.

Naumanns System ist in LISP geschrieben. Die Seiten 99 bis 126 des Buches enthalten den gut annotierten Code. Das System war seinerzeit auf einem MS-Dos Rechner entwickelt worden und bot entsprechend unbefriedigende Antwortzeiten. Naumann hat das System getestet mit einigen englischen Beispielsätzen aus dem Bereich der "unbounded dependencies". Der Test basierte auf einem Lexikon mit 38 Einträgen und einer "ausmultiplizierten" Grammatik mit 169 kontextfreien Regeln. Im Kapitel 10 werden die berechneten Strukturen präsentiert.

Naumann versucht nirgendwo vorzugeben, daß sein Buch mehr darstellt als es ist, nämlich der Bericht über einen getreuen Ansatz zur Implementation des GPSG-Ansatzes, wie er in GKPS vorgeschlagen wurde. Als solcher (und als gute Einführung in die Theorie) ist er durchaus lesenswert. Es bleibt dennoch die Frage, warum das Buch so unbeachtet geblieben ist. Vielleicht liegt es daran, daß hier ein deutschsprachiges Buch (von einem deutschen Verlag) vorliegt, das jedoch nur englische Syntax behandelt. Das erschwert sicherlich die Akzeptanz in der angelsächsischen Forschungsgemeinde. Der von Uszkoreit (1986) vorgestellte GPSG-Ansatz für das Deutsche wird nur am Rande erwähnt, was wiederum das geringe Interesse im deutschsprachigen Raum erklären mag. Vielleicht liegt es aber auch daran, daß hier ein System in LISP vorgestellt wird, während Prolog-Implementationen seit Mitte der 80er Jahre mehr im Blickpunkt standen. Schließlich mag es auch daran liegen, daß dieses Buch erst erschien, als sich vielerorts das Interesse bereits auf HPSG zu verlagern begann.

Literatur

Evans, Roger: Theoretical and Computational Interpretations of Generalized Phrase Structure Grammar. (Cognitive Science Research Paper 085) Brighton,GB: The University of Sussex. August 1987.

Fisher, Anthony: Practical Parsing of Generalized Phrase Structure Grammars. Computational Linguistics 15, 3 (1989), 139-148.

Gazdar, Gerald; Klein, Ewan; Pullum, Geoffrey; Sag, Ivan: Generalized Phrase Structure Grammar. Cambridge,MA: Harvard University Press, 1985.

Hauenschild, Christa; Busemann, Stephan: A constructive version of GPSG for machine translation. (KIT-Report 59) Berlin: TU-Berlin, Projektgruppe KIT. Februar 1988.

Uszkoreit, Hans: Word order and constituent structure in German. (CSLI Lecture Series) Chicago University Press, 1987.

Weisweber, Wilhelm; Preuß, Susanne: Direct Parsing with Metarules. (KIT-Report 102) Berlin: TU-Berlin, Projektgruppe KIT. Dezember 1992.